Carmel Zoum ist vom ersten Augenblick an sympathisch. Es regnet und ist kalt, das Kreuzberger Café, in dem wir uns verabredet haben, hat geschlossen. So irren wir eine Zeit lang planlos durch die Gegend, um einen geeigneten Ort für unsere Unterhaltung zu finden. Das alles scheint Carmel überhaupt nichts auszumachen. Sie ist aufgeschlossen, gut gelaunt und organisiert uns im Café Kotti sogar einen Nebenraum, um etwas Ruhe zu bekommen.

In Moskau geboren und in Frankreich aufgewachsen lebt die Sängerin und Produzentin heute schon seit vielen Jahren in Deutschland, davon acht in Berlin. Sie sang im Vorprogramm der Band Culcha Candela, arbeitete mit dem Produzenten Duo Dualesque und veröffentlichte auf dem Label Springstoff zahlreiche Kooperationen, bis 2015 ihr Debütalbum „Skwamat“ erschien. Dass sich die Sängerin keinen musikalischen Stempel aufdrücken lässt und sie mit ihren Songs viel mehr möchte, als einfach nur ihr Publikum zum Tanzen zu bringen, zeigt sich in unserem Gespräch.

Was hat es mit deinem Albumtitel auf sich?

Skwamat bedeutet Häutung, wie Reptilien ihre Haut regelmäßig wechseln. In der Familie meiner Mutter hat die Schlange eine besondere Bedeutung und ich wollte das für mein Album benutzen. Ich finde Schlangen faszinierend und ihr Fähigkeit, sich durch die Häutung zu erneuern oder zu verändern. Für mich symbolisieren sie auch, wie der Mensch sich entwickeln kann, im positiven wie im negativen Sinne. Wenn ich eine neue Phase meines Lebens beginne, habe ich das Gefühl meine Haut zu wechseln.

Wie würdest du deine Musik beschreiben?

Ich würde meine Musik als Diaspora Dance Music beschreiben. Dancehall kommt ursprünglich aus Jamaica und ich habe kongolesische Wurzeln. Zwischen Dancehall und kongolesischer Popmusik sehe ich viele Parallelen, in der Art, wie die Künstler sich kleiden, sich darstellen und der Rhythmik. Bestimmt kommt das daher, dass im 17. Jahrhundert viele Sklaven aus dem Kongo nach Jamaica gebracht wurden. Da sind die kulturellen Einflüsse einfach sehr stark zu spüren. Aber ich komme selbst nicht aus Jamaika, ich mache Dancehall in Europa und so vermischen sich in meiner Musik sehr verschiedene Einflüsse. Ich mache also Dance Music mit politischem Inhalt.

Du forderst auf zu „Action no words“ und widmest einen Song dem 2005 in einer Dessauer Gefängniszelle gestorbenen Asylbewerber Oury Jalloh, dessen Fall bis heute noch nicht offiziell geklärt ist. Wie muss man sich den künstlerischen Prozess vorstellen, wenn du deine Songs schreibst?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei Oury Jalloh gab es dieses aktuelle Thema und ich wollte unbedingt darüber schreiben. Aber zum Beispiel bei meinem Song „Lucifer Effect“ geht es um traditionelle und negative Frauenbilder, die man auch aus Bibelinterpretationen kennt – die Frau als Verkörperung des Bösen zum Beispiel. Früher habe ich sehr plakative Texte geschrieben und versuche mich heute etwas bildhafter auszudrücken.  In meinem Song „In the Club“ geht es um Flüchtlinge, die im Mittelmeer gestorben sind. In diesem Fall habe ich Europa mit einem Club verglichen. Das ist der Weg, auf dem ich mich auch zukünftig bewegen möchte – Dinge miteinander zu vermischen, über Bilder zu vermitteln um vielleicht so auch etwas Empathie zu bewirken. Manche Songs sind einfach da und andere beginnen mit einer Idee und entwickeln sich nach und nach.

Wie produzierst du deine Songs?

Bis zu meinem ersten Album habe ich ganz klassisch als MC gearbeitet. Ich habe von anderen Produzenten und Produzentinnen Instrumentals bekommen und dann meinen Text darauf geschrieben. Für mein zweites Album werde ich auch viel selbst produzieren. Nicht alles, aber mindestens die Hälfte. Zu einem großen Teil habe ich mir das selbst beigebracht. Ich habe aber auch Workshops besucht, zum Beispiel bei Mint Camus, dort können Frauen Kurse im Produzieren und Auflegen von Elektronischer Musik belegen und sich selbst ausprobieren.

Und wann entscheidet sich, ob du auf Englisch oder Französisch singst?

Das kommt automatisch. Wenn ich ein neues Instrumental habe, singe ich in der Sprache, in der mir die ersten Worte in den Kopf kommen. Oft ist das Englisch, weil ich viel Dancehall höre und der ist meistens auf Englisch oder Patois. 

In Deutschland und besonders in Berlin gibst du regelmäßig Konzerte, aber wie kam es zu deinem kommenden Gig im Senegal?

Eine Booking-Agentur aus dem Senegal war auf mich aufmerksam geworden und wollte mit mir arbeiten. Ich werde dadurch auf einem Festival auftreten und wurde vom Goethe Institut eingeladen, um dort zu singen. Es war also ein glücklicher Zufall. 

An was arbeitest du gerade?

Mein Plan ist es, noch mehr zu zeigen, wer ich wirklich bin. Wenn ich Beats bekomme, ist das oft Reggae oder Dancehall. Das sind tolle Kollaborationen, aber es ist auch schwieriger wirklich kreativ zu sein. Ich mag auch viele andere Sachen wie Hip Hop, Drum and Bass, Techno und Elektro. Mein Ziel ist es, all diese Einflüsse zusammen zu bringen.

Foto ©: Philipp Primus