Sexparties, Pornceptual, Berlin
Foto © Chris Phillips

Berührender Tanz: Berlins neue Sexparty-Kultur | Klassiker aus dem Archiv

Wer einen Artikel überschreibt mit: „Berlins neue Sexparty-Kultur“, der weckt einiges an Erwartungen – und viele Fragen. Für alle, die sich unter dem Begriff „Sexparty“ nichts vorstellen können, wäre die erste Frage wohl: was ist das denn überhaupt? Während diejenigen, denen dazu etwas Konkretes einfällt, vielleicht eher wissen möchten: was soll denn daran neu sein?

Beginnen wir mit der zweiten Frage, bei der man etwas ausholen muss. Neu? Ja, gerade in Berlin gibt es eine weit zurückreichende Tradition, auf besonders offenherzige und lustbetonte Weise zu Feiern. Noch heute beruft man sich gerne auf die wilden 1920er, als die Stadt Menschen jeder Couleur ein Experimentierfeld bot für Sinnlichkeit aller Art. Das bunte Berlin war seiner Zeit voraus, und tolerant auch gegenüber homo- und anderen sexuellen Ausrichtungen. Die in den 1980ern aufkommende Techno-Bewegung hat Berlin dann erneut zu einem Hotspot der Party-Kultur gemacht. Bei krachenden Bässen in dunklen Kellern wurden dabei zwar auch neue Körpererfahrungen gesucht und gefunden, diese aber waren eher (extrem-)sportlich als sexuell oder gar erotisch. Es waren vornehmlich die schwulen Clubs und Parties, welche dann beim Techno-Tanz die Freude nicht nur am eigenen, sondern auch am Körper der Anderen gefeiert haben. Man kommt nicht drum herum, das Berghain (und seinen Vorgänger das Ostgut) zu nennen: was als schwuler Club begann, hat im Laufe der Jahre immer mehr gemischtes Publikum angezogen. Und so wurde in diesen hohen Hallen beim Ostbahnhof eine „neue“ Form des Feierns zu elektronischer Musik geprägt; alle Sinne umfassend, körperbetont, rauschhaft.

Sexparty-Kultur, Pornceptual, Berlin
Pornceptual – Foto © Chris Phillips

Anfassen wo es kitzelt

Noch zentraler ist physische Austausch in spezialisierten Clubs wie dem inzwischen altehrwürdigen Kit Kat; von all‘ den Locations, die sich ganz dem Sex und den Fetischen verschrieben haben, ganz zu schweigen. Hier soll es aber um „Parties“ im engeren Sinne gehen, also Veranstaltungen, wo es auch DJs und eine Tanzfläche gibt. Trotzdem: wirklich „neu“ ist es also nicht, wenn man beim Feiern jetzt näher zusammenrückt. Wenn man sich mutiger berührt beim Tanzen (auch da, wo’s kitzelt). Und wenn man zwischendurch in den Darkroom abtaucht, oder direkt am Rande der Tanzfläche handgreiflich wird. Neu ist aber, wieviele Partygänger sich zu dieser intimeren Art des Clubbens hingezogen fühlen. Und neu ist, dass sie dazu nicht mehr in dieselben paar alten Enklaven pilgern müssen. Das körperbetonte Feiern drängt raus aus der Nische. Du musst die Sexparty nicht mehr suchen gehen – die Sexparty sucht dich. Der und die Interessierte findet in Berlin inzwischen mehrere Party-Reihen, welche den „Tanz zum Anfassen“ offen zelebrieren – und ihn aus alten Ecken in neue Räume tragen. Das about blank, der Salon zur Wilden Renate, das Prince Charles – alles Clubs, die eigentlich keine designierten Darkrooms haben; aber in denen neuerdings auch Parties stattfinden, bei denen, sagen wir’s so:  Säfte getauscht werden (können).

Sexparty-Kultur, Pornceptual, Berlin
Pornceptual – Foto © Chris Phillips

Körperlichkeit offen ausleben

Zwei der schönsten und bekanntesten dieser Veranstaltungsreihen sind die Pornceptual und die House of Red Doors. Während die Pornceptual nun schon ihr dreijähriges Bestehen feiert, findet die House of Red Doors aktuell erst zum vierten Mal statt. Die beiden Events haben einiges gemeinsam. So sind beide von Teams organisiert, welche vornehmlich nicht aus Berlin kommen. Raquel Fedato und Chris Phillips, welche die Pornceptual gegründet haben, stammen aus Brasilien, ihr bisheriger Mitorganisator Emre Busse hat Wurzeln in der Türkei. Billie Rae Bigsby und Alex J. Eccleston, die Macher der House of Red Doors, kommen aus England. Immer noch profitiert Berlin also davon, dass mutige und innovative Event-Erfinder aus aller Welt hierherpilgern. Sowohl die Pornceptual- wie auch die House of Red Doors-Macher bezeichnen die Stadt denn auch als „Oase“ und „Mekka“ für Menschen, die ihre Körperlichkeit offen und bejahend ausleben wollen – in einer Welt, die sich leider weiterhin schwer tut, die positive und kreative Kraft der Sexualität zu erkennen und zu leben. Beide Events teilen den Anspruch, nicht einfach „nur“ Parties sein zu wollen, und nicht einfach „nur“ den Sex zu feiern. Beiden Teams dienen ihre Partyreihen auch als Platform für eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Themen Sexualität und Pornographie.

Sexparty-Kultur, Pornceptual, Berlin
Pornceptual – Foto © Chris Phillips

Alles kann, nichts muss

Zu Pornceptual gehört insbesondere ein Foto-Projekt mit dazugehörigen Print-Magazin. Die House of Red Doors ihrerseits bringt an jeder Party gut dreissig(!) Bühnenkünstler zusammen, welche im Laufe der Nacht verschiedenste Darbietungen präsentieren; Burlesque, Feuertanz, interaktive Performances. Die Wilde Renate, wo die House of Red Doors stattfindet, wird jeweils bis in den letzten Winkel inszeniert. So ist die Stimmung hinter den „roten Türen“ auch etwas bunter und verspielter, während die Pornceptual – die nach mehreren Umzügen inzwischen in der Alten Münze zuhause ist – etwas klassischer im Berghain’schen „schwarz ist schick“-Look daherkommt. Inwiefern diese Veranstaltungen dann „Sexparties“ sind, das kann Jede und Jeder für sich selber entscheiden und gestalten. Denn das ist es, was all die genannten Events eben auszeichnet: dass alles kann, und nichts muss. Klar ist nur: man bleibt nicht auf Abstand. Man lässt die Berührung zu, den Austausch. Wenn man aneinander vorbeigeht; wenn man nebeneinander tanzt; und wenn man sich vielleicht zu zweit (oder zu dritt, oder…) in eine gemütliche Ecke zurückzieht.

Sexparty-Kultur, House of the Red Doors, Pornceptual
House of the Red Doors @ Salon Zur Wilden Renate. – Foto: Murhaaya

Free your mind, and your ass will follow.

Und das ist wohl einer der Gründe, weshalb diese Parties immer mehr Menschen anziehen. Weil es dabei um Nähe geht, und um Wärme. Darum, offen zu sein, sich vorurteilsfrei einzulassen, auf die eigene Lust und auf die der Anderen. Das ist nicht einfach leerer Eskapismus – denn dieses freie Feiern, dieses Aufgehen in Tanz und Rausch, ermöglicht Begegnungen und Erfahrungen, die identitätsstiftend sind. Es werden Sinne geweckt für die eigene Körperlichkeit, und für die des Gegenübers. Durch dieses Bejahen des Körpers (und seiner Bedürfnisse) lösen sich klischierte Rollenbilder auf: auch die Frauen können hier Jägerinnen sein, und auch die Männer können sich packen lassen, und sich hingeben. Es ist der alte Tanz ums Lagerfeuer, der auch in dieser neuen Form das Bewusstsein dafür schärft, dass alles Trennende uns nur einsam macht, und dass das grösste Glück des Menschen – in der Berührung liegt. Und wie geht man nun da hin, wenn man da noch nie war? Beide erwähnten Parties, die House of Red Doors wie die Pornceptual, haben dieselbe Türpolitik: grundsätzlich ist niemand ausgeschlossen. Neulinge sollten aber ein ehrliches Interesse an dieser intimen Form des Feierns haben, und nicht einfach „nur mal schauen“ wollen. Sich einlassen eben – dann wird man auch reingelassen. Oder, um es mit dem schönen Funkadelic-Albumtitel zu sagen: „Free your mind, and your ass will follow.“

Sexparty-Kultur, House of the Red Doors, Pornceptual
House of the Red Doors @ Salon Zur Wilden Renate. – Foto: Murhaaya

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Mehr Eindrücke zu den Partys findet ihr hier:

www.pornceptual.com

und

The House of Red Doors

Dieser Artikel erschien erstmals 2016 als Titelgeschichte unserer Print-Ausgabe.

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