Russkaja, Rock, Ska, Folk, Polka, Russian

Eine rote Welle überschwemmte mit Folk, Polka, Ska und Rock die Halle der Kulturbrauerei. Russkaja spielten ihr letztes Konzert der  „No One Is Illegal“ Tour in Berlin. Viele harte Kerle auf einem Haufen. Und ich mittendrin.

Besser als jede Party!

Mit dem neusten Album in den Ohren trat ich mehr tanzend als gehend meinen Weg zur Kulturbrauerei an. Russkaja kannte ich bereits. Vor vier Jahren durfte ich bei einem kleinen Stadtfest in den Genuss des „Turbo-Polka-Beats“ kommen. Eigentlich wollte ich nur ein Bier holen, war durch Zufall in der Nähe der Bühne. Kurzerhand wurden die Abendpläne gecancelt – ich blieb, mitsamt feierwütiger Gruppe. Inmitten des Konzerts kam eins meiner Anhängsel zu mir gepogt mit den Worten: „Scheiß auf *Name-eines-schäbigen-Clubs- in-den-unbekannten-Weiten-Sachsens*! Das ist besser als jede Party!“ True Story. 

Mini-Wacken meets Kulturbrauerei

Dementsprechend groß war meine Vorfreude. Dass ich trotz  „Erfahrung“ von der Polka-Walze erfasst werde, habe ich dennoch nicht erwartet. Die Halle füllte sich nur langsam. Ganz entspannt haben wir es uns direkt vor der Bühne im Schneidersitz gemütlich gemacht. Die Ruhe vor dem Sturm, wie ich feststellen durfte. Nach und nach kam die Einsicht, dass ich das Klientel falsch eingeschätzt habe. Bei meinem ersten Konzert wurde ein unvorbereiteter Kleinstädlerhaufen aus dem Tiefschlaf geschüttelt. Diesmal rechnete ich aufgrund des Backgrounds der Band mit vorrangig russischen Fans. Letztendlich stand ich da zwischen Vorzeigevertretern des Wacken. Tätowierte, breite Typen in Jeanswesten voller Patches, die sich vor dem Konzert noch schnell ihre Bärte geflochten haben. Wow, Russkaja sind rockiger als gedacht.

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Foto: © Promo

Das gewisse „Mehr“ an Körpereinsatz

Als die siebenköpfige Band aus Wien die Bühne betrat, bestätigte sich eine Aussage, die vor einiger Zeit eine Freundin traf: Metallheads sind die größten Gentlemen. Anstatt von der aufgeregten Masse erdrückt zu werden, hatte ich noch genug Platz, um ordentlich mitzutanzen. Selbst wenn die Moves aus mehr Gliedmaßen-Einsatz als dem „groovy head“ bestanden. Darunter dürft ihr euch eine taubenähnliche Kopfbewegung vorstellen, zu der während des Songs „Change“ aufgerufen wird. Dieses „Mehr“ an Körpereinsatz forderten Russkaja auch direkt nach der Aufwärmung ein. Mit dem „Psychotraktor.“ Der Frontsänger Georgij Makazaria erklärt für alle Neuzugänge was auf sie zukommt:

„Das ist so ähnlich wie in Spanien, wenn sie davonlaufen vor Stier. Wir haben in Russland eine vegetarische Lösung. Wir laufen davon. Vor TRAKTOR!“

Die Vorgehensweise ist einfach. Es wird eine Mitte auserwählt, der besagte Traktor. Alle anderen laufen im Kreis um diesen Punkt herum. Wozu? Zur „Kollektivgefühlbewusstseinserweiterung“, abgekürzt „KGB“, so Makazaria. Das bedeutet vor allem: Miteinander statt gegeneinander. Rücksichtnahme wird großgeschrieben. 

Von einem Highlight zum nächsten

Fünf Runden später fand ich mich am anderen Ende des Raumes wieder. Durchgeschwitzt und überraschenderweise unversehrt. Während ich mich wieder vorkämpfte, folgten Big News: Es handelt sich nicht nur um das Abschlusskonzert der Tour. Die einzige Frau im Bunde, Violinistin Mia Nova, hat Geburtstag! Der ganze Saal singt für sie. Die Stimmung könnte nicht besser sein. Paar Songs später auch schon das nächste Highlight. Plötzlich stehen Subway to Sally mit auf der Bühne und die Bands performen zusammen den Song „Veitstanz“. Mini-Wacken um mich herum rastet komplett aus. Während ich bei diesen Mittelalter-Metall-Klängen eher verhalten mitwippe. Das habe ich nun wirklich nicht erwartet. Noch weniger das, was folgte.

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Heiße Bühnenshow.
Foto: © Kristina Schwan / [030]

Heiße Emotionen

Das Konzert war vorbei. Doch Russkaja hatten noch nicht alle Trümpfe ausgespielt. Zu Beginn der Zugabe spielten sie die Ballade „Otets“, übersetzt „Vater“ –  ein Lied über liebevolle Kindheitserinnerungen. Die Devil Horns wurden gegen Feuerzeuge ausgetauscht und ich habe ein feuchtes Glitzern in den Augen Einiger entdeckt. Um die Stimmung wieder auf aufzuladen, zauberten sie im Anschluss ganz passend „Energia“ aus ihrem Repertoire. Ehe ich mich versehen konnte, rannten sechs halbnackte Typen mit um die Hüften gewickelten Handtüchern auf die Bühne. Die Vorband Coffeeshock Company gesellte sich dazu, tanzte den Kasatschok und pushte das wahnsinnige Finale. Als die Scheinwerfer auf die Crowd gerichtet wurden, stand das Resümee des Abends über den Köpfen aller. Schwaden heißen Dampfes stiegen von der Menge auf. Chapeau, Russkaja! Ihr könnt euren Fans ordentlich einheizen.