Vogue Italia, Paris, 2000 © Mario Testino, Helmut Newton Stiftung, Museum für Fotografie, Ausstellung, Pigozzi, Harder, Berlin, 030 Magazin
Vogue Italia, Paris, 2000 © Mario Testino

Testino, Newton und Pigozzi in der Newton-Stiftung: Entkleiden statt Entblößen

Drei Legenden, drei Ausstellungen, ein Haus. Die Helmut Newton-Stiftung lockt derzeit mit der Werkschau „Mario Testino. Undressed. Helmut Newton. Unseen. Jean Pigozzi. Pool Party“. Im Vordergrund steht der Akt des Ausziehens.


Neben bisher ungezeigten, kleinformatigen Vintage-Prints Helmut Newtons aus der italienischen und französischen Vogue der 70er und 90er sowie Werbekampagnen und Auftragsarbeiten, sind unter der Überschrift „Undressed“ 50 überlebensgroße, poppige Studiofotografien Mario Testions als begehbares Magazin zu sehen – immerzu an der Schnittstelle von Mode- und Aktfotografie. Dazu gesellt sich die „Pool Party“ von Society-Größe Jean Pigozzi, der Jahrzehnte lang schillernde Persönlichkeiten auf seinen ausgelassenen Feiern ablichtete. Wie das alles zusammenpasst? Wir sprachen mit dem Kurator Matthias Harder.

Mario Testino. Undressed Installation shot Helmut Newton Foundation Berlin, 2017 © Gerhard Kassner, Berlin, Ausstellung, 030 Magazin, Interview, Harter
Mario Testino. Undressed, Installation shot, Helmut Newton Foundation Berlin, 2017

Photo © Gerhard Kassner

Herr Harder, sowohl bei Newton, als auch bei Testino geht es um Übergänge von Mode, Erotik und Anatomie. Inwiefern bestehen Verbindungen in der Auseinandersetzung, was hebt sich voneinander ab?

Wir zeigen hier verschiedene Fotografen, aber es ist immer eine Hommage an die Mode, an den Körper, an die Schönheit – diesmal vor allem eine Hommage von Testino an Newton und von uns wiederum an Testino. Er hat uns gewissermaßen den männlichen Körper ins Haus gebracht, der in der Modefotografie ja immer noch eine Art Tabu darstellt. Durch die weiblichen „Big Nudes“ in der oberen Lobby von Newton haben wir nun eine interessante Gegenüberstellung. Einige der nackten Männer von Testino sind eine Art 1:1 Übernahme von Newton – und gleichzeitig eine Paraphrase. Bei der eigens für das Haus konzipierten Ausstellung Testinos wurden seine Bilder übrigens direkt an die Wand angebracht – vom Boden bis zur Decke und bis in die Ecken hinein.

Was macht die Präsentationsform für Sie besonders?

Diese Präsentation ist etwas ganz Neues. Alles findet hier gewissermaßen auf einer Bühne statt und der Betrachter ist mittendrin. Am Ende gucken wir uns vielleicht auch die Menschen an, wie diese die Bilder anschauen. Das bekommt insofern etwas Bühnenhaftes im doppelten Sinne. Die zweite Ausstellung „Newton – Unseen“ ist der traditionelle Weg, Bilder zu betrachten. Im Kontrast dazu haben wir mit Testino ein gigantisches, fast schon bedrohliches Pop-Buch mit dreidimensionalen Seiten geschaffen.

Auffällig ist, dass die Oberflächen der Bilder rein gar nicht an die glossy Seiten eines Magazins erinnern.

Es gibt glossy Magazine, da haben Sie völlig recht, aber neuerdings haben immer mehr Magazine diese Art Papier, wo auch die Haptik von Fleisch und Stoff über die Papieroberfläche nachgezeichnet wird. Das ist ganz bewusst nicht mehr glossy. Auch das gehört zur Dreidimensionalität.

Für den Betrachter verschwimmen die Grenzen zwischen Porträt- und Modefotografie, Auftrags- und freier Arbeit dabei fast gänzlich. Ist das Absicht?

Das stimmt – auch das macht den Trick der Ausstellung aus. Wir haben hier Porträts von jungen Männern, dann wieder ein Fashion-Bild, das kein Porträt ist, und gleichzeitig trägt es porträthafte Züge. Und immer wieder wird auch ein nackter Körper mit ins Bild geschmuggelt – in den freien und angewandten Fotografien.

Geschmuggelt klingt, als würde die Situation für die eigenen fotografischen Zwecke genutzt werden?

Ja, Newton und Testino benutzen das Modesystem sehr geschickt. Beide haben etwas extrem Verführerisches für die Modemagazine realisiert – und auch so zu realisieren gehabt. Es geht um das Verbergen der Nacktheit, aber dann rutscht schon mal der Träger des Oberteils von der Schulter und offenbart wie zufällig Nacktheit. Das ist Verführung mit Mode und durch die Mode, hier vermittelt über ein Modebild. Die Fotografen spielen dabei das raffinierte Spiel der Zeitschriften mit, sie spielen es für die Zeitschriften, aber in letzter Instanz für den Zeitschriftenleser. Und gleichzeitig prägen Fotografen wie Newton und Testino so den Zeitgeist. Wenn wir ihre Bilder sehen, werden wir gedanklich in eine bestimmte Richtung gebracht, was Körperlichkeit und Mode betrifft.

Was unterscheidet Nacktheit für Sie in all diesen Fällen vom Pornografischen?

Für mich ist das einfach nur eine provokante Modefotografie, wobei vieles davon bereits 20 Jahre alt ist. Wir sind in der Modefotografie schon wieder weiter. Für die junge Generation ist das, was wir hier sehen, etwas ganz Normales, bekannt aus den Magazinen, in denen diese Bilder gedruckt werden. Auch das Editorial ist eine Art Werbung – für ein Paar Schuhe oder eine Unterhose. Die guten und erfolgreichen Fotografen erzählen jedoch eine Geschichte drumherum. Wenn es ein Fotograf schafft, eine Everyday-Stituation so zu stilisieren, dass wir sie glauben, und uns das als Modebild verkauft, dann ist etwas ganz anderes als Pornografie. In diesem narrativen Feld ist übrigens auch Newton ein Meister gewesen.

Wie fügt sich Pigozzis „Pool Party“, bei der Celebs in einem privaten Rahmen zu sehen sind, in das Ganze ein?

Nun, die dritte Ausstellung ist etwas ganz anderes und hat doch auch eine Verbindung, weil wir teilweise das gleiche Personal sehen: Naomi Campbell oder Liz Taylor zum Beispiel tauchen bei Pigozzi wie bei Newton auf.

Welche Fragen sollen nach dem Gang durch alle drei Räume bleiben?

Der Gang durch die dreiteilige Ausstellung lässt uns über die Menschen auf den Bildern nachdenken, über ihren Körper und über die Stilisierung durch den Fotografen. Und idealerweise denken wir über die Fotografie als Medium nach, über Bildformate und Bildwirkungen in den unterschiedlichen Kontexten.

bis 19.11. in der Helmut Newton Stiftung/Muaeum für Fotografie

Titelfoto: Vogue Italia, Paris, 2000 © Mario Testino

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