on't worry weglaufen geht nicht mit, gus van sant
Foto: © Amazon Studios

«Die Suche nach Hilfe ist eine universelle Geschichte.» Interview mit Gus van Sant

Mit seinem Jugenddrama ‚My Private Idaho‘ gelang ihm einst ein Kultfilm, für ‚Good Will Hunting‘ gab es den Oscar. Nach dem erfolglosen Remake von Psycho brillierte Gus Van Sant samt Sean Connery mit ‚Forrester – Gefunden!‘. Für das poetisch provokante Schulmassaker-Drama ‚Elephant‘ folgte die Goldene Palme in Cannes. Nach der Kurt Cobain-Biographie ‚Last Days‘ schilderte er mit ‚Milk‘ das Leben von Harvey Milk, des ersten offen schwulen Politikers in Amerika, der 1977 zum Bürgermeister von San Francisco gewählt wurde und wenig später einem Attentat zum Opfer fiel.

Nun präsentiert er mit ‚Don’t worry, weglaufen geht nicht‘ das biografische Porträt des Cartoonisten John Callahan. Mit dem Regisseur sich [030] Mitarbeiter Dieter Oßwald.

Mister van Sant, nach der Berlinale-Premiere saßen Sie bei einem Essen neben Wim Wenders. Worüber redet man da so?

Van Sant: Wim und ich haben uns vor allem über Kameras unterhalten und wie wir sie einsetzen. Außerdem sprachen wir über Bilder, weil wir beide malen ging es darum, welches die besten Farben seien. Politik war jedenfalls kein Thema bei uns, ebenso wenig wie Fußball. (Lacht).

Wie erinnern Sie sich an John Callahan? 

Van Sant: Ich kannte John aus den 80ern in Portland. Seine Cartoons erschienen damals unter anderem auch in unserer alternativen Wochenzeitung ,Willamette Week’. Ich hatte damals gerade mit dem Dreh zu ,Drugstore Cowboy’ angefangen. Wir waren also zwei Künstlertypen, die versuchten, Karriere zu machen – auch wenn er sich viel schneller einen Namen machte als ich. John war eine stadtbekannte Figur. Man sah ihn immer mit seinem Rollstuhl im Regen die Straßen entlangsausen, und sein langes rotes Haar flatterte dabei im Wind.

Manche sagen, die Rolle des behinderten John Callahan hätte von einem Behinderten gespielt werden sollen. Ist das politische Korrektheit zum Abwinken?

Van Sant: Wenn man einen guten Schauspieler mit dieser Behinderung gefunden hätte, wäre das großartig gewesen. Aber ich habe keinen gesehen. Prinzipiell verhält es sich so wie bei schwulen Figuren. Sollen die nur von homosexuellen Schauspielern gespielt werden dürfen? Ich glaube kaum! Entscheidend ist doch letztlich, dass der Darsteller zur Rolle passt.

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Regisseur Gus van Sant – Foto: © Amazon Studios

Wie gut hätte Robin Williams zur Rolle gepasst, der ursprünglich vorgesehen gewesen war?

Van Sant: John Callahan empfand es als ausgesprochen große Ehre, dass er von Robin Williams verkörpert werden sollte, schließlich gehört Willams zu den bekanntesten Schauspielern überhaupt. Entsprechend quälend war für John, dass dieses Projekt immer wieder ins Stocken geriet und die Pläne nicht verwirklicht wurden. Er hat einmal im Scherz gesagt: ‚Wir alle werden tot sein, bevor dieser Film gedreht wird.’ – und so war es in seinem Fall dann leider auch.

Wie bei „Milk“ zeigen Sie auch bei dieser Biografie nur einen Abschnitt aus dem Leben des Helden. Wonach treffen Sie die Auswahl?

Van Sant: Es gibt Biografien, die ein ganzes Leben schildern. Für mich ist es spannender, sich auf die entscheidenden Phasen zu beschränken. Auch „Lawrence von Arabien“ erzählt dessen Leben ja nicht vollständig, sondern nur die wesentlichen Aspekte. Bei „Milk“ war es die Kandidatur von Harvey als Stadtrat von San Francisco. Bei „Don’t worry“ war es der gravierende Unfall, der John an den Rollstuhl fesselte, ihn zugleich aber auch von seiner Alkoholsucht loskommen ließ. Für mich liegt darin, dem fünften Kapitel der Autobiografie, der wichtigste Abschnitt in diesem Leben.

Welche Bedeutung hat für Sie dieser Aspekt der Sucht?

Van Sant: Eine Figur, die nach Hilfe sucht und diese Unterstützung erhält, bietet eine ganz universelle Geschichte. Ich habe sofort darauf reagiert. Und wenn mir das passiert, gehe ich davon aus, dass es vielen anderen ganz ähnlich ergehen wird. Wobei das Überwinden dieser Sucht nur stellvertretend für viele andere Fälle ist.

Stand von Anfang an fest, diese Geschichte auf semidokumentarische Weise mit einer 16mm-Kamera zu erzählen?

Van Sant: Dieses Konzept wollten wir schon bei „Milk“ umsetzen, aber Universal wollte keinen Film dieser Art. Umso mehr war ich begeistert, diesen Stil nun verwirklichen zu können, was Dank der digitalen Technik nun auch viel einfacher möglich ist. Gedreht haben wir mit einer Arri Alexa.

Amazon, Netflix und Co. machen die Finanzierung von solchen Filmprojekten einfacher. Erleben Regisseur wie Sie nun die ganz große Freiheit?

Van Sant: Im Falle von Amazon kann ich das bestätigen. Dort war man sehr an diesem Projekt interessiert, was nicht allerdings nicht bedeutet, man kippt eine Ladung Geld vor die Tür und sagt: ‚Mach’ damit was du willst!’. Es gab immer wieder kreative Gespräche und Vorschläge, die durchaus gut gewesen sind.

Gab es Momente, in denen Joaquin Phoenix Sie an seinen verstorbenen Bruder River erinnerte, mit dem Sie einst „My Private Idaho“ drehten? 

Van Sant: Joaquin erinnert mich an River mit seiner Leidenschaft, auf Unerwartetes zu reagieren. Auch er findet es aufregend, wenn etwas schief gehen oder er etwas spontan erfindet. Denn dadurch wirken die Dinge plötzlich sehr real. Beide standen nie gemeinsam vor der Kamera und kennen deshalb nicht die Technik des anderen. Trotzdem ähneln sie sich sehr in dieser Technik, ebenso in ihrer Hingabe für ein Projekt.

In einem Dialog geht es einmal um den Gegensatz von Kunst versus Handwerk. Wie trifft das auf Ihre Arbeit zu: Machen Sie den einen Film für ein Studio, und den nächsten dann für sich selbst?

Van Sant: Für das Studio habe ich sicherlich „Forrester – Gefunden“ gemacht und für mich „Gerry“, „Elephant“  und „Last Days“. Aber so einfach lässt sich das nicht trennen, meist handelt es sich um eine Mischung aus beidem. „To Die For“ zum Beispiel war eine düstere Komödie, womit Sony jedoch nichts anfangen konnte, weil sie nicht wussten, wie sie den Film vermarkten sollten.

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Spielt die Hauptrolle des körperbehinderten John: Joaquin Phoenix – Foto: © Amazon Studios

Hatten Sie den Erfolg von „Good Will Hunting“ geahnt?

Van Sant: Ich wollte mit „Good Will Hunting“ vor allem erfahren, ob ich auch einen Film mit einer positiven Figur machen kann. Bei „Mala Noche“, „My Private Idaho“ oder „Drugstore Cowboy“ standen ja stets Anti-Helden im Zentrum. Entsprechend zögernd war ich nach dem Lesen des Drehbuchs von „Good Will Hunting“. Ich wusste nicht, ob ich diese positive Figur Will Hunting hinbekommen würde – oder ob ich nur mir negativen Charakteren umgehen kann.

Wie war Ihr Verhältnis zu Robin Williams?

Van Sant: Ich kannte Robin, weil er die Rolle von Harvey Milk spielen sollte in der Verfilmung von Oliver Stone. Der sprang wieder ab und Warner engagierte mich als Ersatz. Ich wurde dann irgendwann gefeuert, worauf dann auch Robin absagte. Seit dieser Zeit mochten wir uns und er war von dem Drehbuch „Good Will Hunting“ sehr begeistert.

Von Oscar bis Palmen – wie erleben Sie den Ruhm und Erfolg?

Van Sant: Als Regisseur habe ich selbst nie die Höhen eines Steven Spielberg oder George Lucas erreicht. Allerdings hat mir meine Arbeit doch einen gewissen Ruf eingebracht. Am Anfang ist es schwierig, innerhalb seiner Künstlerkreise mit dem neuen Erfolg umzugehen. Man kauft ein Haus, weil man auf einmal das Geld dazu hat und will es mit Freunden gemeinsam bewohnen – bis man realisiert, dass es alles gar nicht so toll ist

Sie hypnotisieren durch Bild und Sounddesign – haben Sie jemals versucht, mit subliminalen Methoden das Unterbewusstsein Ihres Publikum unterschwellig zu erreichen?

Van Sant: Ich habe vor langer Zeit tatsächlich einmal ein Drehbuch über dieses Thema gelesen. Aber ich arbeite nicht mit subliminalen Mittel, um unterbewusste Botschaften zu senden. Wir benutzen bei der Musik Elemente, die vielleicht merkwürdige Effekte auslösen, aber nichts davon ist beabsichtigt. Ich habe in einem einzigen Film einmal mit subliminalen Methoden gearbeitet – aber dessen Titel verrate ich natürlich nicht.

Können Sie wenigstens einen kleinen Tipp geben?

Van Sant: Das war in einem meiner Videos, nicht in einem Spielfilm

‚Don’t worry, weglaufen geht nicht‘ läuft seit dem 16. August in den deutschen Kinos.

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