Warum haben es Action-, Thriller-, Horror- oder Sci-Fi-Filme Made in Germany auf der großen Leinwand so schwer? Ist die Qualität hiesiger Genrefilme einfach nicht gut genug? Mangelt es an guten Regisseuren und mutigen Autoren? Liegt es an uns, den Zuschauern, oder sind wie immer die Nazis schuld? Eine Suche nach Antworten.

„Who Am I – Kein System ist sicher“ von Baran bo Odar zog 2014 knapp 800.000 Zuschauer ins Kino. Ein Erfolg? Zumindest, wenn man die mediale Aufmerksamkeit des Filmes betrachtet. Für den Regisseur das Sprungbrett nach Hollywood. Aktuell arbeitet Odar an einem Thriller mit Jamie Foxx und einer Serie für Netflix. Für den Vertrieb jedoch, die andere Seite der Medaille, war der Cyberthriller mit Tom Schilling in der Hauptrolle kein gutes Geschäft. Wie Odar 2014 in einem Werkstattgespräch beim „Tag der Dramaturgie“ in Berlin äußerte, hätte es 1,2 Millionen Zuschauer gebraucht, um die Verleiher zufriedenzustellen. Verkehrte Welt? Wie definiert sich Erfolg? Für Stefan Ruzowitzky, Regisseur des erfolgreichsten deutschsprachigen Genrefilms „Anatomie“ (2000), ist der finanzielle Aspekt ebenso wichtig wie der kreative: »Um Karriere zu machen, muss man auch finanzielle Erfolge vorweisen«. Timo Rose („Reeperbahn“), Regisseur und Spezialist für Splattereffekte, sieht die Sache etwas anders: »Wenn der Film sein Budget nicht eingespielt hat, die Zuschauer und Kritiker ihn aber abfeiern, kann man das auch als Erfolg betrachten, denn der Film ist in aller Munde.« Damit lässt sich dann als Regisseur arbeiten. Sofern man nochmal ran darf ans Kinofilmbudget. Willkommen in der deutschen Filmwirklichkeit.

„Jeder in der Branche hätte gern qualitativ hochwertige Genrefilme, aber niemand weiß so richtig, wie er innerhalb des etablierten System da hinkommen soll.“ – Mark Wachholz (Drehbuchautor „The Immigration Game“)

Seit Jahrzehnten fristet der deutsche Genrefilm ein Nischendasein in der bundesdeutschen Filmlandschaft. Während die Deutschen mit Murnau, Lang und Wegener Anfang des 20. Jahrhunderts mit der sogenannten Weimarer Phantastik frühe Motive des Genrekinos durch Filme wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Nosferatu“ und „Metropolis“ prägten, herrschte nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Herrschaft der Nationalsozialisten hierzulande eine regelrechte Phantastik-Feindlichkeit. »Alles, was die Köpfe in komische Richtungen lenken könnte und die Menschen zu stark emotionalisiert, war zu dieser Zeit nicht gern gesehen«, so Krystof Zlatnik, Mitgründer des Berliner Filmfestivals GENRENALE. Sind also die Nazis also Schuld an dem Dilemma?

GENRENALE Macher unter sich: v.l.n.r. Krystof Zlatnik und Paul Andexel

Die heile Komödienwelt der 50er Jahre mit Peter Kraus, Conny Frobess, Heinz Erhardt oder Heinz Rühmann als Vorbilder scheint Zlatniks Aussage zu bestätigen. In den 1960er Jahren, mit dem Aufkommen des Neuen Deutschen Films, versuchten Regisseure wie Alexander Kluge, Edgar Reitz oder Rainer Werner Fassbinder schließlich, ihr Publikum über das Intellektuelle zu erreichen. Sicherlich ein notwendiger Weg, um die Zeit des Nationalsozialismus, die damals noch in den Strukturen der Bundesrepublik verwurzelt war, für die Nachkriegsgeneration um die 68er Studentenbewegung zu verarbeiten und aufzubrechen. Während junge amerikanische Filmemacher die Ära des New Hollywood mit stilprägenden Genrefilmen wie dem Gangsterfilm „Bonnie und Clyde“ (1967), dem Horrorklassiker „The Night of the Living Dead“ (1969) oder der Sci-Fi-Reihe „Planet der Affen“ (1968 – 1973) einläuteten, waren die deutschen Filmemacher hierzulande in erster Linie mit sich selbst beschäftigt. Das Publikum hatte keine Wahl. Friss oder Stirb. Neopolitische Filme aus den USA versus „Hilfe die Schule brennt“ – Komödie oder „Angst essen Seele auf“-Drama. Das Vertrauen in die deutsche Filmlandschaft, dem Publikum ein phantastisches und facettenreiches Erzählkino zu bieten, dass nicht zwingend einen übergeordneten Lehrauftrag verfolgt, sondern einfach „nur“ unterhalten will, schwand. Parallel dazu verblasste das Verlangen seitens der Filmemacher, Genrestoffe hierzulande umzusetzen. Trotz gelegentlicher Ausreißer wie „Hell“ (2011) mit Lars Eidinger oder der österreichisch-deutschen Produktion „Das finstere Tal“ (2014) ist dies bis heute auch so geblieben.

»Für die Entwicklung reicht ein vereinzelter Erfolg nicht. Die Filme müssten im Rudel kommen. Unter zehn sind dann zwei, die richtig gut sind, Kasse machen und die Produktion der nächsten zehn stimulieren.« – Andreas Marschall („Regisseur: German Angst“ & „Masks“)

2015 kritisierte die Kulturstaatsministerin Monika Grütters im „Spiegel“ die Mutlosigkeit deutscher Filmemacher. Sie vermisse Experimente. Jungregisseur Kevin Kopacka, der mit seinen Kurzfilmen „Hades“ und „TLMEA“ dem Metaphysischen ein Forum bietet, kann mit solchen Aussagen nicht viel anfangen: »Wenn ich wählen müsste, würde ich lieber einen Film machen, der seine eigene Bildsprache hat und auf seine Art innovativ ist, als einen konventionellen Film, der vermutlich eine größere Masse anspricht und daher mehr Geld einspielen würde, aber nichts Neues zum Medium beiträgt«. Leider macht in der Regel der Markt einen Strich durch diese (Minus-)Rechnung. Dass die Ministerin bei ihrer Kritik nicht Kopacka, sondern Erfolgsproduzenten wie Til Schweiger und Matthias Schweighöfer im Sinn hatte, die ihrer Meinung nach »gutes Handwerk und gekonnte Unterhaltung abliefern, mehr aber auch nicht«, spricht für sich.

»Die Grenzen des deutschen Films liegen in der Regel immer noch an der schön getrimmten Hecke, die die Branche umgibt«.
– Mark Wachholz (Drehbuchautor „Immigration Game“)


Andreas Marschall, Regisseur der Filme „German Angst“ und „Masks“, sieht das Problem nicht bei den Filmemachern, sondern in der gängigen Praxis, allen gefallen zu wollen. Eben auch, um leichter an bestimmte Fördertöpfe zu kommen: »In den Drehbuchbesprechungen spielen Regeln und Vorbilder des internationalen Genrefilms noch eine Rolle, aber dann gehen die Bücher durch sehr viele Entscheiderhände und am Ende kommt dann oft ein filmischer Tofu-Burger raus, der zu viele Rücksichten nimmt«. Gefallen statt Auffallen.

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Deutscher Genrefilm: Der Nachtmahr.

Schauspieler Mathis Landwehr, RTL-Zuschauern durch seine Hauptrolle als fightender Mönch in der Serie „Lasko – Die Hand Gottes“ bekannt, sieht es ähnlich: »Die Leute und das Know-how haben wir, nutzen es aber nicht, weil der Mut bei den Entscheidungsträgern fehlt.« Sein ehemaliger Chef Hermann Joha, Geschäftsführer der Kölner Produktionsfirma Action-Concept, die sich hauptsächlich im TV austobt, schlägt in dieselbe Kerbe: »In Deutschland haben wir es prinzipiell mit mangelnder Risikobereitschaft zu tun. Gerade wenn es darum geht, neue Inhalte abseits der ausgetretenen Pfade zu produzieren.» Experimentierfreude? Fehlanzeige!

»Wenn Will Smith sich durch die Straßen von New York schießt, kommt einem das völlig normal vor. Wenn Til Schweiger dasselbe in Hamburg macht, wirkt es seltsam«

– Peer Gopfrich (Produzent/Drehbuchautor)

Einer, der im vergangenen Jahr mit seinem Film „Der Nachtmahr“ für Aufsehen in der Genreszene sorgte, ist Achim Bornhak alias Akiz. Der Regisseur und Künstler arbeitete über zehn Jahre an der Realisierung seines Coming-of-Age-Horrordramas, welches neben seiner koboldartigen Hauptfigur durch die verstörende Soundästhetik die Köpfe der Zuschauer verdrehte. Ein Film, der irritiert. Und auffiel. Doch trotz guter Presse, der Weg zum Mainstreamliebling mit schwarzen Zahlen am Ende der Abrechnung ist fern. Für ihn, der schon früh in seiner Karriere den Sprung nach Amerika wagte, liegt das Problem auch auf Seiten der Filmemacher. Diese würden sich allzu oft an den Mustern des amerikanischen Kinos orientieren: »Wir Deutschen versuchen etwas nachzumachen, das in den 80ern und 90ern in den USA Hochkonjunktur hatte und jetzt immer mehr verblasst. Das kann nichts werden.«

»Dass Science-Fiction in einem derart technologisch geprägten Land wie Deutschland keine Rolle spielt, ist unfassbar«
– Huan Vu (Neues Deutsches Genrekino)

Dass visuell und optisch anspruchsvolles Kino aus Deutschland funktioniert, bewiesen im letzten Jahr Regisseur Christoph Heimer und sein Team mit dem dystopischen Sci-Fi-Horror-Kurzfilm „Kryo“. Dafür tauchten Heimer und seine Mitstreiter in die Tiefen eines ostdeutschen Bergstollens. »Nachdem es ein wirklicher Akt war, diese Location überhaupt zu bekommen, waren die Umstände zwischen Klaustrophobie, Feuchtigkeit und Magen-Darm-Grippe mehr als widrig.

Deutsches Genrekino

Es hat uns alles abverlangt. Aber als Team auch so unglaublich zusammengeschweißt», berichtet uns der Jungfilmer. Es entstand ein Endzeitthriller, der sich vor den Settings großer Hollywoodproduktionen nicht verstecken braucht. Ein Festivalhit, der unter anderem auf der GENRNALE 2016 zu sehen war. Der Max-Ophüls-Publikumspreis 2016 für „Kryo“ macht Hoffnung für das deutsche Genrekino und seine Protagonisten.

»Für den Genrefilm gibt es ein dichtes, weltweites Netzwerk von Festivals, Geeks und Enthusiasten – Arthouse-Filmer können davon nur träumen« – Andreas Marschall (Regisseur)

Dass es bis zur Blockbuster-Tauglichkeit deutscher Genrefilme noch ein weiter Weg ist, spüren die Organisatoren der GENRENALE Paul Andexel und Krystof Zlatnik alljährlich. Zum sechsten Mal fand ihr Festival in diesem Jahr statt. Dabei stand das Festival 2016 kurz vor dem Aus. »Die Resonanz vor und während des Festivals ist immer klasse, aber wenn es dann vorbei ist, flacht alles ganz schnell ab und man hat das Gefühl, jedes Mal wieder ganz von vorne zu beginnen. Das zehrt an den Nerven. Gerade weil der Aufwand beträchtlich ist«, so Andexel. Dass dem Non-Profit-Festival am Ende nicht der Todesstoß versetzt wurde, ist – neben der Aussicht auf das fünfjährige Jubiläum – dem ungebrochenen Ehrgeiz der Macher zuzuschreiben: »Wir sind soweit gekommen, was man an den jährlich steigenden Einsendungen und Besucherzahlen sieht. Das konnten wir nicht einfach über den Haufen werfen«.

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‚Der Nachtmahr‘ Regisseur Akiz.

Dennoch ist die GENRENALE auch ein Abbild des schwierigen Standes, den das deutsche Gernekino hat. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr, mit Rekordeinsendungen und der Überlegung, das Festival von zwei auf vier Tage zu strecken, ist es schwer, Sponsoren zu finden. Vielleicht liegt es an dem Schlachtruf des jungen Festivals, welches selbstironisch mit einem geköpften Bärenlogo posiert: Sei unangepasst! Lerne, wie man einerseits sein Publikum erreicht, und andererseits Neues wagt. Paul Andexel und Krystof Zlatnik halten mit der GENRENALE diese Fahne hoch. Mit ihnen viele junge Filmemacher, denen es an Ideen und Engagement nicht mangelt. Bleibt zu hoffen, dass dies in naher Zukunft seitens Produktionsfirmen, Förderanstalten, Verleihern und nicht zuletzt vom deutschen Publikum entsprechend honoriert wird. Oder wie es Akiz formuliert: »Ich wünschte, wir hätten die Pforten der Deutschen Beziehungskomödienhölle nie geöffnet«. Ist leider passiert. Versuchen wir gemeinsam, sie endlich wieder zu schließen und etwas Neues zu wagen.