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Die Fotzen sind wieder da! In der allgemeinen Einschätzung sind SXTN enorm kontrovers, es kann aber keiner so genau sagen, warum. Selbstbewusste Mädels, die rappen und dabei allerlei Profranitäten in den Mund nehmen, sogar von Männern rappen! Unvorstellbar! Wir gammeln mit Juju und Nura auf einem Kreuzberger Bürgersteig und quatschen über böse Wörter, Schubladen und die Schule.

Wie kamt ihr auf die Idee, das stark frauenfeindlich geprägte Wort „Fotze“ so konsequent auf euch selbst anzuwenden?

Juju: Es ist ein Selbstschutz, würde ich sagen. Es würde sowieso jeder in die Kommentare schreiben. Wenn man es selbst macht, juckt das nicht mehr. Ich hasse das Wort eigentlich, es ist wahrscheinlich das schlimmste Wort, das man auf eine Frau anwenden kann.

Nura: Ich finde „Fotze“ eigentlich voll schön.

Juju: Wir haben es ins Schöne gedreht. Es ist ähnlich wie bei „Nigger“ im HipHop. Die Schwarzen haben das Wort auf sich selbst angewandt und dadurch umgedeutet. Trotzdem darf es nicht jeder Weiße sagen, genauso wenig wie Männer uns als Fotzen bezeichnen dürfen. Solche Worte verschwinden aber nicht, nur weil sie verpönt sind. Du wirst von einem Mann auf der Straße angebaggert und ignorierst ihn und dann bezeichnet er dich als Fotze.

Viele Dinge, die in eurer Musik gesehen werden, scheinen einfach passiert zu sein. Nervt es, wie sehr betont wird, dass ihr Frauen seid, die mal sprachlich genau so auf die Kacke hauen wie die Männer?

Juju: Die Fragen nerven. Dass das vielleicht so ist und die Hörer das für sich feststellen, ist ja okay. Dann in den Interviews immer über Feminismus zu reden, nervt aber. Wir machen ja keine bewusste Aussage. Wir sind einfach nur Ollen, die rappen. Es ist schon schade, dass allein „Female MC“ zu sein eine Schublade ist. Wir sind jetzt auch noch die „Assi-Female MC“-Schublade.

Nun da die Diskussion da ist, nehmt ihr aber durchaus Bezug darauf. Der Song „Ausziehen“ beispielsweise zitiert derartige Interview-Fragen.

Nura: Auch das war aber kein Song, der ein Statement sein sollte. Es hat uns genervt, dass die Typen auf Konzerten immer „Ausziehen!“ schreien, also machen wir für diese Spasten einen Song. Dann passt es für sie plötzlich, aber eigentlich haben wir sie verarscht.

Juju: Wir haben teilweise selbst schon auf Konzerten „Ausziehen!“ geschrien. Wenn du selbst auf der Bühne stehst, merkst du aber, wie komisch es sich anfühlt. Jetzt haben wir einen passenden Song, damit ist es wieder lustig.

Ihr hattet schon mit der Idee gespielt, gezielt Rapperinnen zu featuren. Jetzt finden sich auf dem Album gar keine Features.

Nura: Das stimmt gar nicht! Ich habe Juju gefeatured und Juju hat mich gefeatured, Wir haben also zwei absolute Legenden auf dem Album.

Juju: Ein Schwesta Ewa-Feature war auch schon fast fix, aber dann kam die Sache mit dem Knast. 

Nura: Ich glaube, sie wird bald wieder draußen sein und dann wird es auf jeden Fall etwas geben.

Seid ihr das Debüt-Album anders angegangen als die EP?

Nura: Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei der EP noch gar keine Ahnung hatte, was ich da so schreibe. Es war das erste Mal, dass ich Rap gemacht habe. Ich habe das Gefühl, beim Album habe ich mich krass gesteigert und verstanden, wie das Rap-Game funktioniert. Bei der EP dachte ich noch: „Was sind denn dreisilbige Reime? Ich reime Haus auf Klaus! Scheiß drauf!“

Juju: Wir haben einfach Songs gemacht und dann die Besten rausgepickt. Krutsch macht alle Beats für uns und wenn der einen Afrotrap-Beat macht, weil er darauf gerade Bock hat, gucken wir halt, was uns dazu einfällt und dann entsteht ein Song.

Nura: Es gibt auch keinen roten Faden, von Latino-Vibes über Afrotrap bis Battle-Rap ist Alles dabei. Das Album ist sehr vielfältig. Man kann uns echt in keine Schublade stecken.

Ihr habt auch viele Gesangsmomente und fast schlagerartige Refrains. Muss eure Musik auch besoffen noch funktionieren?

Juju: Wir finden es geiler, wenn man in der Hook nicht einfach im selben Flow weiterrappt, wie es viele Rapper noch tun, sondern jeder Song ein kleiner Hit ist. Wem die Mucke gefällt, für den soll jeder Song etwas Eigenes haben und eine geile Hook haben. Selbst wem es nicht gefällt, der soll einen Ohrwurm haben.

Nura: Ich wollte auf dem Album auch gerne weniger rappen und mehr singen. Das war ursprünglich mal die Idee und dann ist es einfach passiert, dass ich so viel rappe. Singen ist eigentlich eher mein Ding.

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»Wir sind einfach nur Ollen, die rappen.«

Zur Vielseitigkeit passt, dass ihr viele Themensongs an Stelle klassischer Representer macht.

Nura: Als „Er will Sex“ herauskam, war ich überrascht, wie empört alle waren. Es wurde noch nie ein Rapsong gemacht, der diese Dinge aus der weiblichen Perspektive erzählt. Klar will er Sex! Dann erzählen wir halt mal, was so passiert. 

Juju: Das ist vermutlich der Grund dafür, dass wir viele Themensongs machen. Dadurch dass es so wenige Rapperinnen gibt, ist vieles noch nicht aus weiblicher Perspektive erzählt worden. Viele Themen sind noch offen.

Aus männlicher Perspektive gibt es Unmengen Songs, die sich um Sex drehen. Da war es lange überfällig, zurückzuschießen.

Juju: Es ist an dem Song nichts männerfeindliches, aber alle haben sich krass beleidigt gefühlt. Wir zählen einfach nur Dinge auf, die Typen machen mit dem Hintergedanken, eine Frau ins Bett zu kriegen. Ich finde die auch ganz normal und nicht schlimm, dazu könnte ruhig jeder Typ stehen. Die Hook ist dann der Moment, in dem ich sage „Ne, du jetzt nicht unbedingt!“ Das heißt ja nicht, dass wir nie Sex haben oder den Typen verbieten wollen, Frauen anzumachen oder dass wir Typen hassen. Man bumst halt nicht mit jedem und das muss im Rap auch mal gesagt werden, weil die Typen es so darstellen, dass jede Olle bumst.

Nura: Das haben viele falsch verstanden. Ich habe seit dem Song massenhaft Mails bekommen, dass mich Leute vergewaltigen wollen mit Chloroform und was weiß ich.

Es ist schon gruselig, was für Menschen sich plötzlich in der HipHop-Online-Gemeinde offenbaren.

Juju: Bei keinem Song, den wir bisher veröffentlicht haben, hatten wir damit gerechnet, was für krasse Reaktionen er hervorrufen würde. Gut, wir verwenden viele Schimpfwörter, dass das der eine oder andere schockierend findet, kann ich vielleicht noch nachvollziehen, aber inhaltlich hab ich es nicht gesehen.

Nura: Das sind Leute, die wirklich nur im Internet eine Meinung haben. Ich glaube, sobald die vom Laptop weg sind, sind sie so klein mit Hut. Im Internet kriegen die halt Bestätigung, wenn sie schreiben „Geht zurück in die Küche!“ und es gibt dafür dreihundert Likes.

Seid ihr von solchen Kommentaren überhaupt noch angepisst oder verspürt ihr vielleicht sogar Bestätigung?

Nura: Ich schicke Juju immer Screenshots der lustigsten Kommentare. Wir sehen das mit Humor! Wirklich ärgern tun wir uns selten, denn der Regel ist ja auch nicht wahr, was da steht: Wir schreiben unsere Texte nicht selbst, wir sind gecastet, wir sind Lesben! Mittlerweile ist unsere Fanbase auch so gewachsen, dass wir uns damit gar nicht mehr selbst beschäftigen müssen, weil unsere Fans unter die Hater-Kommentare kommentieren. Ich nenne sie immer unsere Internet-Anwälte. Ansonsten gilt: Die Leute reden darüber. Sie interessieren sich dafür. Das ist gut!

Juju: Auf Festivals hat man eine ähnliche Situation wie im Internet. Da stehen vor der Bühne nicht nur deine Fans, sondern irgendwelche Rap-Fans. Dort ist das Feedback immer mega positiv. Anfangs hatten wir auf Grund der Kommentare Schiss, dass wir auf dem Splash! mit Flaschen beworfen werden. Das haben auch Leute angedroht. Als wir dann da waren, haben alle übelst gefeiert.

Nura, wer ist Herr Schmidt? Den erwähnst du auf „Schule“.

Nura: Eine kleine Fotze. Er beginnt mit dem Unterricht, rattert seinen Text runter und wenn du eine Frage hast, sagt er, ein Mitschüler, der es verstanden hat, soll es dir erklären. Für mich war zum Beispiel Englisch immer locker easy, aber ich hatte Probleme in Mathe. Er hat hart darauf geschissen. Deshalb wollte ich ihm einfach nochmal sagen, dass er eine Fotze ist. Das Thema war mir wichtig. Ich habe immer schon daran geglaubt, dass ich die Schule nicht brauche und einfach Mucke machen werde. Vielleicht hört den Song jemand, der sich dadurch bestätigt fühlt, dass wir auch so gedacht und es geschafft haben. Der Song soll Mut machen.

Juju: Ich war auch immer schlecht in Mathe, aber ich wusste auch schon immer, dass ich kein Mathe brauche. Das hat man den Lehrern ja damals schon gesagt. Die ganze Zeit wirst du aber gezwungen und dann sollst du schon mit dreizehn darüber nachzudenken, welchen Job du mal machen willst. Das ist doch ein krankes System. Ich finde, wenn man damit nicht klarkommt, ist man gesünder als wenn man die Scheiße durchzieht, irgendwann Arzt ist und Depressionen kriegt und sich umbringt. Da mach ich lieber mein eigenes Ding oder halt gar keine Kohle, auf jeden Fall besser als die Kacke!

Nura: Mir hätte es damals geholfen, wenn jemand gesagt hätte: Nura, das sind deine Stärken und das sind deine Schwächen! Lass uns was mit deinen Stärken machen! Du kannst Sprachen gut, also lernst du noch eine Sprache!

Juju: Sagen wir, die Message ist: Geht ruhig zur Schule, zieht das durch, macht eure Eltern glücklich, aber habt auf jeden Fall schon im Hinterkopf, was ihr eigentlich machen wollt. Wenn ihr Freizeit habt, kümmert euch darum! Lenkt euch dann nicht einfach nur ab, sondern fangt früh an, zu tun, worauf ihr Bock habt! Macht mit euren Freunden Musik und sammelt die ersten Erfahrungen! Horcht in euch rein, was ihr wirklich wollt! Lasst nicht andere für euch denken, wie es in der Schule der Fall ist.

Nura: Gerade künstlerisch begabten Leuten muss man Mut machen. Denn die haben immer Angst, dass es in der Gesellschaft kein richtig anerkannter Job ist. Auch die ganzen Grafitti-Sprüher würden jetzt vielleicht andere Dinge machen, wären sie damals gefördert worden.

Juju: Deshalb wollen ja alle „irgendwas mit Medien“ machen, weil sie die Hoffnung haben, sich damit noch relativ frei selbst finden zu können.

Nura: Und auch ohne Abschluss kann man es schaffen! Alle erzählen einem immer: Du brauchst Abi, du brauchst Studium! Oder profilieren sich damit. Ständig werde ich auf Partys gefragt: „Und was studierst du?“ – „Gar nichts, du Missgeburt!“ Ich finde es so peinlich, zu denken, nur weil man studiert, sei man ein krass schlauer Mensch. Ich kenne so viele Menschen, die studiert haben und übertrieben dumm sind!

Juju: Man sollte sich nicht fertig machen lassen. Lehrer können die Psyche so ficken! Sie sagen, du bist scheiße und aus dir wird nie etwas und dann gehst du am besten nach Hause und deine Eltern sind auch noch frustriert und quatschen die gleiche Scheiße. Davon soll man sich nicht ficken lassen, denn jeder kann etwas.

Ihr seid recht feierfreudig. Habt ihr auf Tour schon bemerkt, dass man vielleicht nicht jeden Abend Party machen kann, wenn man am nächsten Tag fit sein möchte?

Nura: Das haben wir auf der letzten Tour richtig körperlich mitbekommen. Bei den Proben saßen wir oder liefen ein bisschen hin und her. Dann hatten wir den ausverkauften Tourauftakt in München, der Raum war übertrieben klein und es war übertrieben heiß. Bei „Fotzen im Club“ ist mir die Kotze hochgekommen.

Juju: Das ist das Unkluge daran, so viele Partysongs zu haben. Rumspringen beim Rappen ist super anstrengend. Wenn man dann noch säuft, ist es am nächsten Tag noch schwerer und dann zieht sich das so durch. Daraus haben wir schnell gelernt. Meistens trinken wir nur ein bisschen Sekt zum Warmmachen.

Nura: Auf der Bühne artet das aber immer aus. Dann heißt es „Stella! Kannst du mir noch `nen Sekt bringen?“ und wir merken gar nicht, wie viele Flaschen wir killen. Statt Wasser trinken wir Sekt zwischen den Songs. Ich will nicht, dass die Leute sehen, wie ich Wasser trinke!

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SXTN – Leben am Limit
VÖ: 2.6. / Division One (Universal)
Online erhältlich: Amazon / iTunes


Fotos: Josephine Jatzlau