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Ihr Tempo ist grotesk, sie rasen Berge runter, die aberwitzig steil sind. Lawinen können immer zuschlagen. Gletscherspalten sie in den Abgrund reißen. Unsere Praktikantin ist Österreicherin, ihr Sport: „Freeriden“. Wir haben sie zu einem Interview geschickt – mit der Weltmeisterin dieser Sportart. 

Steile Abhänge nehmen sie, als wären es Maulwurfshügel.  Sie weichen Lawinen aus, sie springen über Felsen und Baumstümpfe. Schießen Abhänge runter, bei denen einen die blanke Angst packt. Freerider leben gefährlich. [030]-Praktikantin Claudia ist zufällig eine von ihnen. Sie ist Österreicherin. Und hat jetzt Arianna Tricomi für uns interviewt, Weltmeisterin im „Freeriden“. Sie war gerade in Berlin. Das Freeride-Film-Festival machte einen Tour-Stop in der Kulturbrauerei. Die Weltmeisterin war auch mit dabei. Wir schickten also Claudia, gerade 20, hin, um ihr Idol zu interviewen. Ja, Praktikum bei [030] lohnt sich. An der U-Bahnstation Eberswalder Straße liefen sich die beiden dann über den Weg. „Wir sind zur Kulturbrauerei spaziert und da hat sie mich dann in den Tourbus eingeladen“, erzählt Claudia im Anschluss an ihr Treffen, mit einem dezenten Anflug von Stolz. Bevor der Film der Sportlerin vorgestellt wurde, quatschten die beiden munter miteinander. Ein Gespräch über einen gefährlichen Sport. Lest unten das Interview.

Ab! …Hang!

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Frische Luft sei gesund. Hier schnappt Arianna diese in vollen Zügen. Foto: © Atomic

Gleich vorweg: Wie bist du so gut geworden im „Freeriden“?

Also, ich fahr Ski seit ich 3 Jahre alt bin. Und ich bin eigentlich mit Ski-Fahren aufgewachsen. Meine Mama war selber im Welt-Cup. Sie ist bei Olympia in der Abfahrt mitgefahren. Mit ihr hab ich angefangen. Also meine Mama hat mir eigentlich alle Aspekte vom Skifahren gezeigt. Mit 6 hab ich angefangen Alpin zu fahren. Aber das war mir schon mit 14 zu anstrengend. Es gibt halt mega viele Regeln, es ist kein Spiel mehr, es ist schon fast wie Arbeit, aber man ist halt 15. Dann sind zwei gute Freunde von mir unter einer Lawine gestorben. Das war der Zeitpunkt, an dem ich gesagt hab, ich mach was ich will. Scheiss auf alles, scheiss auf alpin-Skifahren, ich bin ein bisschen rebellisch geworden. Und so bin ich zum Freestyle gekommen.

Aber irgendwann hab ich halt gemerkt, dass das ein bisschen schwierig ist, wenn man in den Bergen lebt und Profi-Surferin werden will. – Arianna Tricomi

Wie war das damals, als du angefangen bist. Wie kam dein Hobby so an?

Das war sehr cool die ersten Jahre, da waren nämlich noch fast keine Snow-Parks und wir haben uns die Schanzen und Kicker selber gebaut. Es war richtig wild noch. Unser Sport war nicht angesehen und: auch nicht gern gesehen. (lacht) So nach dem Motto: „Diese Penner, die zerstören alles“. Ich hab echt megaviel gelernt, ohne Trainer, ohne nix. Einfach mit Freunden ein bisschen „rum hupfen“ und dann halt auch mal auf dem Kopf landen. Richtig random. Und irgendwann gehörte es zur FIS (Anm. Internationaler Ski-Verband)g. Und auf einmal war es mega seriös und alle sind Athleten und so. Und dann hab ich mir gedacht: „ Jetzt muss ich wieder aufhören.“

„Diese Penner zerstören alles.“

Aufhören, als es gerade losging… Und was hast du dann gemacht?

Ich bin nach Innsbruck gezogen. Ich wusste nicht, was ich machen soll mit meinem Leben. Da hab‘ ich Studieren angefangen, Physiotherapie. Und während dem Studium hab ich mir halt gedacht: „Ja, was könnte ich machen, damit ich halt ein bisschen Uni auslassen kann.“ Und dann bin ich Qualifier gefahren, nur zum Spaß. Nach zwei Jahren bin ich auf der Tour gestartet.

Also hattest du gar kein Ziel?

Nein. Mit 14 dachte ich sowieso, ich will Surf-Weltmeisterin werden. Aber irgendwann hab ich halt gemerkt, dass das ein bisschen schwierig ist, wenn man in den Bergen lebt und Profi-Surferin werden will. Aber Surfen spielt immer noch eine große Rolle. Und mit dem Ski-Fahren wars halt so: mir war nicht einmal klar, dass das eine World-Tour ist. Eine Saison lang hab ich das nicht gecheckt. Und am Ende des Winters haben halt alle gefeiert am letzten Stop. Und ich hab mich halt gefragt: Hä, was machen denn die? Und die meinten: „Ja, wir haben uns für die Tour qualifiziert!“

Ich finde es sowieso ein bisschen schräg, dass dir jemand Punkte gibt, wie du einen Berg runter fährst. – Arianna Tricomi

Wie haben deine Eltern reagiert?

Für mich war das eher immer eine Ausrede für meine Eltern, damit die dachten ich mach was. Ich konnte ihnen nämlich nicht sagen „Ja ciao ich fahre jetzt 8 Stunden nach Frankreich zum Ski-Fahren und verpasse schnell ein Paar Tage Uni.“ Da hätten die gesagt, „Ey, Girl. Ich bezahle für deine Uni.“ Nach dem ersten Jahr wollte ich mich wieder qualifizieren. Nicht um Weltmeisterin zu werden, sondern weil ich einfach Skifahren liebe. Ich finde es sowieso schräg, dass dir jemand Punkte gibt, wie du einen Berg runterfährst. Du bist halt ein Künstler und zeichnest deine Linie da runter. Und wer kann denn sagen, welches die beste Linie ist. Also man darf sich, glaub ich, von den Judges nicht zu sehr beeinflussen lassen.

Lawinen, Gletscherspalten – alles inklusive

Da hat jemand den perfekten Neuschnee gefunden. Arianna in Action beim Powdern. Foto: © Simon Ricklin

Die nächste Frage stammt aus eigener Erfahrung: Durch Contests verliert man tolle Ski-Tage und die werden immer weniger dank des Klimawandels. Wie siehst du das?

Stimmt. Oft stehst du mega früh auf, dann erfährst du, dass der Contest abgesagt wurde. Zeit zum Fahren muss sie sich halt nehmen. Dann fährt man halt nach dem Contest. In Japan zum Beispiel bin ich jeden Tag Ski gefahren. Dann sind wir fahren gegangen, und am Ende war der Contest eh abgesagt. (lacht) Also logisch, du verpasst manchmal gute Tage. Aber das ist halt einfach auch ein Teil davon .

Das pure Adrenalin

Ist Freeriden nicht ein extrem teurer Sport?

Anfangs haben mich auf jeden Fall meine Eltern unterstützt. Sonst wäre das nicht möglich gewesen. Für die Qualifier hab ich dann für den Sieg 1500 Euro bekommen. Ich habe auf dem Boden bei Freunden geschlafen, mit Gaskocher gekocht. Also schon Sparschienen-Leben. Aber das mach ich eh gerne. Istt schon teuer, ja. Ohne Unterstützung der Eltern oder nebenbei voll arbeiten kann es kaum klappen.

Du bist halt ein Künstler und zeichnest deine Linie da runter. – Arianna Tricomi

Willst du trotzdem weiter Contests fahren, obwohl du schon Weltmeisterin bist?

Ich werde auf jeden Fall wieder mitfahren. Also ich bleibe einfach auf der Tour, so lange ich Lust hab. Die meisten meiner Sponsoren wollen natürlich, dass ich mitfahre. Für mich ist es Spaß. In Zukunft will ich mehr filmen und das beides zusammen ist zu viel. Ideal wäre, wenn ich mir mal ein Jahr Pause nehme und dann wieder komme. Aber das weiß ich jetzt noch nicht genau.

Flieg‘ Adler!

Kannst du also denn davon leben?

Ja. Das ist schon ziemlich cool. Ich bin ja auch noch Physio-Therapeutin. Das Studium habe ich gerade abgeschlossen. Ich weiß, dass ich mit Ski-Fahren mehr verdiene. Langsam habe ich das Gefühl, dass ich mal anfangen will zu arbeiten, weil man sonst echt viel Wissen verliert. Das ist ein Beruf, wo man Menschen anfassen muss und das verlernt man echt schnell. Aber derzeit bleib ich mal beim Skifahren, weil es sonst zu viel ist, beides auf einmal.

Jetzt kommt ja eh gleich dein Film…

Ja, genau. Der ist ziemlich cool. Auch die Musik. Die habe ich mit Freunden und Familie selber im Keller gemacht. Ich glaube, der wird dir gefallen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: © Freeride World Tour / Rocko Menzyk