Himmel über Berlin, Wim Wenders, Interview

Wim Wenders: «Mit keinem Film habe ich je so vielschichtige Reaktionen erlebt»

Vor 30 Jahren gewann Wim Wenders mit „Der Himmel über Berlin“ in Cannes die Goldene Palme. Nun präsentiert er ein sorgfältig restaurierte Fassung seines Kultfilms mit zwei Engeln in der geteilten Stadt. Die Vorstellungen auf der diesjährigen Berlinale waren schnell ausverkauft – offensichtlich herrscht reichlich Bedarf an diesem Klassiker.

Im Juni präsentiert Wenders, 72, dann seine Dokumentation „PapstFranziskus – Ein Mann seines Wortes“. Mit dem Regisseur unterhielt sich [030] Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Herr Wenders, mit welchen nostalgischen Gefühlen sieht man einen Film, der drei Jahrzehnte alt ist?

Wenders: Den „Himmel über Berlin“ habe ich immer mal wieder in Retrospektiven gesehen, so ganz unvorbereitet war ich also nicht. Wenn man an das Original-Negativ herangeht, wie es für eine solche Restauration erforderlich ist, ist das aber schon ein Schock. Man begibt sich sozusagen an die Stunde Null des Films. Zugleich war es damals auch eine Art Stunde Null für Berlin. Wir hatten das Glück, den letzen Zipfel einer Stadt zu erwischen, bevor sie dann verschwunden ist. Ich war damals 42, inzwischen bin ich über 70 – das ist eine echte Zeitreise, sich nochmals in alles hineinzuversetzen.

Wie groß war der Aufwand für diese Restaurierung?

Wenders: Das hat etwa ein Jahr gedauert. An der komplexen Bildbearbeitung, der Retusche und der Lichtbestimmung waren bei ARRI MEDIA acht Fachleute tätig. Für die Bearbeitung des Tons kamen bei BASIS Berlin weitere vier Spezialisten zum Einsatz. Und dann waren Laura Schmidt, die Geschäftsführerin unserer Stiftung, zwei andere Mitarbeiter, sowie meine Frau Donata und ich selbst an dem Prozess aktiv beteiligt. Die Kosten für das Projekt liegen bei etwa 150.000 Euro.

Sie haben schon reichlich Routine bei Restaurierungen. Warum haben Sie mit dem „Himmel“ so lange gewartet.  

Wim Wenders bei der Berlinale 2015. – Foto: © Alexander Janetzko

Wenders: Die 16 Filme, die wir in den letzten vier Jahren restauriert haben, waren die Übungen, der Lernprozeß, den es gebraucht hat, um mit „Der Himmel über Berlin“ nun unser Meisterstück vorzulegen. Das lag daran, dass wir es mit einer schon damals höchst komplizierten Negativherstellung zu tun hatten. Der Film war hauptsächlich in schwarz-weiß gedreht, beinhaltete aber in sämtlichen Rollen auch Farb-Szenen, und genau diese Dramaturgie stellte besondere Ansprüche. Um diese verschiedenen Materialien zu kombinieren, mussten wir vom Original mehrere Umkopierungen erzeugen, so dass die erste Kopie des Films auf dem Festival in Cannes – und alle weiteren Kopien seitdem – sechs Generationen vom Originalnegativ entfernt war. Für die Restaurierung wollten wir unbedingt auf dieses Original zurückgreifen, was damals von Henri Alekan belichtet worden war und was durch seine Kamera gelaufen war,  – und das seitdem niemand mehr gesehen hat.

Bewahrt man solches Material denn üblicherweise überhaupt auf?

Wenders: Nur in den seltensten Fällen. Wir hatten natürlich Bedenken, ob wir dieses Material vollständig wiederfinden würden. Damit stand und fiel ja unser ganzes Vorhaben. Gott sei Dank wurde alles aufbewahrt, wie wir in akribischer Arbeit entdeckten. Im Kopierwerk war vieles eingelagert, andere Filmrollen mit Tausenden von Schnipseln fanden wir im Münchner Filmmuseum, sogar die Outtakes waren dort vollständig vorhanden. Wir haben letztendlich alle Negative wieder gefunden und den gesamten Film identisch Bild für Bild wieder zusammengesetzt, mit allen Blenden und optischen Arbeiten, wie ein riesiges Puzzle

Wird der Künstler da zum Tüftler?

Wenders: In diesem Fall bestand unsere Arbeit in der exakten Übersetzung vom analogen in das digitale Medium. Ich sehe mich selbst nicht vorrangig als Künstler, sondern auch als Filmhandwerker und arbeite gerne mit anderen Handwerkern zusammen – und an dieser Restaurierung waren viele Gewerke beteiligt.

Mit welchen Gefühlen sieht man heute die Fehler, die man damals beim Drehen gemacht hat? Oder blendet man das aus?

Wenders: Man sieht natürlich Dinge, bei denen man denkt: Das hättest du besser hinbekommen können! Gleichzeitig erinnere ich mich an die Gründe, warum alles so gekommen ist wie es dann war. Weil wir etwa eine Szene mit Peter Falk erst in letzter Sekunde drehen konnten, da er am nächsten Tag schon wieder weg musste. Da war vieles improvisiert und hätte bei besserer Planung anders aussehen können. Anderseits macht es gerade den Flair dieses Filmes aus, dass er so ohne Drehbuch entstanden ist. Oft haben wir erst am Abend überlegt, was wir am nächsten Tag drehen könnten. Der „Himmel“ ist wie ein Gedicht entstanden, dem jeden Tag eine neue Zeile hinzugefügt wurde.

Manche fanden die Poesie einst „verquast“. Hat Sie das gekränkt?

Wenders: Der Film stieß damals auf einigen Widerstand. In vieler Hinsicht mag das an der Sprache von Peter Handke gelegen haben. Oder auch an dem „spirituellen“ Hintergrund mit den Engeln. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die den „Himmel über Berlin“ damals überhaupt nicht mochten und ihn aber heute zu ihren Lieblingsfilmen zählen. Es ist ein Film, der irgendwie vor seiner Zeit war. Manchmal macht man Filme, die kommen zu spät. Und andere sind zu früh.

Es ist auffallend, wie häufig schon damals Migranten im Hintergrund zu sehen sind…

Wenders: Man sieht in dieser restaurierten Fassung überhaupt viel mehr. Es ist schon frappierend, wie viele Details in den Kopien der sechsten Generation verlorengegangen sind. Ich selbst habe jetzt auch im Hintergrund etliche Dinge entdeckt, von denen ich sehr überrascht war.

Auf der Berlinale waren die Vorstellungen schnell ausverkauft. Wie erlebt die heutige Generation von Kinobesuchern diesen Film?

Wenders: Ich war auf die Reaktionen eines heutigen Publikums sehr gespannt. Da waren viele vornehmlich junge Leuten im Saal, die den Film nie gesehen hatten. „Der Himmel über Berlin“ ist sehr komplex und offen und entsteht letzten Endes erst im Auge jedes Betrachters. Ich habe mit keinem Film so vielschichtige Reaktionen erlebt, wie mit diesem. In Japan zum Beispiel lief der „Himmel“ ein Jahr lang in einem großen Kino, das sogar mittags ausverkauft war – und da saßen ausschließlich Frauen im Publikum! Man erklärte mir das Phänomen damit, dass unsere Engel den Menschen zuhören und japanische Frauen das von Männern nicht gewohnt wären. Für die war „Der Himmel über Berlin“ wie eine Erleuchtung.

Wäre eine Remix-Version von „Der Himmel über Berlin“ kein Reiz für Sie?

Wenders: Auf gewisse Art habe ich das ja fünf Jahre später gemacht mit „In weiter Ferne, so nah!“. Der spielt im Ostteil der Stadt, den wir im „Himmel“ ja nicht betreten durften. Und die Besetzung war identisch mit dem Original. Im Unterschied zum Ausland ist der Film hierzulande weitgehend unbekannt geblieben. Das letzte, was die Deutschen 1993 im Kino sehen wollten, war ein Film über dieses Land. Keiner erinnert sich an diesen Film, in dem tatsächlich auch Gorbatschow, Heinz Rühmann, Horst Buchholz, Lou Reed, Willem Dafoe und Nastassja Kinski vorkommen. (Lacht)

Ihr nächster Film ist mit dem Papst. Wie verlief die Begegnung?

Wenders: In den letzten 2 Jahren habe ich den Papst jeden Tag am Schneidetisch gesehen und gehört. Wir haben viele Hunderte von Stunden Material gesichtet, von dem Kamerateam, das ihn rund um die Welt begleitete. Für unsere eigenen Interviews haben wir den Papst dann vier Mal für jeweils ein paar Stunden alleine treffen können. Für diese Gespräche haben wir eine Technik verwendet, bei der der Gefragte scheinbar in die Kamera sieht, tatsächlich aber in das Gesicht des Fragestellers. Papst Franziskus hat mir also in die Augen geschaut und ist somit Auge in Auge mit jedem Zuschauer.

Wie lautet Ihr Urteil über Franziskus?

Wenders: Ich habe die allergrößte Achtung vor diesem Mann. Ich glaube, er ist einer der mutigsten Menschen auf diesem Planeten. Franziskus ist unglaublich offen gegenüber allen Menschen, jeder Konfession oder Religion. Insofern ist er heutzutage eine geradezu utopische Figur, der lebt, was er predigt. Deswegen lautet der Filmtitel auch: „Ein Mann seines Wortes“. Papst Franziskus tritt für die 80 Prozent der Menschen ein, die immer weiter von den privilegierten 20 Prozent abdriften.

„Der Himmel über Berlin“ läuft am 18.5. um 21.15 im Freiluftkino Insel am Cassiopeia

DER HIMMEL ÜBER BERLIN

Himmel, Berlin, Wim Wenders

Regie: Wim Wenders

Drehbuch:
Wim Wenders, Peter Handke, Richard Reitinger
Darsteller:
Bruno Ganz, Solveig Dommartin, Otto Sander, Curt Bois,
Peter Falk, Hans Martin Stier, Elmar Wilms, Sigurd Rachman, Beatrice Manowski, Lajos Kovács u.v.m.

 

Home Entertainment-Release: 17. Mai 2018

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