Berlinale, Bär, Filmvorführer, Kino, Film, Festival, Berlin, 030, Kulturschaffen, Steffen Rudnik, Handwerk

Mehr als 430 Filme in elf Tagen. Zuschauerrekord mit 337.000 verkauften Tickets. Hoher Besuch aus Hollywood. Wir haben am letzten Tag der 66. Berlinale jemanden nach seinem Fazit gefragt, der die ganze Zeit dabei war: den Filmvorführer.


Niemand soll merken, dass er da ist – das ist sein Job. Mit 21 hat Marc das Filmvorführen in einem kleinen Programmkino in Tübingen gelernt. Er hat im Keller vorsichtig Akt für Akt aus schwarzen Kartons gehoben, die 35mm-Filmrollen von Start- und Endband getrennt, aneinandergeklebt und auf ein großes Metallrad gespult. Über 25 Kilo konnte ein Film wiegen. An den Projektor gewuchtet, war das großes Kino. Am Stück und ohne Überblenden. Währenddessen musste man aufpassen, dass nichts reißt. Es ratterte, war stickig und roch nach Maschine im Vorführraum. Jetzt ist Marc 39, lebt in Berlin und ist Filmvorführer bei der Berlinale.

Es ratterte, war stickig und roch nach Maschine

Die Realität im Vorfürraum ist heute eine ganz andere. Die Maschine mit den Rollen und Ritzeln, in die das Filmband eingefedelt wurde, ist längst ein grauer Kasten, der klimatisiert summt. Kino ist digital. So auch das Filmfestival und natürlich auch das CineStar im Sony Center, die zweitwichtigste Spielstätte der Berlinale. Acht Säle und das IMAX gibt es hier. Die größte Leinwand Berlins, weltweit beste 3D-Technik, perfektes Bild und glasklarer, mit Laser ausgerichteter Sound. »Alles voll automatisiert«, sagt Marc. Während in seinem Saal, der 8, der vorletzte Film des Festivals läuft, nippt er an seinem Bier. »Vollkommen unspektakulär.«

Digitales Vorführen heißt ›Play‹ zu drücken

Berlinale, Marc, Filmvorführer, 030, Kulturschaffen, Handwerk, Berlin, Steffen Rudnik

Filmvorführer Marc: »Bei mir im Kino 8 ist alles perfekt«

Im regulären Betrieb ist für alle acht Säle nur ein Vorführer anwesend. Er programmiert im Vorfeld die Playlisten, die automatisch punktgenau starten. Digitales Vorführen heißt ›Play‹ zu drücken: Projektorlampe an, Bildformat und Lautstärke, Saallicht aus, Vorhang auf, Bildklappe auf, Film ab. Der große blonde Mann sieht müde aus. Die Berlinale leistet sich einen Vorführer für jeden Saal. Das können lange Tage werden. »Im Schnitt so um die 15 Stunden. Ich bin jetzt hier auch ziemlich durch. Das reicht mir dann auch wieder.«

Analoges Kino für Freaks

An der Bar sitzen die Kollegen. Die alte Garde, die das Vorführen auch noch richtig gelernt hat. Sie reden darüber, warum der Hobbit viel zu scharf und Hateful Eight echt ›Waltzig‹ ist; auch dass 3D keinen narrativen Mehrwert ins Kino bringt. Einer von ihnen ist Frank. Es ist seine 15. Berlinale. Die Begeisterung für analoge Bildtiefe relativiert er gelassen: »Das is auch schon was für Freaks. Der 08/15-Kinobesucher, der sowieso nebenher die ganze Zeit labert und auf sein Handy guckt, der merkt das nicht.« Sein Fazit der diesjährigen Berlinale in einem Wort: »Klappt.« Wie geschnitten Brot, ohne Höhen und Tiefen. Nächstes Jahr ist er wieder dabei. Die 25 will er noch packen.

Ziemlich professionell

Berlinale, Cinestar, Plakat, Sonycenter, Steffen Rudnik, Kulturschaffen, 030

Digitale Professionalität statt Handwerker-Romantik: das CineStar zur Berlinale am Potsdamer Platz

Ein anderer vergleicht das Handwerk der Projektion mit dem des Lift-Boys. Nur nach oben scheint es nicht zu gehen. Die Filme (des digitalen Formates wegen nur noch DCPs genannt) kommen nicht mal mehr auf physischen Festplatten in den Vorführraum. Sie sind gespeichert auf einem lokalen Server im Kino, der per Glasfaser mit dem Filmlager in der Voxstraße beim CinemaxX verbunden ist. »Dann zieh' ich mir einfach meine Filme rüber. Das geht superschnell. Nach 'ner Viertelstunde, 20 Minuten ist der komplette Film da. Das is' alles schon ziemlich professionell hier«, weiß Marc, der in den Jahren zuvor Festivalfilm-Prüfer im Lager war. DCPs machen das Leben leichter – zu Lasten der Romantik.

Es geht um die Situation

Dennoch sei es schön, etwas vom Festival-Flair mitzukriegen. Man sei ja auch mal draußen beim Messepublikum. Bevor er den letzten Film starten muss, fällt Marc dann doch noch ein besonderer Beitrag zur Kunst ein: »Ich hatte einen Film, bei dem ich die Bemerkungen der Prüfer nicht richtig durchgelesen hatte. Da stand, dass nach dem Abspann noch 15 Sekunden Schwarz sind. Da ist dann natürlich die Frage, ob das so gewollt ist oder nicht. Ich habe das Licht dann noch nicht angemacht. Das kannst Du normalerweise nicht machen, wenn 500 Leute im Saal sitzen. Die werden dann schnell unruhig.« Oft wollen auch im Publikum anwesende Filmschaffende ›ihre‹ Vorführung beeinflussen. »Es geht um die Festival-Situation. Deswegen sind wir da. Falls der Regisseur findet, man sollte den Ton nochmal um zwei Punkte erhöhen. Dann machen wir das möglich. Und heute hat man mich auch nochmal gebraucht, weil nämlich die Automation den Vorhang nicht aufgemacht hat«, lacht Marc. »Da konnte ich nochmal extra eine Taste drücken.« Und keiner hat es gemerkt.

Text & Fotos ©: Steffen Rudnik