In Extremo, quid pro quo, berlin, interview, band

Fragt man nach den bekanntesten Bands aus Berlin, ertönt sicher früher oder später der Name In Extremo. In 21 Jahren Bandgeschichte schafften es die Mittelalter-Rocker bereits zweimal an die Spitze der deutschen Albumcharts – 2008 mit „Saengerkrieg“ und 2011 mit „Sterneneisen“ – und ausverkaufte Arenen sind mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme.

Auch der aktuelle Longplayer „Quid Pro Quo“, bei Erscheinen direkt auf Platz 1 der deutschen Charts eingestiegen, dürfte die Bekanntheit der acht Vagabunden weiter steigern. Nicht zuletzt durch Kooperationen mit Hansi Kürsch (Blind Guardian), Heaven Shall Burn und den Moskauer Kosakenchor. Wir trafen Sänger Das letzte Einhorn (Micha Rhein), Gitarrist Van Lange (Basti Lange) und Schlagzeuger Specki T.D. (Florian Speckhardt) im Büro ihres Labels zum Gespräch über das neue Album und natürlich über Berlin.

Ihr habt in eurer Karriere bereits 12 Alben veröffentlicht und mehr als 200 Songs geschrieben. Steigt mit jedem Release euer persönlicher Anspruch?

Micha: Ja, wir werden immer kritischer, was gut so ist. Zugleich können wir auch mehr Kritik einstecken. Das ist wie ein Kreislauf. Aber das Rad kann man natürlich nicht neu erfinden. Doch ein Formel-1-Wagen läuft mit einem harten Reifen besser als mit einem weichen und man kann die Felge ja jedes Mal neu bereifen (lacht).

Specki: Es wäre vermessen zu sagen, jede Songidee ist ein Treffer. Es fällt auch durchaus mal etwas „hinten runter“. Aber ich denke, die grundsätzliche Qualität der Ideen ist heutzutage viel hochwertiger als beispielsweise 1997, da wir mehr Erfahrung haben und unseren Job besser können.

Basti: Wenn man feststellt, dass die Songs seit 1997 nicht mehr besser geworden sind, sollte man es auch besser sein lassen.

In Extremo - Foto ©: Robert Eikelpoth

In Extremo – Foto ©: Robert Eikelpoth

Was wolltet ihr im Vergleich zum Vorgänger „Kunstraub“ auf „Quid Pro Quao“ anders machen?

Basti: An die Musik sind wir herangegangen wie immer, aber wir haben bewusst anderssprachige Songs auf das Album genommen, weil wir mal wieder eine andere Phonetik hören wollten.

Specki: Wir machen ja keine fremdsprachigen Songs, um verstanden zu werden. Texte in Altestnisch oder Walisisch versteht ja keine Sau, aber sie erzeugen trotzdem Bilder und Gefühle, was die Faszination daran ausmacht. Ein deutscher Text dagegen muss immer sitzen, denn den versteht hier jeder. Ein deutscher Künstler mit deutschen Texten wird anders bewertet als ein amerikanischer Sänger mit englischen Lyrics. Er darf „yeah, yeah, yeah, baby, I love you“ singen und alle finden es toll. Auf Deutsch ist es viel schwieriger. Es ist immer eine Kunst, dass es nicht peinlich wirkt.

Micha: Allerdings sind ausländische Texte auch eine lange Tradition bei In Extremo und es war uns ein Anliegen, damit auch ein Stück weit zurück zu den Wurzeln zu gehen.

Mit „Roter Stern“ und „Schwarzer Rabe“ sind diesmal gleich zwei Songs rund um Russland vertreten …

Micha: Ja, wir lieben Russland. Vielleicht weil wir aus dem Osten kommen? Ich fahre immer wieder gerne dorthin und wir spielen oft dort. Ich lasse die ganze Politik mal raus, es handelt sich einfach um ein sehr herzliches Volk. Nach dem Motto „Quid Pro Quo“ … sie geben mehr als sie nehmen. Andere Bands schreiben darüber, dass sie in Kalifornien waren, wo die Sonne scheint und die Mädels gut aussehen. Wir schreiben eben über Taigaschnaps, Speck und Knoblauch (lacht).

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 Hoch die Tassen. Das neue Album 'Quid pro Quo' ist da. Foto ©: Robert Eikelpoth

Von Moskau nach Berlin. Die Stadt gilt als die Wiege von In Extremo. Lebt ihr auch heute noch alle hier?

Micha: Die beiden ja (zeigt auf Basti und Specki), ebenso Kai. Marco und Boris leben am Rand von Berlin, Pymonte wohnt an der Küste oben und ich in einem Dorf bei Köln (lacht).

Specki: Inzwischen ist der Großteil der Band wieder in Berlin, was lange nicht der Fall war. Der Einzige, der immer in Berlin war, ist Basti. Die Jungs mit den Familien haben sich in den Speckgürtel verzogen. Ich bin erst seit einem Jahr fest in Berlin und habe zuvor lange gependelt. Die letzten Jahre hat die Band durchaus mal zwischen Rügen und Kroatien gelebt, denn Micha ist viel in Kroatien unterwegs und Pymonte auf Rügen. Aber inzwischen hat es sich wieder alles sehr auf Berlin konzentriert, was der Band gut tut.

Micha: Es ist letzten Endes auch meine Stadt, wenngleich ich seit 20 Jahren nicht mehr hier wohne. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich das Ortsschild passiere und in die Stadt hinein fahre. Aber ich freue mich auch, wenn ich nach drei Tagen wieder weg darf, denn es ist manchmal ganz schön gefährlich, da man hier leicht versackt (lacht).

Specki: Jede Tournee – ob mit Bussen oder Flugzeugen – startet in Berlin.

Probt ihr auch hier?

Basti: Ja. Wir hatten jedoch letztes Jahr einen harten Schicksalsschlag zu verkraften, da unser Studio/Proberaum abgebrannt ist. Es war tragisch. Wir waren gerade neu eingezogen und noch nicht mal einen Tag dort, als es passierte. Der Raum ist in Pankow in einem Industriegebiet. Wir hatten gerade erst alles ausgebaut und Akustikplatten an die Wände geschraubt. Unmittelbar neben uns stand plötzlich eine Autowerkstatt in Flammen. Ich hatte noch vier Stunden, bevor alles hochging, in dem Raum gearbeitet. Da der Veröffentlichungstermin des neuen Albums schon festgelegt war, standen wir unter Zugzwang, alles fertig zu bekommen.

Specki: Es gab eine Gasexplosion und damit ist einen Tag vor Weihnachten 2015 unser Equipment abgefackelt. Das hat uns komplett umgehauen, denn der Plan war eigentlich, kurz vor Weihnachten noch umzuziehen und dann entspannt ins Studio zu gehen.

Das Video zu 'Sternhagelvoll'

Habt ihr mittlerweile einen neuen Raum?

Specki: Noch nicht. Wir sind quasi noch obdachlos. Aber jetzt gehen erstmal die Tourneen und die Festivals los, von daher ist es gerade nicht ganz so dringend.

Musstet ihr komplett neues  Equipment neu anschaffen?

Basti: Wir hatten noch Glück im Unglück. Es sind zwar einige Sachen beschädigt worden und der Raum ist definitiv nicht mehr nutzbar, denn das Löschwasser und den Geruch bekommt man nicht mehr raus. Aber glücklicherweise waren die Dudelsäcke nicht im Raum, denn dann hätten wir wahrscheinlich bis heute keine neuen. Aber was soll’s, was einen nicht umbringt, macht einen stärker!

Wenn ihr die Berliner Musikszene heute und zu euren Anfängen um das Jahr 1995 herum vergleicht, wo seht ihr die größten Veränderungen?

Micha: Es hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Denn was ist seit 1995 schon hängen geblieben? Es gibt natürlich noch die großen Namen wie Beatsteaks, Rammstein sowie uns und fünf, sechs andere, aber dann hört es schon auf. Und das soll nicht arrogant klingen. Es kommt kaum noch etwas Gutes nach. Und wenn doch mal eine gute junge Band entsteht, haben sie kaum noch eine Chance, überhaupt Fuß zu fassen. Die Plattenfirmen wollen teils sogar schon Kohle vom Merchandise-Verkauf und die Hälfte des Eintritts abhaben. Wenn uns jemand so käme, würden aber die Fäuste fliegen. Doch wir sind alte Hasen. Dadurch sind die Bands, die nachkommen, von vorne herein schon ziemlich versaut. Sie können teilweise gar nicht mehr in den Spiegel gucken. Das finde ich sehr schade. Und Bands, die ohne großes Label kämpfen, bekommen kaum noch Auftrittsmöglichkeiten. Es herrschen mehr und mehr amerikanische Verhältnisse, denn viele junge Bands müssen Geld dafür bezahlen, dass sie überhaupt spielen dürfen. Ich finde das beschämend.

Basti: Einer der wenigen Vorteile ist, dass eine junge Band heute das Internet und die ganzen sozialen Netzwerken besser nutzen kann. Aber insgesamt ist es für kleine Bands schon sehr schwierig geworden, da stimme ich Micha zu.

Micha: Was mir bei neuen Bands manchmal fehlt, ist dieses Eigene und eine gewisse Verrücktheit. Wir sind früher einfach losgezogen, haben unsere Verstärker selbst gelötet und sogar noch selber plakatiert.

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Guten Freunden…….kann man auch ab und an mal eine verpassen. – Foto ©: Robert Eikelpoth

Seid ihr selbst noch in Berliner Clubs unterwegs, um euch junge Bands anzusehen?

Micha: Na klar, im Cassiopeia, Bi Nuu, White Trash. Es gibt ja viele Clubs. Wenn ich mal drei, vier Tage in Berlin bin, ziehe ich davon gerne mal zwei Tage um die Häuser. Oder sagen wir mal mittlerweile nur noch eineinhalb …

Specki: Astra, Lido, Bi Nuu … überall da, wo der gute alte Rock’n’Roll und Live-Musik gepflegt werden, denn wir wollen natürlich hören, was in der Musikwelt passiert.

Basti: Popläden sind weniger unser Ding. Früher sind wir gerne ins Knaack gegangen. Schade, dass es das nicht mehr gibt.

Wie geht ihr damit um, wenn ihr von Fans erkannt werdet? Ist das in Berlin anders als in anderen Städten?

Basti: Ja, würde ich schon sagen, denn in Berlin kann man eine gewisse Anonymität bewahren. Hier kann man gut durch die Stadt laufen, ohne dass man ständig nach Autogrammen gefragt wird. Im Prenzlauer Berg habe ich durchaus schon mal Alfred Biolek oder Thomas Gottschalk laufen sehen. Wie man selber damit umgeht, hängt davon ab, wie man gestrickt ist. Bei uns ist es kein Problem

Micha: Es ist natürlich Fakt, dass man als Sänger und Frontmann, der sein Gesicht hinhalten muss, öfter erkannt wird. Aber für mich ist das ganz normal. Dann sagt man eben „hallo“, denn wenn es nicht so wäre, wäre es ja auch schade. Alles easy.

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Am Ende liegt man sich eh wieder in den Armen. – Foto ©: Robert Eikelpoth

Welches waren über die Jahre eure denkwürdigsten Berlin-Konzerte?

Basti: In der Columbiahalle ist es eigentlich fast immer geil! Da gab es nie einen Ausfall. Arena war auch interessant, aber auch etwas merkwürdig, denn früher musste man immer von der Bühne auf einen recht tief hängenden Träger schauen. Aber die Stimmung war super. Bei mir hat sich auch die Zitadelle eingeprägt. Dort haben wir vor vielen Jahren mal gespielt, leider mit Lautstärkebegrenzung. Dennoch war es ein magisches Konzert.

Specki: Gut waren auch das Akustikkonzert bei Dussmann und eine Akustikshow im Tempelhofer Flughafen. Aber besser bleiben bei uns immer die lauten Rockshows mit Pyros und ausflippenden Leuten hängen.

Basti: Wenn man in der Columbiahalle von der Bühne guckt, sieht man oben links die ganzen VIPs. Das sind all die Kumpels und berühmten Leute, die keinen Eintritt bezahlen müssen. Und wenn selbst die nicht nur dastehen, sondern richtig abfeiern, ist das ein Indikator für ein geiles Konzert. Da hat schon oft die Luft gebrannt. Selbst die Promis haben getanzt.

Was ist euer Wunsch für die Zukunft der Band?

Specki: Dass wir mit Gesundheit, Erfolg und Spaß am Leben noch 20 Jahren weiter machen können.

Micha: Dass die Spinnerei nie ein Ende hat!

Basti: Sie wird kein Ende haben!

Danke für das Gespräch!

Das Album „QUID PRO QUO“ ist am 24.06.2016 bei Vertigo / Universal Music erschienen.