Dmitri Kapitelman, Des Lächeln meines unsichtbaren Vaters, Buch, Roman, Autor, Journalist, Berlin, Interview, Nagel mit Köpfen, Lesung, Fahimi Bar, 030 Magazin

Nach 1991 haben über 200.000 jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion deutsche Pässe bekommen. Dmitrij Kapitelman war einer von ihnen. Doch das Gefühl, anzukommen, wollte sich lange Zeit nicht einstellen. Erst letztes Jahr hat er seinen Debütroman vorgelegt, in dem er von dem Aufwachsen in einem fremden Land, jüdischer Verbundenheit und seinem Vater erzählt. Bei der Literaturreihe Hauser & Tiger stellt er diesen am 15. September vor.


Herr Kapitelman, Sie nennen sich „Kontingentflüchtling“. Was darf man darunter verstehen?

Das ist eine der privilegiertesten Einwanderungsgruppen in der Geschichte der Bundesrepublik. Als wir Mitte der 90er hier her kamen, wurden osteuropäische Juden bevorzugt aufgenommen – aus der historischen Verantwortung heraus, ohne Asylverfahren.

Ursprünglich wollte Ihre Familie nach Israel. Haben Sie Ihren Vater gefragt, warum der Plan fallengelassen wurde?

Erst sehr spät. Er meinte, es sei wegen mir gewesen: weil ich in Israel ein „Jude zweiter Klasse“ gewesen wäre. Immerhin ist meine Mutter keine Jüdin.

Stattdessen sind Sie in Leipzig, Grünau gelandet. Hartes Pflaster.

Ja, meine Antwort war immer: »Na zum Glück haben mich die Neonazis in Ostdeutschland freundlich aufgenommen.« (lacht) Unsere Nachbarin hatte einen Rudolf Heß-Volksheld-Sticker an der Tür. In der Wohnung unter uns war freitags immer Neo-Nazi-Party. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass das Schlimmste nicht mal der Neo-Faschismus war.

Sondern?

Die Negativität dort: Arbeitslosigkeit und Alkoholismus. Wenn man nicht früh genug mitkriegt, dass die Welt schöner und bunter als das ist, dann kann man sich dort verderben.

In Israel illegitim, in Deutschland fremd. Wie zerrissen haben Sie sich gefühlt?

Ich war damit beschäftigt, meine zwei in Deutsch zu kriegen und danach Maria auf eine Pizza einzuladen, aber ich habe mitbekommen, wie schwer es für meine Eltern war, anzukommen. Der emotionalen Last habe ich mich erst später gestellt. Ein Kraftakt, den man häufig unterschätzt.

Was fällt Ihnen dahingehend an der aktuellen Integrationsdebatte auf?

Teilweise wird erwartet, dass sich Menschen innerhalb von drei Monaten vollkommen adaptiert haben: dass sie Deutsch können und Arbeit haben. Das kann man alles verlangen, aber man darf nicht vergessen, dass die Umstellung emotional ein langwieriger Prozess ist. Es gibt keinen Schalter zwischen Leben eins und zwei.

Was hat sich mit Ihrem Buch für Sie verändert?

Ich schätze mein Leben hier mehr und bin mehr ange- kommen. Und ich erwarte weniger von meinen Eltern. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass man gewisse Dinge für sich selbst beantworten muss – vor allem, wie man wo lebt.

Live Fr 15.9. ab 20 Uhr bei „Hauser & Tiger“ im Kallasch&.

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Foto: © Nadine Kunath