NEUE LIEBE‎, Christoph Schlingensief, Eine Kirche der Angst, DVD-Premiere, 030, Magazin, 030magazin, Berlin
Foto © Aino Laberenz

Christoph Schlingensief: Er muss wieder ran | Film-Premiere

In Berlin gab’s früher einen Broadway. Mit diesem Satz fängt diese Story an, aber sie endet mit Christoph Schlingensief. Die Verbindungsstelle zwischen Broadway und Schlingensief ist ein kleines Theater, das gerade an der Friedrichstraße eröffnet hat. Absurd? Dann hätte es Schlingensief (wahrscheinlich) gefallen. 

Zunächst zum Broadway, also der Berliner Variante davon. Die hieß Friedrichstraße, damals. In 20ern, den Jahren, die wir aus „Babylon Berlin“ kennen. Es gab in Berlin ein Theaterviertel wie in New York. Heute gibt’s da Klamotten, billiges Essen und Make-Up. Massen von Touristen. Mitten in dieser modernen Konsum-Hölle eröffnete am 2. Oktober ein kleines Theater. Es ist ein kreativer Stachel, der im Fleisch der kommerziellen Friedrichstraße steckt. Es heißt „Neue Liebe“, das Theater, und es bringt die Kunst zurück. 3. Stock. Admiralspalast. Am Abend vorm Tag der Deutschen Einheit wurde das Theater hier eröffnet. Brechtmäßige Inszenierung, Brass-Konzert. Seit drei Wochen gibt es jetzt das Theater an der Friedrichstraße, das sich tarnt als „zweimonatiges Theaterfestival“. Merke: seine Zeit ist begrenzt.

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Und der Papst war auch schon da. Foto: © Aino Laberenz

Einfach mal zu Ende denken

„Seine Zeit ist begrenzt“. Wenn wir also den Satz jetzt mal nehmen und konsequent zu Ende denken, dann wird in diesem Kontext daraus eine Überleitung zu einem Mann, der uns allen noch im Gedächtnis sein dürfte. Es ploppt am Ende dieser Kausal-Kette auf unserem Monitor nämlich nur ein Name auf: „Schlingensief“. Geht nicht anders. Der jugendlich wirkende Regisseur und Provokateur, wir sehen ihn noch vor uns. Wirre Haare, weit geöffnete Augen, wilde Gedanken. Aber man konnte ihm nie böse sein, er hatte was Unschuldiges in sich. Mischte den Theaterbetrieb auf, sorgte für Anarchie und freute sich diebisch über das Chaos, das er uns hinterlassen hat. Der spätere „Nichtraucher“, wie er von sich sagte – korrekt müsste man wohl „Ex-Raucher“ sagen –  starb an Lungenkrebs. Mit 49. Die Ironie ist im Tod und im Theater eine Kunst. Das „Neue Liebe“ hat Schlingensief ein kleines Denkmal gesetzt. Am 30. Oktober zeigte es ein abgefilmtes Theaterstück des von der Presse stereotyp betitelten „Skandalkünstlers“. »Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir«. So der Titel des Stücks. Wir blicken kurz zurück.

Wirre Haare, wilde Gedanken… Schlingensief

Das Jahr 2008, der Abend des 21. September: Premiere des Stücks im Landschaftspark Duisburg-Nord. Christoph Schlingensief verarbeitet seine Krankheit. Im Rahmen der Ruhrtriennale führt er es auf und thematisiert in dem Werk seine Erkrankung an Lungenkrebs, von der er Anfang 2008 erfahren hatte und an der er im August 2010 starb. Die Vorführung in Berlin 2018, acht Jahre nach seinem Tod, ist – wie soll es anders sein – eine Premiere: eine DVD-Premiere von »Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir«. Dieser Film ist eine Perle des neuen Theaters „Neue Liebe“, das damit zeigt, in welche Richtung es künstlerisch guckt. Nämlich abseits, und zwar vom Mainstream. Gezeigt wird das DVD-Stück in Zusammenarbeit mit der Filmgalerie 451.

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Christoph Schlingensief und seine Frau Aino (rechts) bei der Berlinale 2009. Foto: © CC0 Public Domain

„Die Angst in mir ist die Angst vor mir“ Schlingensief
in seinen Notizen auf einer Reise.

„Die Angst in mir ist die Angst vor mir“, schrieb Schlingensief in seinen Notizen auf einer Reise. Mit Musikern, Darstellern und Angstspezialisten aus verschiedenen Kulturen entwirft Schlingensief darin Bilder, Litaneien und Rituale, die dem Eindringling nachspüren und mit dem Fremden bekannt machen, das man selber ist. Die Zeit meint: “Die Kirche der Angst ist etwas Neues: Schlingensief ist der abwesende Gast und machtvolle Regisseur dieses Abends, eines Abends, der davon handelt, wie Krankheit ein Leben beendet, das eines Kindes, und ein neues beginnen lässt, das eines Erwachsenen.”

Echo des Entfant Terrible

Die Filmgalerie 451 zeigt hier wieder, dass sie kontroversen Stoffen offen gegenüber ist. Sie produziert, verleiht und veröffentlicht Filme, die sich was trauen. “Klassiker” des deutschen Films, etwa von Werner Schroeter, Roland Klick und Hans-Jürgen Syberberg sind dabei. Christoph Schlingensief darf nicht fehlen.  Sonst fehlt er schon, aber im Theater „Neue Liebe“ ist er wieder mit am Start. Gott (Schlingensief) sei Dank! Er hatte übrigens ein Faible für kleine Theater. Mehr hier in unserem Tipp.

Mehr Infos zum Theater „Neue Liebe“ hier. 

Foto: © CC0 Public Domain

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