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»Als würde das Gehirn zurückgesetzt« – Tale Of Us im Interview

Das ursprünglich aus Mailand stammende Duo aus Matteo Milleri und Carmine Conte macht es sich seit dem melancholischen Dancefloor-Hit „Dark Song“ aus dem Jahr 2011 zur Aufgabe, der Berliner Electronica-Szene Emotionalität und Atmosphäre beizubringen. Der Langspieler „Endless“ stellt die bislang kompromissloseste Station dieser Reise dar. Der Deep House weicht meditativen Soundscapes. Matteo erklärt uns die Einflüsse und Arbeitsweisen von Tale Of Us.


Das neue Album erscheint bei der Deutschen Grammophon. Viele Rezipienten scheinen Einflüsse aus der Klassischen Musik wahrzunehmen.

Ich liebe natürlich klassische Musik, wir wollen ja nicht blasphemisch sein. Mich interessieren aber eher zeitgemäßere Künstler wie Rachmaninov oder Philipp Glass. Noch direkter ein Einfluss ist dann Ambient und Soundscape-Musik wie die von Vangelis. Im Allgemeinen ist es reflexive, meditative Musik. Das kann natürlich auch klassische Musik sein. Dieses Album ist wahrscheinlich unsere bisher ehrlichste Perspektive auf Musik und auf Kunst im Allgemeinen, denn es ist die Mischung dieser Einflüsse.

Ihr seid Fans des Soundtrack-Künstlers Max Richter. Auch der hat Ambient Sampling verwendet und in seinem Fall mit Kammermusik verbunden.

Max Richter ist ein großartiger Künstler. Was er tut, ist aber kompositorischer, er geht von einer Songstruktur aus. Unsere Musik ist strukturell näher an Techno, denn sie ist intuitiv und weniger durchdacht. Ich würde sie eher mit Alva Noto und Basinski vergleichen. Soundtrack-Künstler wie Richter oder Hans Zimmer kommen von einem anderen Markt. Wir kommen aus der Dance-Richtung und versuchen, nach Soundscape zu klingen, sie kommen aus dem Soundtrack und versuchen, elektronischer zu klingen und dann treffen wir uns in der Mitte.

Dadurch dürften sich vor Allem die Produktionsprozesse stark unterscheiden. Ihr habt für das Album keine Gastmusiker verwendet?

Nein, das ist genau der Punkt. Wir finden manchmal den Sound des Plugins für die Strings interessanter als, ein Orchester aufzunehmen. Denn man kann ihn modulieren und der Vorgang ist direkter. Wenn du auf einem Synthesizer ein Riff schreibst, kannst du es in dem Moment hören. Wenn du es durch ein Orchester und andere Produzenten schickts, könnte das Ergebnis unglaublich sein, es könnte aber auch ganz anders klingen als in deinem Kopf.

Du hast Songstrukturen angesprochen. Ihr scheint eher von interessanten Soundästhetiken auszugehen.

Das ist es, was uns Spaß macht. Wir machen viele Field Recordings und beschäftigen uns lange mit den Einstellungen der modularen Synthesizer. Es ist die Balance zwischen den Field Recordings, dem Piano und dem kleinen Synthesizer im Hintergrund, die das Album interessant macht. Sie schafft eine kleine Welt. Dort muss man nicht das am besten klingende Klavier haben. Es ist okay, den Synthesizer zu nehmen und in diese Atmosphäre zu stecken und dort klingt er plötzlich richtig.

Wenn es um Welten geht: Hattet Ihr bei der Produktion Bilder im Kopf?

Die bildende Kunst, die ich im Kopf hatte, stammt aus der Zeit des Impressionismus am Übergang zu moderner abstrakter Malerei. Ich mag, wie diese Kunst abstrakt und zum selben Zeitpunkt Teil eines kunsthistorischen Prozesses und damit doch greifbar ist. Das Album ist ein Kunstprodukt. Es ist durchaus darauf ausgelegt, als Teil einer Installation oder in Verbindung mit bildender Kunst zu funktionieren. Deshalb hat Quayola, der Künstler, der das Cover designt hat, auch Visuals für die Live Show erstellt, die uns im Prinzip inmitten eines Kunstwerks stehen lassen. Das Album kann Zuhause für sich gehört werden, live benötigte es aber diese weitere Ebene.

Ich würde vermuten, dass man diese Show und auch die neue Musik nicht auf jedes Booking mitbringen kann.

Das stimmt. Wir wollen den Leuten dieses Konzept auch nicht aufzwingen Unsere breite Fanbase ist mit einem DJ-Set zufrieden. Die neue Show findet idealerweise auf Kunst- oder Musikmessen eines gewissen Kalibers statt, wie dem Sonar oder dem Mutek Festival, und nicht bei einem regulären Clubgig.

Ist es als ektronischer Musiker ein Ziel, sich vom 5AM- zum 8PM-Spot zu arbeiten?

Es sind unterschiedliche Welten. Ich hätte gerne eine Balance, in der meine Karriere nicht vollständig im Nachtleben stattfindet. Wenn man eine Konzerthalle ausverkaufen kann, spielt man lieber die Konzerthalle. Es ist aber als DJ nicht leicht, die Leute zu überzeugen, eine Konzerthalle zu füllen. Ich finde die Nacht und die Menschen, die sie bevölkern immer noch faszinierend. Wir bevölkern sie aber natürlich auch schon seit sechs Jahren. Es ist für die mentale Gesundheit besser, Abwechslung zu finden.

Das Album klingt über lange Strecken sehr offen und abstrakt, mit Ausklang des letzten Songs aber doch gar nicht so „endless“.

Ich mag dieses Wort. Man kann Ambient Musik wie Basinski zwölf lang im Loop im Hintergrund laufen lassen. Sie ist irgendwann gar nicht mehr da. Ambient wird dann zu Ambience. Die Musik wird Teil der Umgebung. Ich finde das faszinierend. Man muss sich auf die Musik nicht konzentrieren, sie affiziert einen aber ganz stark. Arbeite mal vier Stunden, während du Ambient hörst. Dann schaltest du die Musik aus und plötzlich hörst du die Klimaanlage, den Abzug und die Schritte vor der Tür. 

Soll man eure Musik demnach überhaupt bewusst hören?

Wir wünschen uns, dass jemand, der das Album an einem intimen Ort hört, irgendwann aufhört, zu denken. Wirklich aufhört, zu denken, als würde das Gehirn zurückgesetzt. Man muss sich nicht auf die Musik konzentrieren, die Musik nimmt Einen mit auf eine Reise. Andrerseits ist sie nicht vollkommen abstrakt, es gibt Riffs. Wenn man also emotionale Verbindungen finden will, kann man das.


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Tale Of Us – Endless
VÖ: 31.03. bei Deutsche Grammophon
Online erhältlich: iTunes / Amazon

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