Die arme Avocado. Sie kann ja nix dafür. Von Cafés missbraucht. Als Aushängeschild, ein kleines grünes Maskottchen, ein Markenzeichen. Sobald „Avocado“ auf der Speisekarte steht, ist das ein klares Zeichen an den Gast: „Pass‘ mal auf, dieses Café ist jung und hip. Wir nehmen das Doppelte“. Nicht jedes Café, das Avocado anbietet, ist etwas Besonderes.
Alles unter Verschluss
Alex Prahl nennt das Avocado-Beispiel. Der 38-Jährige ist Inhaber des ZIP in Neukölln. Es geht um die Kreativität von Gastronomen. Oder besser: deren Mangel. Man muss sich schon was einfallen lassen, es reicht nicht, irgendwas mit Avocado anzubieten. Vor über einem halben Jahr öffnete er sein Frühstücks-Restaurant ZIP, ein kleines Lokal in der Pannierstraße in der Nähe des Hermannplatzes, man kann hier den ganzen Tag essen, oder besser: frühstücken. Ja, den ganzen Tag. Wie man es in Berlin kennt. Und die Avocado? Klick. Die Speisekarte vom ZIP runtergeladen. Zack. „Avocado“ ins Suchfeld eingeben. Voilá. Nix da! Kein Treffer. Vorbildlich. Apropos herunterladen. Das ZIP heißt so, weil es sich nach der ZIP-Datei benannt hat. Ihr wisst schon, dieses Format mit dem man Zeug aus dem Netz herunterladen kann. Appetitliches und Unappetitliches. ZIP steht für komprimieren, verschließen, aufbewahren. Warum nennt sich ein Restaurant wie ein Dateiformat?
„Avocado“ ist out
Wo wir beim Thema wären. „Aufbewahren“ ist das Stichwort beim ZIP. Was hat das mit Essen zu tun? Bevor er sein Lokal eröffnete, hatte Alex nach einer Idee gesucht. Nach etwas Besonderem, mit dem er sich von der Konkurrenz, die hier im Kiez wie anderswo nicht rar gesät ist, abheben kann. Ihm kam die Idee, alles in Gläsern anzubieten. Das hat er ziemlich konsequent umgesetzt. Jeder kennt sie von Oma: die guten alten „Einweckgläser“. Als Erstes fällt einem die Theke auf. Ein riesiges, 14 Meter langes Ungetüm aus weißen Kacheln. Die Theke nimmt fast den halben Laden ein und ist so etwas wie die Kommendobrücke, auch wenn diese Assoziation zu ungemütlich für ein Frühstücks-Lokal ist. Mitten in der Theke sitzt das Herzstück: Die Vitrine. Als hätte jemand ganz viele Honig-Gläser leer gemacht, ausgespült und hingestellt.Voller Gläser, gefüllt mit seltenen Kombinationen wie Cranberry-Macadamia-Creme, Orangenhumus oder Rührei mit Bacon-Chutney. Rührei im Glas? Ja gibt’s.
Tapas zum Frühstück
Geht los. Wir kriegen unser Frühstück. Es ist 15 Uhr, aber egal. Frühstück geht immer. In Berlin wird sowieso ganztägig gefrühstückt, man hat den Eindruck, es gibt in dieser Stadt nur diese eine Mahlzeit. Marieke, die Restaurantleiterin, und Alex servieren uns ein buntes Menü aus frischen Speisen. «Gutes im Glas», nennt Marieke das Firmenmotto und stellt das Essen vor, das sich in unterschiedlich großen Gläsern mit kupferfarbenen Deckeln befindet. Sie präsentiert die kleinen Glasgerichte als seien es gute alte Freunde, die nach langer Zeit wieder vorbeischauen. Alex serviert eine Apfel-Minz-Brombeer-Schorle. Frisch, natürlich. Auch die gibt’s im Einmachglas. Pancakes lassen sich nicht gut ins Glas quetschen, gibt der Gastronom zu, der zusammen mit Koch Klaus die Gerichte entwickelt hat. Aber Rührei geht. Sieht interessant aus. Überhaupt: Der Tisch ähnelt dem eines Tapas-Laden. Genau das ist es: Frühstücks-Tapas. «Genau diese Assoziation hatten wir auch», sagt Marieke, die auch für die Außenwirkung des Ladens zuständig ist. Hinten im Lokal steht das Rennrad von Alex. Es lehnt an der Wand. Klaus Koch biegt um die Ecke. Er will nicht groß in Erscheinung treten. Genauso wenig wie der Chef selbst. Bescheidene Leute. Alex lege wert auf flache Hierarchien. Familiär soll es zugehen. Das möchte letztlich jedes Restaurant. Der Gast soll sich „wohl“, ja gar „wie zu Hause“ fühlen. Wobei man sich fragen kann, warum man dasselbe dann überhaupt verlassen sollte. Kann man ja gleich zu Hause frühstücken.
Der Gast emanzipiert sich
Es ist also klar, dass es gar nicht wie zu Hause sein kann. Da würde man sich ja auch nicht alles in Einmachgläsern anrichten. Nein, es soll etwas Besonderes sein, so ein Besuch im ZIP. Gemütlich ja, aber besonders. Die Stühle kommen übrigens aus alten DDR-Schulen. Wer sich in der Schule wohl gefühlt hat, ist hier richtig. Aber auch der, der etwas ausgefallene Variationen sucht, wie beispielsweise Schoko-Lakritz-Brownie mit Salzkaramell. Das Konzept ist kundenfreundlich. Der Gast kann es sich leicht machen. Er sagt, wie viel er zahlen will. Das Menü wird dann entsprechend angepaßt. Ob er laktosefrei will. Ob er herzhaft oder süß will. Der Gast bestimmt selbst. Überall Emanzipation, warum also nicht auch im Restaurant. Und dann legt Klaus in der Küche los und kredenzt eine spezielle Kreation, die man so wohl sonst nicht bekommen hätte. Und dann kommen die Pancakes um die Ecke. Mit Möhren Chutney. Und Vanille-Mascarpone.
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Das [030]-Fazit: Die Leute vom ZIP sind auf Zack. Sie machen sich Gedanken, für den Gast. Sie wissen, was sie wollen – und was sie nicht wollen. Sie wollen kein 08/15. Hinter den drei Buchstaben des Lokals steht ein durchdachtes Konzept, das vom Gast aus denkt und versucht, seinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ob es nun die Gläser sind, die den Reiz ausmachen – oder eher deren Inhalt. Wie heißt es: das Auge isst mit. Marieke, Alex und Klaus haben es auf die Neuköllner Stammkundschaft abgesehen. Touristen kommen und gehen. Stammkunden bleiben. Und für die tun die drei eine Menge. Wir bekommen noch einen italienischen Kaffee, vollmundig und kräftig. Dazu besagter Pancake, wie einen Nachtisch. Nachtisch zum Frühstück. Es ist 16 Uhr. Wir haben gefrühstückt. Guten Morgen. Und auf Wiedersehen.
Wir wurden eingeladen. Danke dafür. Auf den Inhalt hatte dies aber keinen Einfluss. Da sind wir unabhängiger Fuchs.