jan böhmermann, neo magazin royale, polizistensohn

Jan Böhmermanns erster Ausflug in Gangstarap-Gefilde "Ich hab Polizei" vor knapp 9 Monaten wurde auf Grund offensichtlichen Spiels mit der Rhetorik von Künstlern wie Haftbefehl von der Musikszene kontrovers diskutiert. Jetzt meldet sich sein Alter Ego POL1Z1STENS0HN mit neuer Munition zurück.

Haftbefehl hatte damals mit "Copkkkilla" zufällig einen Track im Rohr, der sich perfekt als Antwort auf die Satire des Moderators lesen ließ und nutzte die Gelegenheit zum Promomove, Marcus Staiger warf Böhmermann bei Noisey recht überzeugend "standesgemäße Überheblichkeit" vor, Kollegah und viele Andere vertraten die Ansicht, die deutsche Rapszene müsse in der Lage sein, über solchen Dingen zu stehen und die Tatsache, dass sie parodiert wird als Kompliment an ihre Relevanz in Deutschland verstehen und haben damit natürlich nicht ganz Unrecht.
Hip-Hop-Persönlichkeiten neigen dazu, sich angegriffen zu fühlen. Im Falle eines Mainstream-Mediums wie dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat das aber eine Geschichte. Die konstruieren nämlich schon seit es Rapmusik in Deutschland gibt ein Stigma von platten "yo, yo" und Gangsign-Klischees, durch die sich die Figur des Rappers immer dafür anbietet, von Entertainern, die über ihren nächsten Gag nicht länger als zwei Sekunden nachdenken wollen verwurstet zu werden. Dazu muss man nicht einmal einen Song gehört haben. Das frustriert die Akteure und ihre Fans und kann tatsächlich sehr problematisch sein, wenn die Parodisten übersehen, dass sie sich im Endeffekt gerade über mangelnde Deutschkenntnisse oder ein ärmliches Aufwachsen lustig machen, und das zur Primetime auf dem ZDF.

Neues vom POL1Z1STENS0HN: Er ist klein und blass

Zum gestrigen Auftakt der neuen Staffel NEO Magazin Royale war Böhmermann natürlich auf der Suche nach großen Momenten und Themen, die für Gesprächsstoff sorgen und entschied sich für eine Fortsetzung seiner Rapkarriere, unter dem gehabten Namen "POL1Z1STENS0HN." Bisher ist unbekannt, ob ein Debüt-Album in Planung ist. Single zwei, "Blasserdünnerjunge macht sein Job", ist erneut gut geschrieben und produziert – was Soundbild, Flow und Jargon betrifft gibt es ganz offensichtlich Leute in Böhmis Team, die die Vorbilder gut kennen und verstehen – , inhaltlich aber weniger interessant als "Ich hab Polizei", der noch sehr nachvollziehbar bestimmte Genrekonventionen invertierte. Hier hat POL1Z1STENS0HN diese Genrekonventionen schon angenommen, denn er representet, zitiert seine Hater, verweist auf seine Clickzahlen, so wie es jeder deutsche Straßenrapper tut, wenn er eingeschnappt ist. Die Selbstironie steckt darin, dass er ein kleiner blasser Junge ist, ein Lauch könnte man sagen, und nicht stereotypischen Erwartungen an das äußere Erscheinungsbild eines Straßenrappers entspricht. Dieses Konzept ist aber beinah so alt wie Hip-Hop selbst und wird in Deutschland von Künstlern wie DCVDNS oder Battleboi Basti bereits konsequenter umgesetzt. "Du hast gut trainiert, ich hab Polizei" war noch subversiver und pointierter als "Asi mit Abi. Lieb ihn oder hass ihn." "Blasserdünnerjunge macht sein Job" ist ein nettes Comedy Segment, für den Diskurs aber uninteressant. Denn Böhmi rudert stilistisch zurück. Nicht nur werden sehr viel weniger Artikel ausgelassen und sehr viel weniger [ch] als [sch] ausgesprochen, auch die Dichotomie des stattfindenden Battles hat sich verändert.

Ist das noch Revolution oder schon Satire?

Während "Ich hab Polizei" noch feststellte "Du bist Asi, Straßenkind, breit gebaut und gewaltbereit und hältst dich für cool, indem du das Gesetz brichst, sobald ich lauchiger Gutbürgerlicher aber meine Überlegenheit an geistiger Reife nutze und die Polizei rufe, gewinne ich.", im Endeffekt also der stilisierten Welt des Straßenraps einen Spiegel der Realität vorhielt, arbeiten die neuen Zeilen nicht mit sozialen Kategorien, sondern erkennen lediglich die Kritiker an, um sie dann durch den Verweis auf Erfolg und Clicks entkräften zu wollen. Diese Argumentation enthält natürlich nicht nur einen ideologischen Fehlschluss, sie ist auch kein bisschen subversiv und könnte genauso diverse Bushido-Tracks zusammenfassen. Marcus Staiger ist damit eher bestätigt als entkräftet. Haftbefehl taucht lediglich mit dem Geständnis, er finde Böhmermann nicht lustig im Video auf, woran sich wohl keiner und er selbst am wenigsten groß stören wird. "Blasserdünnerjunge macht sein Job" macht seinen Job. Es ist unterhaltsam und gut produziert und besitzt eine Daseinsberechtigung. Böhmermann konstruiert sich aber erneut selbst als kontroversen Aufbegehrer. "Ist das noch Satire, oder schon Revolution?" fragt er. Kontrovers, geschweige denn revolutionär ist hier nichts. Ich hoffe ja, dass Böhmermann sich für seinen nächsten Raptrack vielleicht nur noch "BLߡ55ERDÜNNERJUNGE" nennt und mich zitiert. Darüber wird dann endgültig niemand mehr sprechen. Bitte, Böhmi! Bitte!