030, Berlin, Charlottenburg, Festival, Film, Filmkunst66, Israel, israelisch, Juden, jüdisch, Jüdisches Filmfestival Berlin & Brandenburg, Kunst

Kein Witz: Die wahre Story der Frau, die Filmstar war und das WLAN erfand. Um die Nazis zu besiegen. | Interview

Ihr glaubt das nicht. Die Story klingt nach alternativer Realität. Einem Science-Fiction von einem Autor, der auf einem Trip war. Falsch. Das Bizarre ist, dass diese Geschichte wirklich wahr ist. Und wir sie bislang noch nicht gehört haben. Ihr auch nicht? Dann jetzt den Text lesen – und das Interview. 

Technik und Nazis

Man stelle sich vor: Die schönste Frau der Welt, ein Hollywoodstar, erfindet im Zweiten Weltkrieg eine Technologie, um die Nazis zu schlagen. Ihre Erfindung wird vergessen, Jahrzehnte später wird die Technik die Grundlage für WLAN und Bluetooth. Das ist die Story und sie ist wahr. Wir geben es ja zu: Klingt konstruiert und verrückt. Hollywood, Nazis, Erfindungen und so: da kriegt manch Produzent gleich Schnappatmung und will sofort die Filmrechte kaufen. So, jetzt aber zur Sache. Es geht hier um Hedy Lamarr. Eine österreichische Jüdin, die nach Amerika auswanderte. Sie war ein Filmstar der 1930er und 1940er Jahre, bekannt für ihr perfektes Gesicht. Aber eines unterschied sie von anderen Stars: Statt auf Partys zu gehen, entwickelte sie eine Technologie, die die Fernsteuerung für U-Boot-Torpedos hätte überlisten können, um die Übermacht der Nazis im Krieg zu brechen. Diese Erfindung wurde Grundlage der heutigen WLAN- und Bluetooth-Technik. Auf dem Jüdischen Filmfestival, das gerade stattfand, hatte ein Dokumentarfilm Deutschlandpremiere, der ihr unglaubliches Leben erzählt. In »Geniale Göttin – die Geschichte von Hedy Lamarr« rollt Alexandra Dean ihre Story auf.

Wir waren bei Deutschlandpremiere des Dokumentarfilms »Geniale Göttin« im Filmkunst66 in Charlottenburg.

Daniela Düsentrieb

Kurz vor ihrem Tod entdeckten Wissenschaftler ihre Erfindung, die als Basis der heutigen Kommunikationstechnik für sichere WiFi-, GPS- und Bluetooth-Verbindungen dient. Als österreichische Jüdin, die nach Amerika emigrierte, erfand sie ein störungsgesichertes Fernmeldesystem, das zur Niederlage des Dritten Reiches hätte beitragen können. Sie wollte ihr Patent der amerikanischen Marine übergeben, wurde aber abgewiesen – sie solle mit ihrem Ruhm lieber für Kriegsanleihen sorgen. Hedy Lamarr hat nie öffentlich über ihr Leben als Wissenschaftlerin gesprochen und so hat auch ihre Familie Hedys Erbe mit ihrem Tod begraben geglaubt. Es waren die Regisseurin Alexandra Dean und der Produzent Adam Haggiag, die vier Kassetten, auf denen Hedy ihr unbekanntes Leben dokumentierte, fanden und veröffentlichten. Es ist eine späte Würdigung ihres unentdeckten Lebens als Erfinderin und als Wissenschaftlerin, in der sie erstmals ihre eigene Geschichte erzählen darf. Kinostart des Dokumentarfilms ist am 16. August. Bei der Premiere im Filmkunst66 in Charlottenburg führte der Film- und Kulturwissenschaftler Prof. Frank Stern in das Thema Hedy Lamarr ein. Wir haben ihm gesprochen:

Interview mit dem Film- und Kulturwissenschaftler Prof. Frank Stern, Universität Wien

Wie lange beschäftigen Sie sich mit der Person Hedy Lamarr?

Jahrzehnte.

Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

Hedy Lamarr gehört zu den Filmgrößen, die von Deutschen und Österreichern vertrieben worden sind und ins Exil gezwungen worden sind, weil sie Jüdin war. Die Frage des Exils der circa 2000 aus Berlin vertriebenen Filmschaffenden gehört schon sehr lange zu meinen Forschungsschwerpunkten.

Was fasziniert Sie persönlich an dem Thema?

Dass sie Wienerin war, dass sie Amerikanerin war, dass sie eine ausgezeichnete Schauspielerin war, bereits hier in Berlin, Prag und Wien fünf Filme gemacht hat, bevor sie nach Hollywood ging. Dass sie eine Intellektuelle war, die als Erfinderin die Grundlagen geschaffen hat, für das, was hier auf dem Tisch liegt. Wi-Fi, Bluetooth, Handy: die ganze Technologie. Sie hat damals die Erfindung gemacht, nicht um Handys zu erfinden, sondern primär um der amerikanischen Navy bei den Kriegsanstrengungen gegen die deutsche Marine und das deutsche Reich zu helfen. Und Torpedos zu entwickeln, die ungestört deutsche Kriegsschiffe und U-Boote hätten vernichten können.

Eine unglaubliche Geschichte – warum wurde das von Hollywood noch nicht verfilmt? Ist ja ein Riesen-Stoff.

Es gibt viele Stoffe. Genauso kann man fragen, warum verfilmen deutsche Filmschaffende nicht die Geschichte des jüdischen Widerstandes im Dritten Reich? Da gibt es bis heute auch keine Filme bis auf »Die Unsichtbaren«. In Hollywood sind es wirtschaftliche Aspekte: was ist attraktiv? Ich könnte mir durchaus denken, dass nach diesem Dokumentarfilm das Interesse wachsen dürfte. Aber warten wir ab. Sie selbst hat ja Filme gemacht, in denen sie die Frage des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Flucht aus der Festung Europa vor den Nazis, die Frage: was passiert, wenn man keine legalen Unterlagen hat, keinen Pass? Es gibt eine ganze Reihe von Spielfilmen, in denen Hedy Lamarr versucht hat, in den 40er-Jahren die amerikanische Filmöffentlichkeit auf diese Themen hinzuweisen.

War ihre Erfindung wirklich die Grundlage für Wi-Fi und Bluetooth?

Die Grundlage für diese Technologien ist das »Frequenz-Hopping«. Mit unterschiedlichen Frequenzen Technologien zu entwickeln, die eine ungestörte Kommunikation ermöglichen. Das hat sie erfunden. Es ist nicht sofort militärisch genutzt worden. Das Patent ist verschwunden, das hat sie übrigens unter ihrem Mädchennamen eingereicht. Es ist erstmalig militärisch eingesetzt worden in der Kuba-Krise, so dass man davon ausgehen kann, dass man Kenntnisse von ihren Erfindungen hatte. Und dass diese Kenntnisse auch genutzt wurden.

Hat Hedy Lamarr ein Doppelleben geführt?

Nein, das war kein Doppelleben. Sie war eine sehr vielschichtige Frau und in Hollywood und auch in Europa ist sie immer auf die Rolle der schönsten Frau der Welt, des schönsten Gesichtes, ihre erotische Ausstrahlung und ihre Schauspiel-Rollen reduziert worden. Aber das hat sie nie selbst gelebt. Sie war Mutter, Ehefrau, Geliebte, Erfinderin. Sie war in den 40er-Jahren die Künstlerin, die die höchste Summe an Kriegsanleihen in den USA heranziehen konnte, weil sie die Menschen überzeugt hat: Man muss dem Staat helfen, man muss die Nazis besiegen. Sie hatte viele Gesichter, sie war eine Persönlichkeit, die sich nicht auf den Schauspiel-Beruf reduzieren lässt.

Hedy Lamarr ist ein Role Model für Bildung, Erfindungsgeist, intellektuelle Neugier

Ist sie ein Role Model für eine emanzipierte Frau, eine moderne Frau?

Sie war sicher keine Feministin, aber sie hat immer darüber geklagt, dass sie auf ihr Gesicht reduziert wurde. Ihr war auch immer klar, dass das der Punkt ist, an dem sie nicht weiterkommt. In Washington beim Ministerium hat man ihr gesagt: Du solltest durch deine Schauspielkunst die Massen bewegen und etwas erreichen, also Kriegsanleihen beschaffen. Man hat sie nicht als Erfinderin wahrgenommen, obwohl man ihre Erfindungen genutzt hat. Sie ist ein Role Model für Bildung, Erfindungsgeist, intellektuelle Neugier, nichts so zu lassen, wie es ist, sondern zu hinterfragen. Darüber künstlerische Leistungen zu entwickeln. Sie hat als Produzentin und Regisseurin gearbeitet. Sie ist im Beruf vielfältig und in dem, was sie damals als gesellschaftliche Aufgabe, als politisches Engagement, verstanden hat. Insofern ist sie ein Role Model. In politischen Krisen sind Künstler und Intelektuelle gefordert, rauszugehen in die Gesellschaft, zu überlegen: was können wir tun, was können wir verändern? Und das hat sie gemacht, solange sie konnte.

Was bleibt von ihr?

Das kann ich klar sagen: Einmal Bluetooth, das es auf der ganzen Welt gibt. Aber nicht vielen Menschen ist das bewusst. Ich finde, solche Dokumentarfilme sollten an Schulen und Universitäten eine Rolle spielen. Auch in der Physik, Mathematik. Um zu sehen, wie Dinge verbunden werden können. Das Zweite ist – als Aufgabe an die deutsche Filmwirtschaft: Warum gibt es nicht die Hedy-Lamarr-Filme als Box in irgendeiner Form auf dem Markt. Einen erheblichen Teil ihrer Filme gibt es nicht zu kaufen. Die Filme, in denen politische Ideen stecken, in denen sie zeigt, was sie als Frau und Künstlerin kann und macht und wie sie die Position einer modernen Frau umzusetzen: diese Filme fehlen auf dem Markt.

Foto: © Wikimedia Commons