Frau Berg präsentiert: Hass mit einer Prise Glitzer – Hass-Triptychon I Maxim Gorki Theater

„Geh zu einem Stück von Sibylle Berg“, haben sie gesagt. „Das wird spannend“, haben sie gesagt. Kaum eine Minute in der Inszenierung betritt der Hassmaster die Bühne mit den Worten: „Hallo. Ich bin gekommen um Sie zu heilen“. Darauf folgen zwei Stunden absoluten Wahnsinns.

Eine Therapie in drei Flügeln

 Sibylle Bergs Stück „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“ steht derzeit im Maxim Gorki Theater auf dem Programm. Ersan Mondtag iszenierte die im Mai bei den Wiener Festwochen uraufgeführte Vorstellung. Mit vollem Erfolg. Dabei nimmt der Regisseur sich selbst mehrfach auf die Schippe, denn auch er bleibt von der Hetze des Hassmasters (die Bezeichnung Führer ist auch erwünscht) nicht verschont. Genau genommen wird an niemandem ein gutes Haar gelassen. Auch nicht an dem anwesenden Publikum. Dass die „Therapie in drei Flügeln“ kein einfacher Ritt wird, verraten bereits die Skelette, die auf mehreren Plätzen im Saal verteilt wurden. Bittersüßer Humor a la Frau Berg lässt Grüßen.

Trostlose Trolle

Nachdem der Hassmaster vor Narzissmus strotzend  in seinem weißen, religiös anmutenden Unschuldsgewand ein Liedchen von sich gegeben hat, dürfen die Patienten sich vorstellen. Von jeglicher Motivation verlassen, stampfen die Figuren auf die Bühne, stehen da wie ein Schluck Wasser in der Kurve und beklagen ihre jämmerliche Existenz. Sie sind die Gescheiterten, die Dahinvegetierenden des Mittelstandes und in ihrer Ohnmächtigkeit reine Witzfiguren. Hochtoupierte bunte Frisuren, überspitzte Ohren und unproportionale Körper, gepaart mit heruntergezogenen Mundwinkeln, runden die tragisch-komische Aufmachung ab. Sie sind trostlose Trolle. Sibylle Berg macht den Figuren keinen Gefallen und siedelt das Geschehen in einem Kaff an einem Autobahnzubringer an. Da passiert nichts. Erstrecht nicht Sonntags, wenn selbst der Kiosk zu hat und niemand zur Arbeit gehen darf. Die Betonung liegt auf DARF. Denn wenn die Trolle ihrem öden 40h Job nicht nachgehen, müssen sie sich mit ihrem Leben beschäftigen, welches in keinem Fall erfüllend ist.

Keine*r bleibt verschont.
Foto: © Judith Buss

Die Wut muss raus

Ein Jugendlicher ohne Zukunft, der kurz vor dem Amoklauf steht;  eine alleinerziehende Mutter, mit verlorenen Ambitionen, deren Sohn in einer Abwärtsspirale steckt; ein Homosexueller mit Todessehnsucht und ausgestopfter Katze, … – sie sind alle vereinsamt und wütend. Sie nehmen die Rolle des Voyeurs ein, begaffen die Nachbarn, um ihren Alltag interessanter zu gestalten, oder starren stundenlang auf den Bildschirm ihres „Endgeräts“. Die Verbindung zu dem Netzbegriff „Troll“, anonymen Internetnutzern, die in Foren und Kommentaren gezielt auf Provokation und niveaulose Auseinandersetzungen aus sind, wird dadurch umso deutlicher. Eine aufgestaute Wut wird zurückgehalten bis sie sich hinterlistig an Unschuldigen entlädt. „Warum nicht alles rauslassen?“, denkt sich der Hassmaster und lässt die Gefühle der Figuren mit ungezügelter Kritik und ironischen Klageliedern aufschäumen. Im dritten Flügel, dem ungelogen feurigen Finale lassen alle los.

Glänzender Trümmerhaufen

Für den Fall, dass die Skellete auf den „billigen Plätzen“ und die Pappmasche-Kulisse einer zerstörten Häuserfront noch nicht ausreichend apokalyptischen Charme versprühen, eskaliert die Situation in einem kathastrophalen Feuerwerk. Die Trolle beginnen sich lachend vor Erleichterung abzuknallen. Jeglicher Balast fällt sichtlich von ihnen ab, als sie mit tatkräftiger Unterstützung des selbsternannten „Führers“ einander treten, erhängen und erschießen. Waffen werden zum blutigen Ventil des Hasses. Auf dem Trümmerhaufen sitzend verspüren sie erstmals wieder das Gefühl der Freiheit. Man hätte das Ganze an dieser Stelle beenden können, doch Frau Berg hat noch einen Trumpf im Ärmel. Der Hassmaster sägt mit einem schier unendlichen Monolog aus Satzwiederholungen wie, „Da kann man schon mal wütend werden.“, an den Nerven des Publikums. Nur mit einem Slip bekleidet und von einem glitzernden Ölfilm umhüllt, tänzelt er über die Bühne bis überall eine Glitterspur verteilt ist und er durch die Trolle zum Schweigen gebracht wird. 

Der Hassmaster mit engelsgleichem Antlitz.
Foto: © Ezra Rotthoff

Ab zur Therapie

Die Moral von der Geschicht? Dass es sich bei diesem Stück um eine Gesellschaftskritik handelt, ist mehr als offensichtlich. Und obwohl die zu Beginn trostlosen und final streng genommen toten Trolle glücklich und befreit erscheinen, ist es etwas befremdlich diesen Ausgang der Handlung als ein Happy End zu bezeichnen. Wer sich ins Theater aka. der Therapie traut, erhält zumindest das volle Unterhaltungsprogramm. Insbesondere Benny Claessens, der die Rolle des Hassmasters übernimmt, trägt die Inszenierung mit Stimm- und Körpereinsatz. Voraussetzungen für den Genuss dieses Theaterbesuches: keine Angst vor Zynismus, keine Angst vor Musicals und selbstverständlich: keine Angst vor Sibylle Berg.

 

Hass-Triptychon – Wege aus der Krise I Maxim Gorki Theater
Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin
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Foto: © Promo