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Foto: © Julian Charrière (Film Still)

Empfinden, Verschwinden und Überleben | Die Berlin Art Week 2018

Die Blätter färben sich (zumindest bei den Kastanien) rot, herbstliche Temperaturen ziehen über Berlin und man sehnt sich nach künstlerischen Indooraktivitäten: Die Berlin Art Week findet zum siebten Mal statt und hat allerlei Spannendes im Programm. Reisen in die vergangene Zukunft, hindenburgähnliche Kollisionsobjekte und Einladungen, doch mal zu verschwinden. 

Wohin mit der Kunst?

Eigentlich sah es gar nicht so gut aus für die Art Week dieses Jahr – Ärger mit Fördergeldern, gefühlt tausend teilnehmende Kunsteinrichtungen, die sich auf keinen Termin einigen konnten und das Gleisdreieick fiel als Veranstaltungsort für die Kunstmesse art berlin flach. Aber dann kam eine Messegesellschaft als Unterstützer für die art berlin ins Spiel und plötzlich fielen alle Puzzleteile an den richten Platz. Der Tempelhofer Flughafenhanger bietet den rund 200 Galerien der Kunstwoche ein kurzfristiges Zuhause, man arrangierte sich mit dem European Month of Photography und baute die Eröffnungstage im C/O Berlin ins Programm ein. Das ist mit 15 Museen, zwei Kunstvereinen, einem Theater, 11 Berliner Privatsammlungen und 20 Projekträumen bis zum Rand und darüber hinaus gefüllt.

Aber bleibt das so?

Wie soll Berlin eine Kunsthauptstadt bleiben, wenn immer mehr Projekträume dem Druck des – tief Luft holen, es kommt das verhasste Thema – Immobilien- und Kapitalmarkts weichen müssen? Ständig müssen Künstler* um ihre Räume kämpfen und sich überlegen was ihnen wichtiger ist: l’art pour l’art oder Kommerz und Überleben? Passenderweise findet die Auszeichnung künstlerischer Projekträume und -initiativen 2018 unter dem Motto «survive!» in der Bar Barbette statt, der nach 14 Jahren das Ende des Mietvertrags serviert worden war und die das Kunsthaus räumen muss. Noch gibt es aber Kunst, die man sich anschauen kann: Für die Berlin Art Week haben wir euch natürlich wieder eine kurze Orientierungshilfe zusammengestellt, wenn ihr selbst einen Blick ins Programm werfen wollt, findet ihr das hier.

Mittwoch, 26.09

Wenn man die Unendlichkeit sehen will guckt man nicht in den Himmel. Da gibts wegen der Luftverschmutzung eh nichts zu sehen. Stattdessen geht man ins Planetarium – da kann man nicht nur das Universum entdecken, sondern es ist mit seiner ganzen Technik auch ein wahrer Spielplatz für Künstler*, Musiker* und Game-Entwickler*. In der Reihe «The New Infinity» entwickeln diese Fulldome Systeme, die Videoinstallationen zu einer immersiven Erfahrung machen. Los geht’s ab 16.00 auf dem Mariannenplatz mit David OReillys philosophischem Videospiel «Everything» im Multiplayer-Modus. Weiter geht es mit noch mehr visueller Kunst: Ab 18.00 bespielt die Künstlerin Ceal Floyer die Fassade des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.). Indem sie die öffentlichste Seite eines Hauses als Leinwand benutzt, öffnet sie einen Kanal zwischen Ausstellung und öffentlichem Stadtraum. Dass einem an der Tür des Berghains sagt, man solle verschwinden ist nichts neues. Aber explizit dazu eingeladen, wie in «An Invitation To Disappear» von Julian Charrière & Inland wird man selten. Ab 23.00 entführen sie in einer audiovisuellen Exkursion auf eine Palmöl-Plantage, die im dunstigen Nebel wie eine zu gleichen Teilen dystopische und paradiesische Landschaft aussieht. Begleitet wird dieser Ausflug von acht Stücken spektralen Technos sowie rhythmisch vertrackten Electronics von Inland.

Donnerstag, 27.09

Der zweite Tag der Art Week startet mit dem simplen Thema «Die Dichotomien zwischen Äußerlichkeit und Innerlichkeit» in der Ausstellung «Clerks’ Quarters: Can there be Forgiveness?» (18.00 bis 21.00) im Ashley Berlin von dem kanadischen Künstler Adam Shiu-Yang Shaw, der in einer Kombination aus stofflicher Arbeit und Performance Akteure zusammenbringt, die sich gar nicht einig werden können: Der Sprecher, der Angesprochene und die dritte Person, die sich vor einer wandelnden Szenerie streiten. Ebenfalls um 18.00 geht es um ein genauso allseits präsentes Thema: Die Lust. Oder besser, um die Lust, den Tod und den sympathischen Menschen Sigmund Freund. In verschiedenen Performances werden Themen wie Exzesse und Trauer erforscht, beginnend mit dem immersiven Ritual «∑X ÷ Oº × POX = ∑ Consciousness — The Glue that Drives Us» von dem Kollektiv the Cult of Rammellzee.

Freitag, 28. 09

Freitags gehts an die harten Themen. Die schönen Jahre, in denen Berlin ein Spielplatz für alle Kreativen war und in jedem Hinterhof ein Studio wie ein Fliegenpilz aus dem Boden schoss, sind, so der allgemeine Konsens, vorbei. Aber trotzdem werden freie Kunsträume, die unabhängig von großen Institutionen agieren, ein wichtiger Inkubator für freie Künstler*. Unter dem Schlagwort «survive! – Wer und was gestaltet hier eigentlich?» gibt es in der Bar Barbette von 17.00 bis 19.00 eine Podiumsdiskussion zum Thema freie Kunsträume in Berlin, wie sie sich ihr Überleben sichern können und wie marktwirtschaftliche Faktoren die Kunstszene beeinflussen. Anschließend wird der Project Space Award an einen Kunstraum verliehen. Gleichzeitig starten um 19.00 die Eröffnungstage des European Month of Photography im C/O Berlin. Unter dem Motto «Back to the Future» – ja, wie der Kultfilm, aber jetzt schwärmt nicht gleich wieder vom DeLorean, sondern konzentriert euch – werden Fotografietechniken aus dem 19. Jahrhundert verwendet, um moderne Szenerien zu zeigen. Ob Pflanzenstudien als blaue Cyanotypien oder Porträts als Woodburytypie – die frühen Techniken der Fotokunst eröffnen neue Perspektiven und erschaffen interessante Hybridkunstwerke. Stichwort neue Perspektiven: Habt ihr schonmal ein 17 Meter langes Aluzeppelin gesehen? Nein? Dann ist die Eröffnung der Ausstellung «Crash» von Lee Bul, einer der spannendsten koreanischen Künstlerinnen überhaupt, absolute Pflicht. Im Martin-Gropius-Bau wird ab 19.30 eine Zusammenstellung aus Werken ihres ganzen Lebens gezeigt, mit der sie ihre persönlichen Jugenderlebnisse unter der repressiven Regierung Südkoreas verarbeitet und die Konsequenzen von technologischer Entwicklung erforscht.

Samstag, 29.09

Läuft bei Agnieszka Polska: Letztes Jahr im Herbst hat sie den 9. Preis der Nationalgalerie abgeräumt und präsentiert jetzt ihre albtraumverursachende Mehrkanal-Videoinstallation «The Demon’s Brain» im Hamburger Bahnhof (11.00 bis 18.00). Polska verbindet für ihre Videos Realfilmaufnahmen mit animierten Sequenzen und erzählt eine Geschichte von Frühkapitalismus, dem Verwalter der polnischen Salzbergwerke, Mikołaj Serafin, einer Halluzination, der christlichen Apokalypse und Ressourcenverbrauch. Kein bisschen weniger abgefahren geht es bei «The Originator of Techno Music» aka Juan Atkins zu, denn der setzt sich mit den Beziehungen von Architektur, Klang und Licht innerhalb der Installation res·o·nant von Mischa Kuball im Jüdischen Museum auseinander. Von 16.00 bis 20.00 schafft Atkins in «Deep Space» aus mehreren verbundenen Synthesizern eine immerisve Sound-Skulptur.

Sonntag, 30.09

So – letzte Runde und die Kurzversion einer absurden Geschichte. Nik Nowak ist ein ziemlich abgefahrener Typ, der sich mit Sound beschäftigt. 2017 reiste er im Rahmen eines Kulturaustausches nach Nordkorea und wollte dort an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea gegenüberstehende Tonanlagen benutzen, um den gleichen Ton abspielen zu lassen – nur versetzt, bis sich die Schallwellen gegenseitig auslöschen. Geklappt hat das nicht. Und der ganze Austausch entpuppte sich auch zu einer sehr schrägen Veranstaltung. In dem Film «No Silence for the Great Leader» dokumentiert Nowak seine Erfahrungen. Berlinische Galerie, ab 10.00. Und als abschließende, knallrote Cocktailkirsche auf dem ganzen Eisbecher machen wir uns auf den Weg ins KINDL und brechen mal aus unserer Routine aus. Denn klar, die muss sein, weil man sonst morgens wahrscheinlich nur in Boxershorts und ohne Kaffee in der Bahn sitzt. Aber diese verdammte Selbstoptimierung und dieser beschissene Leistungsdruck und dieses eklige Einschleifen auf immer die gleichen Sachen – sagt stopp, ich kann da sonst noch ein paar Stunden weitermachen. Mit dem Bruch dieser Abläufe haben sich zehn internationale Fotografen in «Absurde Routinen» (12.00 bis 18.00) auseinandergesetzt und die absurden Ergebnisse lassen das Herz gleich ein wenig leichter werden: Keine Leistung, keine Effizienz, einfach mal ein bisschen Schwachsinn und natürlich Kunst.

 

Berlin Art Week

26. bis 30 September

berlinartweek.de

Foto: © Julian Charrière (Film Still)

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