Weihnachten, Christmas, 2019, Berlin, 030, Magazin, CREDIT CC0

Im November 1984 lief «The Power of Love» im Radio. Der Song hätte ein Weihnachts-Klassiker werden können, wurde er aber nicht. Stattdessen hören wir seit drei Jahrzehnten „Last Christmas“. Zeit sich mit dem vergessenen Hit zu beschäftigen – und mit seiner Botschaft. Ein Plädoyer.

Frankie Goes to Hollywood hieß die Band, ihr Song stürmte Mitte November 1984 an die Spitze der UK-Charts. Für ein paar Tage schallte «The Power of Love« aus den Geräten und es sah so aus, als hätte die Welt einen neuen Weihnachts-Hit. Und dann kam Bob Geldof. Mit seinem „Band Aid“-Projekt stahl er den britischen Jungs die Show. Der Weihnachts-Hit 1984 hieß «Do They Know It’s Christmas?». Eine wichtige Frage, ja. Der andere Song gab aber eine Antwort, eine Botschaft an die Welt.

The power of love. A force from above. Cleaning my soul – «The Power of Love»

Was ist das für ein Prinzip?

2018. Wir sehen Menschen, ihre Mundwinkel hängen, ihre Köpfe starren runter. Auf Smartphones. Wir sehen sie in U-Bahnen und Bussen, in Wartezimmern – und im Spiegel. Berlin ist kalt. Arme Menschen laufen wie Geister durch Waggons, bitten um eine Spende – und sei sie noch so klein (auch Essensreste)- kaum jemand gibt ihnen was. „Ich gebe aus Prinzip nichts“, hört man und fragt sich, was das denn für ein Prinzip ist. Nichts zu geben. Zu ignorieren. Zu verdrängen. «Last Christmas» dudelt durch die Shopping-Malls, die an jeder Ecke stehen. In denen man das gesparte Geld, das man aus Prinzip nicht gegeben hat, für sinnlose Produkte ausgibt, die keiner will und keiner braucht.

Love is the light. Scaring darkness away, yeah – «The Power of Love»

Die Menschen schotten sich ab

Berlin ist kalt geworden. War es früher rau und ruppig, aber liebenswert, ist es heute nur noch rau – und kalt und arm. Nicht sexy. Die Menschen schotten sich ab, ziehen sich zurück. Flüchten ins gegenseitige Schweigen, in die Nicht-Kommunikation. Sie nennen das Selbstschutz. Was aber, wenn keiner mehr kommuniziert und wenn nur geschwiegen wird und aufs Smartphone gestarrt wird? Dann wird es kalt. Menschlich. Wem das zu kitschig ist, der sollte sich fragen, warum er das so empfindet. Viele haben Angst vor ihrer menschlichen Seite, die sie verletzlich macht. Sie haben Angst zu lächeln, weil der andere das Lächeln nicht erwidern könnte. Das Problem ist, dass der andere genau so denkt. Und so schweigen wir uns an – mit ausdruckslosen Gesichtern.

Envy will hurt itself. Let yourself be beautiful – «The Power of Love»

Der Song ist vielen zu kitschig. An «The Power of Love» scheiden sich bis heute die Geister. Die einen sehen christliche Motive, gar die Geburt von Jesus. Die anderen vermuten Sarkasmus und Ironie hinter dem Stück. Man findet eben immer eine Deutung, die dem eigenen Weltbild entspricht. Bloß: Was hat man gewonnen, wenn man es als Kitsch und Ironie abtut? Gar nichts. Alles bleibt, wie es ist. Kalt und grau. Bravo.

Die Leere füllen

Mal ehrlich: Wir brauchen keine Geschenke. Was wir brauchen ist Wärme, Verständnis und Offenheit. Keine Abschottung. Kein Verdrängen. Dieses Verhalten macht unser Leben kalt und leer, saugen die Kraft aus unsern Adern und Herzen. Verlorene Seelen sind wir dann. Hilft keinem. Außer ein paar großen Konzernen, die sich die Taschen voll machen, weil wir immer mehr kaufen, kaufen, kaufen – um unsere innere Leere mit materiellen Dingen aufzufüllen.

Love is like an energy. Rushin‘ in, rushin‘ inside of me, yeah… The power of love. A force from above. Cleaning my soul.

Seit 1984 trällert Bob Geldofs schönes Charity-Stück jedes Jahr aufs Neue mit anderen musikalischen Untoten durch die Radios und seit ein paar Jahren auch durch Spotify-Playlisten. Das Benefiz-Lied mutierte zu einer akustischen Pandemie, ein zweifelhafter Ruhm. »The Power of Love« ist fast vergessen, ab und an hört man es noch in einem Einkaufszentrum dudeln. Der denkbar schlimmste Ort für dieses Lied.

Seid nett zueinander! Frohe Weihnachten!
Eure [030] Redaktion

Foto: © CC0