In 2019 veröffentlichte das FrauenLesbenFilmCollectif LasOtras den Dokumentarfilm „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“, über den wir bereits im März dieses Jahres berichtet hatten. Im Anschluss an die Vorführung hatte wir einen Interviewtermin vereinbart, welcher aufgrund der Quarantäne erst jetzt via Phoner stattfand.
Im Interview erzählte Christine Lamberty, Mitglied des FrauenLesbenFilmCollectif Las Otras und eine seit Anfang an bestehende Regisseurin der Dokumentation, von den Problemen, den Reaktionen und dem Werdegang der Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora. Auch gewährt sie uns einen Einblick in den feministischen Aktivismus der 70er in der Bundesrepublik.
Für unsere Leser*innen wäre es bestimmt spannend zu erfahren, wer ihr seid und welche politische Arbeit ihr leistet. Könntest du darüber etwas erzählen?
Christine: Das Kollektiv „LasOtras“ besteht schon seit über 20 Jahren, mit immer wieder wechselnder Besetzung. Der harte Kern besteht meist aus 3-5 Menschen. In unserem ersten Film 1996 erzählen Frauen der Sans Papier, der Papierlosen in Frankreich, von ihren Kämpfen. Normalerweise erstellen wir unsere Filmprojekten nicht im ganzen Kollektiv, es sind immer wieder Einzelne, die mit anderen Teams zusammenarbeiten.
Wie ist die Regie damals verlaufen?
Christine: Die Regie zum Film hat gewechselt. Am Ende waren es Maria und ich, die die Verantwortung für das Endprodukt hatten, aber im Grunde ist der Film durch die Zuarbeit von vielen verschiedenen Frauen zustande gekommen. Es waren sehr viele an den Diskussionen beteiligt, an der Gestaltung haben sehr viele mitgearbeitet. Es war im Prinzip ein kollektiver Prozess.
Warum denn eigentlich gerade die Rote Zora, nicht die Revolutionären Zellen an sich? Die RAF oder die 2. Juni Bewegung?
Christine: Ich war immer Feministin und die Rote Zora war damals wichtig für uns. Wir hatten unterschiedliche Politikformen gewählt, aber wir haben uns nicht als abgetrennt gesehen. Die einen machten eben das, was ihnen besser lag, und die anderen das. Das Politikverständnis der Roten Zora war uns relativ nah, damit hatte die RAF oder die 2. Juni Bewegung nichts zu tun.
Gab es etwas, was nicht so gekommen ist, wie ihr wolltet?
Chrstine: Wir hatten es nicht geschafft, wie anfangs geplant, ein direktes Interview mit den Zoras zu machen. Aber sie waren bereit, uns schriftlich auf die Fragen zu antworten. Da wir ihre Erzählungen nicht von Schauspielerinnen vortragen lassen wollten, haben wir uns entschieden, Frauen zu interviewen, die die Geschichte der Zora erzählen konnten. Aus eigener Erfahrung; Oder wie die Historikerin Katharina Karcher, die zu dem Thema ihre Doktorarbeit geschrieben hatte. Die schriftlichen Passagen von den Zoras selbst haben wir nachsprechen lassen.
Wie war die eigene Konfrontation mit dem Thema von eurer Seite aus? Eine bestimmte Motivation, die da mitschwang?
Christine: Meine Motivation war, dass ich in den 70ern und 80ern ein Teil der autonomen FrauenLesben-Bewegung war und Maria, die später bei der Regie mitgemacht hat, auch. Ich wollte eigentlich schon in den 90er Jahren einen Film zu dieser autonomen, auch sehr militanten Bewegung machen, denn sie war ausschlaggebend in den feministischen Kämpfen, kam aber in der Geschichtsschreibung der 90er Jahre kaum mehr vor. Wir haben uns gedacht: Okay, dieser Teil der Geschichte ist wichtig und den wollen wir bewahren. Dieser Film ist aber wegen des komplexen Themas nie zustande gekommen. Daraus wurde dann später die Idee, einen Film zur Roten Zora zu machen. Man kann die Geschichte der Roten Zora auch nicht erzählen, ohne von der militanten FrauenLesben-Bewegung zu sprechen. Das wird in dem Film auch sehr deutlich.
Welche Wirkung sollte der Dokumentarfilm auf die Zuschauer*innen haben? Schließlich gibt es für jedes Projekt ein Motiv.
Christine: Einerseits sollte es auf jeden Fall nochmal die Themen in den Kopf rufen, andererseits soll aber auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte stattfinden. Geschichte ist unserer Meinung nach immer ein wichtiger Bezugspunkt, Referenzpunkt, um aus Erfahrungen zu lernen. Also: Wie waren die Frauen damals unterwegs? Nicht nur die Rote Zora. Die Vorkämpferinnen der feministischen Bewegung hatten sich den Raum zur damaligen Zeit einfach genommen, den sie haben wollten. Sie haben nicht gefragt: Was darf ich?, sondern im Gegenteil – es war damals im wahrsten Sinne des Wortes „Wir brechen unsere Ketten“. Es gab in den Diskussionsrunden nach unseren Filmvorstellungen manchmal Frauen, die sich die Fragen stellten: Warum funktioniere ich so? Was ist eigentlich meine Angst? Was will ich wirklich?. So etwas berührt uns total.
Also sind die Themen und Kämpfe der Roten Zora noch immer aktuell?
Christine: Die Texte der Roten Zora sind hochaktuell. Wir hatten Frauen aus Italien und Spanien interviewt, die uns erzählt hatten, was die Texte heute noch für sie bedeuten. Für die Rote Zora war es wichtig sich auf die sozialen Kämpfe zu beziehen. Noch heute sind Themen wie Gewalt gegen Frauen, internationale Ausbeutungsverhältnisse, der Paragraph 218 und Geburtenkontrolle präsent. Mittlerweile wird Reproduktionstechnologie viel zu unkritisch in breiten Teilen, auch von queeren Strukturen, behandelt. Was mit künstlicher Befruchtung anfing, nämlich der marktförmige Zugriff auf den Geburtsprozess, ging weiter. Dadurch standen Eier für Forschung und Experimente zur Verfügung und befeuerten den eugenischen Gedanken. Und heute haben wir die Situation, dass arme Frauen beispielsweise in Indien oder Sri Lanka 9 Monate in einer Klinik sitzen, um Kinder von westlichen Paaren auszutragen Das ist kritikwürdig. Da sollte der Film auch nochmal einen Denkanstoß geben.
In Zeiten des derzeitigen Rechtsrucks, in denen rechtsradikale Gruppierungen Anschläge verüben und politische Gegner*innen oder Zivilist*innen umbringen, würdest du sagen, dass dort ein gekipptes Machtverhältnis im Umgang mit unterschiedlichen politischen Strömungen herrscht?
Christine: Das ist die alte Erfahrung. Man hört oft, die Justiz sei auf dem rechten Auge blind, aber es ist nicht einmal so, dass sie blind ist – es findet eine unterschiedliche Bewertung statt. „Links gleich Rechts“ ist vollkommen vernebelt von den Zielen und geführten Kämpfen der Seiten her. Rechte werden erst dann bekämpft, wenn sie aus dem Ruder laufen.
Jetzt so, damals so. Gab es einen Grund dafür, dass die 70er Jahre einen derartigen Nährboden für militante Strukturen boten?
Christine: Das ist eine gute Frage (Lacht). In den 60ern gab es einen weltweiten Aufbruch – es waren nicht nur die Linksradikalen hier, es passierte überall auf der Welt. Durch diesen weltweiten Aufruhr hatte man ein anderes Lebensgefühl. Für die BRD war es so, dass die Nazizeit in die Nachkriegszeit gewirkt hat. Eltern, Lehrer, Professoren – viele waren alte Nazis. Dann war der brutale Krieg gegen Vietnam sehr präsent. Die Spargesellschaft aus der Nachkriegszeit wurde zur Konsumgesellschaft und erforderte andere Strukturen. Das waren so Momente, wo die Leute aufgewacht sind und merkten, wie unglaublich repressiv die Gesellschaft war. Es war das Bedürfnis da, aus den bestehenden Strukturen auszubrechen. Und es bestand die Hoffnung, wirklich etwas verändern zu können, Akteurin der Geschichte zu sein. Das drückt zum Beispiel ein Zitat von Rudi Dutschke aus:
Wir können eine Welt gestalten, wie sie die Welt noch nie gesehen hat, eine Welt, die sich auszeichnet, keinen Krieg mehr zu kennen, keinen Hunger mehr zu haben, und zwar in der ganzen Welt. Das ist unsere geschichtliche Möglichkeit! – Rudi Dutschke
Viele Probleme sind immer noch da, aber für viele linkspolitische Organisationen ist Militanz ein Ding der Undenkbarkeit geworden.
Christine: Es hat sich viel verändert in den 90ern, v.a. durch den Mauerfall. Es gab einen starken Druck zur Existenzsicherung durch soziale Einschränkungen, Individualisierung nahm zu – die Hoffnung auf Veränderung verschwand. Auch Befreiungsbewegungen lösten sich auf. Sie wurden damals oft idealisiert, aber daraus konnte man Kraft schöpfen. Aber ich habe das Gefühl, dass es jetzt wieder vorwärts geht, auch nicht nur bei uns. Die Klimabewegung, die Frauenkämpfe auf anderen Kontinenten oder die Frauenstreik-Bewegungen sind erfolgreich, in Chile beispielsweise unglaublich stark. Ich befürchte, dass viele Leute nach der derzeitigen Krise in eine prekäre Situation fallen werden und dann bei den rechts-völkischen Strukturen Anschluss finden werden können. Und da frage ich mich: Was haben wir da entgegenzusetzen? Ich finde es beispielsweise toll, dass jetzt die Nachbarschaftshilfen von linken Strukturen aufgestellt werden und vielleicht neue Beziehungen dadurch entstehen.
In der derzeitigen Krise geht der Feminismus stark unter. Inwiefern gäbe es eine Chance darin, dass das Thema Feminismus von derzeitigen wirtschaftlichen und Klima-betreffenden Themen überschattet wird? Wäre da ein Zusammenspiel möglich?
Christine: Es ist ein patriarchales Denken, das uns in diese Klimakatastrophe getrieben hat. Da gibt es auf jeden Fall eine enge Verbindung zur Entstehung des Kapitalismus, die Unterordnung von Frauen und Natur, als zu beherrschende Ressource. Nach dem Motto: Wir können uns die Natur unterordnen und gestalten sie nach unseren Bedürfnissen. Wir können sie aufteilen, zerstückeln und benutzen. Und das Ergebnis haben wir jetzt. Feminismus ist für mich mehr als nur gegen die Frauenunterdrückung zu kämpfen. Und sowas sagten die Zoras ja auch – dass das Patriarchat nicht nur unmittelbar etwas ist, das die Frauen betrifft – auch wenn das natürlich zu 90% der Fall ist – sondern es ist eine bestimmte Art zu denken und bestimmend für’s Handeln.
Wie waren die Reaktionen auf eure Filmvorführungen?
Christine: Überraschend positiv. Es gab oft spannende Diskussionen. Und es war für uns interessant, dass alleine der Titel, der Slogan Frauen bildet Banden, viele Menschen angezogen hat. Unsere Vorstellungen waren fast immer gut besucht. Es gab Frauen aus andern Ländern, die spontan anboten den Film in ihre Sprache zu übersetzen, deswegen gibt es jetzt für 9 Sprachen Untertitel. Es gab Austausch zwischen unterschiedlichen Generationen, der lange nicht stattgefunden hat. Viele junge Menschen unterhielten sich bei Diskussionen mit älteren und sagten: „Hey, wir können viel von euch lernen – aber ihr könnt auch von uns lernen!“.
Also alles in einem: Wem ist euer Dokumentarfilm an’s Herz zu legen?
Christine: Als wir angefangen hatten, in 2013, war uns unser Publikum nicht wirklich klar. Wir dachten, wen interessiert das überhaupt? Vielleicht ein paar Altfeministinnen, die an ihre kämpferische Zeit erinnert werden. Es kamen aber ganz unterschiedliche Menschen, junge und alte, Frauen und Männer, nicht alle aktiv in linken und feministischen Strukturen. Es konnten aber alle etwas mit dem Film und der Thematik anfangen. Deswegen: Alle, die für das Thema offen sind, fallen in unser Publikum. Dazu kann ich noch hinzufügen, dass zurzeit eine DVD in Arbeit ist, die im Mai bei uns ankommen wird! (Lacht)