Ob Solo oder mit seiner Band Atari Teenage Riot, Alec Empire hat den Sprung vom lokalen Berliner Szene-Act zum international, gefeiertem Star bereits vor langer Zeit geschafft. „Die Wende hat mir gezeigt, wie schnell sich alles ändern kann“. Das wissen darum ist Alec in Fleisch und Blut übergegangen. Seine Musik unterzieht der Musiker, Produzent und Labelmacher einem steten Wandel. Abgetretene Pfade betritt er nicht. Aufbruchsstimmung heißt das Motto. [030] sprach mit Alec Empire über Berlin, seine zweite Heimat London und die Energie einer längst vergangenen Zeit.
Nach den wilden Neunzigern hast Du einige Jahre in London gelebt. Hast du in deiner britischen Zeit viel von Berlin und seinem Umbruch mitbekommen?
Ich merke jetzt gerade, dass ich viel weniger von der Stadt mitbekommen habe, als ich gedacht hatte. Oft ist es ja so, dass man zurück kommt und man denkt das alles noch so aus sieht wie früher oder relativ ähnlich. In der Realität ist das dann aber dann eher nicht der Fall.
Wann hat sich das bei Dir bemerkbar gemacht?
Als ich Ende 2005 mal zwei Wochen am Stück in der Stadt war. Die Szene hat sich komplett geändert. Ich fand das gut, dass wieder so viele neue Leute, gerade aus dem Ausland, nach Berlin gezogen sind.
Worüber warst Du froh?
Das dieses ganze Elektro-Clash Ding sich überlebt hat. Diese aufgesetzte, witzige Stimmung, mit dem Hang ins Zynische war endlich weg. So komisch aufgesetzte Sachen wie Peaches oder Puppetmastaz. Damals habe ich mich schon gefragt, wo denn die ganze tolle Energie aus den Neunzigern geblieben ist.
Und heute?
Ich finde es zurzeit wirklich wieder richtig spannend in Berlin. In London zum Beispiel kommt mir das alles immer extrem rückwärtsgewandt vor. In Berlin hast Du diese Einstellung, dass etwas passieren muss. In London gibt es das weniger. Da wird das genommen was gerade gehypt wird, und die Leute lassen darauf ein.
War das früher anders?
Ja, dadurch dass das Land so klein ist, waren die Wege zwischen Independent und Mainstream viel kürzer als anderswo. Der Austausch fand einfach schneller statt. Heute geht es dort nur noch um finanzielle Interessen. Deshalb passiert in den Clubs auch nur noch das, was schon halbwegs etabliert ist. Da gibt es nicht mehr soviel Raum zum experimentieren.
Und in Berlin?
Da ist der Druck noch nicht so groß. Hier gibt es so viele Orte in denen ganz neue Sachen einfach mal ausprobiert werden können, ohne das der Veranstalter gleich Angst hat, seinen Laden zu verlieren.
Das war Anfang der Neunziger noch ausgeprägter. War eine Band wie Atari Teenage Riot nur hier denkbar?
Natürlich kann man sich jetzt schwer vorstellen, welchen Weg meine Musik woanders genommen hätte. Musikalisch war aber sicherlich diese ganze Berliner Avantgarde Sache, nehmen wir Malaria oder die Neubauten, die mit elektronischen Sachen einfach frei experimentiert haben, prägend gewesen. Die haben sich nicht unterworfen um irgendeiner Struktur zu folgen, sondern da ging es um das Machen an sich. Zumindest kam mir das immer so vor. Das man im Ostteil genügend Orte fand um einfach drauflos zu spielen, war sicherlich einmalig und für uns als Band nur förderlich.
Inwiefern spielte die Mauer, das eingesperrt sein, eine Rolle für deine Entwicklung?
Die Mauer, aber noch vielmehr der Mauerfall, war für mich einfach ein Zeichen dafür, dass sich alles in kürzester Zeit ändern kann. Die Möglichkeit besteht zu jeder Zeit. Und entweder man ist ein Teil davon oder nicht. Dieses zu erleben ist es auch was die Stadt Berlin und ihre Bewohner allen anderen voraushat. Das spiegelt sich natürlich auch in meiner Musik ganz stark wieder. Ich persönlich weiß einfach, dass man zu jeder Zeit alles radikal ändern kann und andere musikalische Wege einschlagen kann. Dieser Instinkt aus dem heraus ich meine Musik erschaffe, der ist aus meiner Sicht ganz stark mit meinen Berlin Erfahrungen verbunden.
Bei dem was Du schon in Berlin erlebt hast. Kann man Dich mit dem heutigen Berliner Nachtleben noch aus der Reserve locken?
Hmmm. Ich kenne halt noch diese alte euphorische Nachwende Berlin Stimmung. Eine ganz andere Energie, als die heutige. Wenn ich heute mitbekomme wie die Leute abgehen und sagen: „Das war das Geilste was ich je erlebt habe“, dann denke ich immer: „Naja, okay. Das war ganz cool. Aber sooo geil?“. Dafür trage ich einfach ein ganz anderes Energie Level mit mir rum. Für meine Shows oder DJ Sets ist das natürlich perfekt, denn ich kann dieses Gefühl reproduzieren und an die Leute weitergeben. Deshalb bin ich ganz froh, dass ich damals alles noch live erlebt habe.