Nakhane, Südafrika, Interview

Nakhane: «Denkt nicht an uns als wären wir etwas Exotisches. Afrika ist kein Zoo.»

Der afrikanische Kontinent wird aus europäischer Sicht immer etwas belächelt. Schluss damit. Blick man auf die agile und innovative Musikszene dürfte hierzulande schnell der Atem stocken. Geht es um den Griff nach der internationalen Popkrone, muss sich Afrika nicht verstecken. Im Gegenteil, Künstler wie Nakhane Touré setzen die Messlatte verdammt hoch. Der südafrikanische Schauspieler („The Wound“) und Sänger erfindet aktuell das Neo-Soul Genre neu. Spätestens 2017 nach seinem Auftritt beim ‚Transmusicales Festival‚ im französischen Rennes, wo er als Newcomer das Publikum begeisterte, spitzt man bei seinem einzigartigen Sound aus experimentellen elektronischen Elementen, gepaart mit traditionellen Sounds seiner südafrikanischen Heimat und seiner samtweichen Stimme, die Ohren.

Wir sprachen mit Nakhane Touré Mitte März im winterlichen Berlin, im Vorfeld seines kurz darauf erscheinenden Album „You will not die“ (VÖ: 16.3.), über die dunkelste Zeit seiner Heimat und den Einfluss dieser auf sein Leben und Wirken als ‚Post-apartheid‘-Künstler zu sprechen. Zudem galt es, aus aktuellem Anlass, zu klären, was genau Heimat für ihn bedeutet und ob sein Coming-out und sein Kirchenaustritt miteinander in direktem Zusammenhang standen.

20 Jahre nach Beendigung der Apartheid… Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit und inwiefern spiegelt sich diese noch in der heutigen Süd-Afrikanischen Gesellschaft wieder?

Ich erinnere mich noch genau an das Ende der Apartheid. Meine Mutter und meine Tante konnten endlich in jeden beliebigen Laden gehen, eine weiße Frau ansehen und ihr sagen: «Die Apartheid ist vorbei. Du hast keine Macht über uns. Shut the fuck up!» Das war für mich ein Moment unglaublicher Macht und es hat nochmal gezeigt, wie unterdrückend die Apartheid eigentlich war. Natürlich war das nur in kleiner Moment. Aber es war ein Moment der Befreiung. Ein Moment der Macht schwarzer Frauen, welche einen wesentlichen Anteil an der Bekämpfung der Unterdrückung hatten. Nun taten sie etwas, für das sie ein paar Jahre zuvor noch umgebracht worden wären.

Nakhane, Nakhane Tourè, Sänger, Südafrika

Schauspieler und Sänger Nakhane Tourè – Foto: © Tarryn Hatchett

Inwiefern hatte dieser geschichtliche Background einen Einfluss auf dich als Musiker und deine Arbeit?

Ich bin das, was man ’Post-Apartheid’- Künstler nennt. So sehr es mich auch beeinflusst hat und es in der Vergangenheit liegt, die Überreste der Apartheid sind immer noch spürbar. Farbige Menschen in Südafrika besitzen immer noch kein Land und gelten immer noch als Diener. Wie kann so etwas nicht deine Arbeit beeinflussen? Vor allem als schwarzer Queerkünstler. Es begleitet mich überall hin.

Im Moment gibt es in Deutschland, vor allem im Bezug auf nordafrikanische Flüchtlinge, eine große Diskussion über den Begriff ‚Heimat‘. Was er für den Einzelnen bedeutet aber auch wie man Heimat als Nation definiert. Was bedeutet dieser Begriff für dich? 

Ich hatte schon immer Probleme mit dem Konzept Heimat, aber das hat für mich keine politischen Hintergründe. Es hat mehr mit meiner Erziehung zu tun. Mein Zuhause wechselt ständig, genauso wie meine Definition.

Wenn man das ganze aus europäischer Sicht sieht, scheint Afrika ein gefährlicher Platz für homosexuelle Menschen zu sein. Die Diskriminierung ist in dort oft mit Gewalt bis hin zu Mord verbunden. Wie hast du dich unter diesen Vorzeichen überwinden können, dich zu outen?

Ich finde es gut, wie du die Frage angefangen hast, weil du Recht hast. Diese Perspektive ist sehr europäisch. Auch wenn die Europäer denken, sie sind fortschrittlicher als wir was die  Akzeptanz und Gleichstellung homosexueller Menschen angeht, ist das viel zu einfach gedacht. Wir waren eines der ersten drei Länder, die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert haben. Klar, sind viele Dinge anders, wenn man tiefer geht, aber inwiefern unterscheiden wir uns voneinander? Es gibt weltbürgerliche Städte, die sehr sicher sind. Aber das ist nicht auf das Land an sich zurückzuführen, und erst recht nicht auf den gesamten Kontinent. Dasselbe gilt für Südafrika. Unsere Verfassung ist unantastbar.

Nach deinem Coming-out … Wie hat dein Umfeld reagiert bzw. hat es sich verändert?

Ich habe keine Angst vor Leuten, die mich nur hassen, weil ich Queer bin. Ich habe auch keine Angst vor Leuten, die mich hassen, weil ich schwarz bin. Sie sind es nicht wert. Sie handeln aus Angst. Wenn man das aus der Perspektive eines Dritten betrachtet, ist es interessant zu sehen, wer wirklich stark ist. Sind es die, die den ganzen Hass ertragen und trotzdem weiter machen oder die, die vor lauer Angst nichts als Hass kennen?

Du trägst das Kreuz als Stecker in deinem Ohr. Allerdings verkehrt herum. Inwiefern hat dein Coming-out deinen Austritt aus der Kirche beeinflusst?

Die Entscheidung hatte viele Gründe: Meine politischen Ansichten veränderten sich und ich konnte nicht weiterhin die Augen verschließen und einer Religion angehören, in der Leute wie ich bestraft wurden, weil sie sich angeblich „dämonisch“ verhalten.

Was bedeutet denn Glaube heute für dich?

Ich bin ein skeptisch veranlagter Xhosa.

Weg vom Glauben, hin zur Musik. Wie würdest du die afrikanische Musikszene beschreiben?

Jedes Land ist anders. Jede Stadt ist anders. Jeder Vorort ist anders. Die Orte, die ich kenne, sind lebhaft, attraktiv, stickig, vorausdenkend, brilliant, intelligent, erschreckend und, und, und. Das sind alles Orte endloser Neugier und Entdeckerlust.

Majorlabels suchen ständig neue Popsounds und Popstars. Der Blick geht verstärkt gen Afrika. Werden sie dort fündig?

Dazu sage ich nur: Denkt nicht an uns als wären wir etwas Exotisches. Afrika ist kein Zoo.

Woher nimmst du deine Einflüsse? Orientierst du dich auch an der westlichen Musikszene?

Meine Einflüsse kommen von Künstlern, die mich berühren. Nicht nur auf emotionaler Ebene, auch auf intellektueller. Es variiert. Sie kommen von überallher, d.h. auch aus den verschiedensten Epochen.

Deine Grundaussage als Künstler?

Dear Black Gay Jesus, wieso zur Hölle baumeln wir auf dieser blauen Glaskugel herum?

Man sieht dich auf der Bühne meist allein…Steckt hinter der Albumproduktion noch eine weitere Person oder hast du alles selbstproduziert?

Ich schreibe alle Songs selbst, aber Ben Christophers hat das Album produziert. Ich liebe es mit jemanden zusammen zuarbeiten. Etwas, an das ich zu Beginn meiner Karriere niemals gedacht hätte. Außerdem ist es toll, wenn andere Leute neue Ideen mit einbringen. Es macht die Arbeit vielfältiger. Zudem macht es zusammen einfach mehr Spaß.

Deine Leidenschaften sind relativ vielfältig. Schauspielerei, singen, schreiben… Beeinflussen diese Talente sich gegenseitig oder trennst du sie voneinander? 

Als ich ein Kind war, habe ich meine Mutter immer gefragt, welches ihrer Kinder sie am liebsten mag. Bevor sie eine Chance hatte zu antworten, schrie ich: „SAG NICHT, DASS DU UNS ALLE GLEICH LIEBST!!“ Sie meinte immer, sie würde uns alle auf verschiedene Weise lieben, da wir ihr alle unterschiedliche Sachen geben konnten, eben weil wir verschieden sind. Ich mag diese Antwort, sie ist ehrlicher. Und genauso ist es mit meinen Leidenschaften: Ich liebe sie nicht alle auf dieselbe Weise, aber unterschiedlich dann doch sehr.

Was bringt die Zukunft? 

Ich versuche immer mich neu zu entdecken, um neue Wege zu finden, mich auszudrücken. Wir werden sehen, was als Nächstes kommt. Es ist eine Überraschung. Für mich und für euch.

Vielen Dank für das Gespräch.

Anmerkung in eigener Sache:
Den Großteil der Fragen haben unsere Schülerpraktikantinnen Kim Schöpf und Nadia Scherrer erarbeitet.
Daumen hoch!

Das Album „You will not die“ erscheint am 16.3. bei BMG.

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Foto: © Tarryn Hatchett

Am 21.5. spielt Nakhane live in der Berghain Kantine.

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