Begleitet von lautstarken Buhrufen feierte „The Neon Demon“ seine Weltpremiere bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes. Nach dem hochgelobten Neo-Noir „Drive“ und der kritisch beäugten Racheparabel „Only God Forgives“ legte Regie-Exzentriker Nicolas Winding Refn erneut eine Arbeit vor, die unter dem Motto „Style over substance“ firmiert. Dieses Mal führt uns der dänische Bilderstürmer in das Haifischbecken der Modewelt von Los Angeles, wo sich erwartungsgemäß große Abgründe auftun.
Dreh- und Angelpunkt des Films ist die zarte Jesse (Elle Fanning). Eine Unschuld vom Lande, die ihr Glück im Modelbusiness der kalifornischen Traumfabrik finden will. Nach ersten Aufnahmen mit Jungfotograf Dean (Karl Glusman) wird eine Agenturchefin (Christina Hendricks) auf die schüchterne und natürlich wirkende Teenagerin aufmerksam und vermittelt ihr ein Probeshooting bei einem gefürchteten Maestro der Branche (Desmond Harrington). Während Jesse ihre ersten Schritte im Modeumfeld unternimmt, freundet sie sich mit der abgeklärten Visagistin Ruby (Jena Malone) an und lernt auf einer Party die künstlich optimierten Laufstegschönheiten Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) kennen, die den langsamen Aufstieg der Newcomerin zunehmend missgünstig verfolgen.
Wie eingangs angedeutet, sollte der Zuschauer seine Erwartungen an die Geschichte tunlichst zurückschrauben, da der Regisseur – im Vorspann nur unter dem Akronym NWR geführt – nicht an einer verschachtelt-hakenschlagenden Plot-Point-Dramaturgie interessiert ist. Die Grundzüge der recht dünnen Handlung sind altbekannt, etwa aus David Lynchs surrealem Vexierspiel „Mulholland Drive“, das anstelle der Modewelt das Filmgeschäft seziert. Auch in „The Neon Demon“ wandelt eine junge Frau mit großen Träumen durch den Glitzer-Hotspot Los Angeles, der sich schon bald als Höllenschlund erweist. Als Sammelbecken für Neurosen, Neid und Eitelkeiten.
Abgefedert werden die inhaltliche Leere und die aufgerufenen Klischees durch die Art und Weise, wie der streitbare Däne seine Reise in die Finsternis ausbuchstabiert. Unterlegt mit einem hypnotisch-pulsierenden Elektro-Soundtrack von Cliff Martinez, entwirft Winding Refn ein monströses Panoptikum, dessen hyperästhetische Bilder gleichermaßen faszinieren und verstören. Dass wir mehr zu sehen bekommen als gelackte, kalte Oberflächen, ist der wunderbaren Elle Fanning zu verdanken, die Jesses Wandlung vom stillen Mäuschen zum selbstbewussten Vamp gekonnt durch kleine Gesten und Regungen vermittelt. Dem von vielen Kritikern erhobenen Vorwurf, der Film sei frauenfeindlich, lässt sich entgegenhalten, dass bis auf Dean alle männlichen Figuren negativ gezeichnet sind. Besonders deutlich wird dies am Beispiel eines schmierig-aggressiven Motel-Managers (Keanu Reeves) und des Starfotografen Jack, der vor allem in einer Szene mit seinem stechenden Blick und seinem übergriffigen Gehabe Neuankömmling Jesse verunsichert und auch dem Zuschauer einen Schauer über den Rücken jagt. Seinen Hang zu kalkulierten Provokationen und seine offenkundige Selbstverliebtheit – als NWR macht er sich immerhin zu einer Marke – kann man Winding Refn sicher ankreiden. Eines ist aber ebenso gewiss: Seine visuell berauschenden Filme wühlen auf und lassen den Betrachter keineswegs gleichgültig zurück. Das gilt auch für „The Neon Demon“, der mit einem grotesk-ausufernden Schlussdrittel für nachhaltige Irritationen sorgt. Cineasten-Herz, was willst du mehr!?
The Neon Demon
Länge: 117 Min.
Regie: Nicolas Winding Refn
Darsteller: Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Karl Glusman, Keanu Reeves, Desmond Harrington, Christina Hendricks
Kinostart: 23.06.2016