Henrik, mit deiner neuen Platte ‚Skripted Orkestra‘ machst Du jetzt in Orchester. Wie kam es dazu?
Ich habe ja bereits früher etwas mit Orchester gemacht, als ich elektronische Musik nachgespielt habe. Weil das sehr viel Arbeit war, dachte ich danach eigentlich, ich kann das nicht mehr machen. Das ist zuviel für einen alleine. Ein Wahnsinns-Aufwand. Doch da kam das Metropol-Orchester zu mir und sagte: Willst du nicht neue Musik für uns schreiben?
Du hättest ‚Nein‘ sagen können.
Stimmt, aber ich fand das doch recht verlockend, weil der Dirigent Jules Buckley mich ermutigt hat, mich hinzusetzen und
loszulegen.
Inwiefern verlockend?
Eigentlich war ich ja frustriert mit der ganzen Orchesterwelt und den Abläufen. Der ganze Aufwand und dann klang es nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, weil sich zu wenig Zeit genommen wird, um was zu üben. Schrecklich. Aber er sagte: Das Metropol ist anders, die können das alles spielen. Die grooven wie die Hölle. Da dachte ich, okay, ich versuchs nochmal.
Das Rüstzeug hattest du ja jetzt.
Genau, vor allem nach dem ersten Album fühlte ich mich in der Lage, es zu machen. Ich fühlte mich besser ausgebildet. Und es hatte eine große Leichtigkeit, gerade weil ich es interessant fand, direkt fürs Orchester zu schreiben.
Das faszinierende bei Orchestern ist ja, wie viele Einzelteile ineinandergreifen und am Ende klingt es dennoch wie aus einen Guss. Dennoch ist es recht weit von der Elektronik entfernt. Da heißt es: Software starten, Klick rein und los geht`s. Worin lag genau der Reiz für dich?
(lacht) Mich hat das Orchester als Klangkörper interessiert. Ich beschäftige mich seit 25 Jahren mit Sound. Aus meiner Perspektive gibt es einen Innovationsstau, wenn es um die Entwicklung neuer Sounds geht. Seit 6,7 Jahren ist kein radikal neues elektronisches Instrument oder eine Software erfunden worden, die uns mit radikal neuen Sounds versorgt hätte. Deshalb habe ich angefangen, akustische Instrumente als Klangquelle zu benutzen und die zu verfremden. Das war ein neuer Sound. Und dann mit Elektronik daran gehen. Deswegen war es verlockend, das mit dem großen Orchester zu machen. Das Erzeugen von Klang funktioniert ganz anders. Wenn du eine Taste am Synthesizer drückst, passiert was, das ist in sich schon komplex. Wenn du aber eine Note spielst, passiert erstmal gar nichts. Alles was du an Lebendigkeit und Sound erzeugen willst, musst du schreiben. Jede noch so kleine Veränderung musst du überlegen. Und sie ausprobieren und schreiben. Dann muss es mit vielen anderen funktionieren. Das ist eine sehr bewusste Art damit umzugehen. Du guckst auf den Sound wie mit einer Lupe. Man stellt fest: Die können soviel erzeugen. Das klang alles so frisch und neu. Und ich wollte mit Computern dann daran gehen. Nicht wie ein klassischer Komponist. Das war für mich alles sehr neu. Und interessant.
Du bist kein ausgebildeter Musiker.
Genau. Ich bin Autodidakt. In 20 Jahren habe ich mir Wissen und Handwerk erarbeitet.
Musiker haben eine eigene Sprache. Inwiefern musstest du die der Profis noch lernen?
Die Sprache kann ich noch nicht gut. Nach dem ersten Album habe ich gemerkt: Ganz ohne Wissen geht das nicht. Vor fünf Jahren habe ich angefangen, Klavierunterricht zu nehmen als Konsequenz daraus. Ich hatte das Gefühl, in der Elektronik muss ich einen Schritt weiter gehen. Musiktheoretisch war ich an eine Grenze gestoßen. Es gibt ein paar Dinge, die sind nicht logisch. Die konnte ich mit Nachdenken nicht erreichen. Es war erfrischend, einen Lehrer zu haben. Ich konnte manche Noten nicht erreichen. Mit Logik. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, es einfach zu tun. Das war für mich ein großer Befreiungsschlag. Ich kann jetzt besser mit Musik hantieren. Das versetzt mich in die Lage, etwas herzustellen, was spielbar ist. Spieltechnische Fragen kann ich eh nicht beantworten, weil ich spiel nicht Geige. Da ist eine große Gruppe am Arbeiten.
Läuft man nicht Gefahr etwas zu formulieren, wo ausgebildete Musiker sagen: Naja… Das ist jetzt etwas sehr simpel. Oder waren die dir gegenüber gnädig?
Eher andersrum. Viele Sache waren neuartig für die Musiker. Meine Partitur sieht anders aus, als eine klassische. Ein aufgeschlossener Musiker sagt: Das finde ich interessant. Das ist eigentlich eher die Haltung, die mir begegnet ist. Viele sagen: Wow, etwas völlig anderes. Das finde ich toll. Das ist wichtig für mich im Selbstverständnis. Das hilft mir, da ranzugehen.
Da ist sicher die Unsicherheit.
Total. Absolut. Ich weiß: Ich habe Ideen. Darauf kann ich mich verlassen. Ich brauche vielleicht drei Runden, um die umzusetzen. Ich stelle es mir manchmal einfacher vor. Aber das räumt man aus. Wichtig ist, dass man sich gegenseitig ernst nimmt. Offenheit ist wichtig.
Was ist dir bei deinen Performances im Clubkontext wichtig?
Facettenreichtum. Musikalität ist wichtig. Elektronische Musik ist ein Entertainment-Vorhang, der funktionieren muss. Ich fand es spannend, elektronische Musik zu hören, die mehr ist, als das. Eine tolle Plattform, um verrückte Dinge zu tun. Frei zu sein.
Du bist in der Vergangenheit nicht gleich auf Orchesterniveau gestartet. So eine Produktion in der Größe – das muss man schon ein paar Platten verkaufen, damit sich das heutzutage rechnet.
Ja, meine Haltung ist: Es ist wichtig, dass man es macht. Das man sich Mühe gibt. Das wird ja immer weniger. In dieser optimierten Welt, in der alles sofort klappen muss. Es ist super anstrengend, aber es macht Spaß, gegenzuhalten und aus dem Vollen zu schöpfen. Da bricht dir der Schweiß aus. Das ist aber auch nötig. Die Sorgfalt: Das ist toll, was man auf die Reihe kriegt, wenn alles geduldig ihr Ding machen. Das sind viele interessante Aspekte.
… und dann die instrumentale Perfektion auf Band bannen.
Absolut. Und du brauchst einen Willen dazu. Das ist das Tolle bei Metropol. Die haben Bock, was Neues zu machen. Es ist scheiß-egal, wie das auf dem Papier aussieht. Dann spielen die es und es wird immer besser. Plötzlich explodiert das. Sobald alle Teile ineinander klicken merkst du: Hoppla! Genauso! Dann verhundertfacht sich die Energie. Dann lohnt sich die ganze Mühe. Toll, dass Leute soviel Energie reinstecken, um was neues zu machen. Dass es das noch gibt.
Hast du das Gefühl, dass die offener sind, als deine Kollegen aus der elektronischen Branche?
Kann man pauschal nicht sagen. Was man auf jeden Fall sagen kann, ist: Deutschland hinkt da etwas hinterher in der Orchesterkultur, was Offenheit angeht. England und Niederlande sind da weiter. Da sitzen eine Menge junger Leute, die tierisch was drauf haben. Und die in den Club gehen am Wochenende. Dann spielen sie bei der Arbeit Musik, die 200 Jahre alt ist. Die wünschen sich, etwas modernes zu spielen. Kann ich nachvollziehen. Die wollen das. Das ist eine große treibende Kraft. Und die Kuratoren merken es auch langsam und machen die Türen auf. Da ist eine Lust am Experiment.
Deine Platte ist erschienen, wie geht es weiter mit dir und der Orchesterwelt?
Ich bin sehr gespannt. Meine Platte ist mit dem Inkrafttreten des Datenschutzgesetzes veröffentlicht worden und Musik hat viel mit Daten, Technologie und Menschlichkeit zu tun. Mal sehen was passiert. (lacht)
Danke für das Gespräch.
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Titelfoto: © Tino Pohlmann