„Drei Leben. 90 Minuten. Ein Take“ steht auf dem Filmplakat. Ganz ohne Schnitt kommt Jungfilmer Tim Dünschede, 36, bei seinem Diplomfilm der Hochschule aus. Der Thriller „Limbo“ erzählt in Echtzeit von drei Figuren, deren Wege sich kreuzen. Dann sorgt der Zufall für einen furiosen Showdown in einem Boxring.
Nach der Premiere auf dem Filmfest München folgte eine Einladung auf das renommierte Austin Filmfestival. Neben Nominierungen für First Steps und den Michael Ballhaus Preis wurde „Limbo“ mit dem VGF Nachwuchsproduzentenpreis prämiert.
Herr Dünschede, im Abspann danken Al Pacino. Hat er sich schon bei Ihnen gemeldet?
Auf eine Reaktion von Al Pacino warten wir noch! (Lacht) Auf Festivals wurde allerdings eifrig nachgefragt, wie diese Widmung zustande kam. Der Grund liegt darin, dass mein Drehbuchautor Anil Kizilbuga und ich uns bei der Figur des Kleinganoven Ozzy sehr stark an „Donnie Brasco“ orientiert haben. In unserem Büro hatten wir eigens ein Foto von Pacino zur Inspiration an die Wand gehängt.
Eine Danksagung an Sebastian Schipper fehlt indes, dessen „Victoria“ vermutlich gleichfalls eine Inspiration für einen Film ohne Schnitt gewesen sein dürfte…
Stimmt, Sebastian Schipper hätte das auf jeden Fall verdient. Schließlich kamen wir durch „Victoria“ auf die Idee für unser Projekt. Aber in dem ganzen Wahnsinn haben wir gar nicht mehr an eine Danksagung gedacht. Wir hatten so wenig Zeit, dass wir nicht einmal Kontakt aufgenommen haben, um ihn um Ratschläge zu bitten.
Wer zu spät kommt, denn bestraft das Originalitätsgericht: Ärgert es Sie, nicht der erste zu sein, dessen Film ohne
Schnitt auskommt?
Dünschede: Keineswegs, kurz vor uns hat Dani Levy ja einen „Tatort“ ohne Schnitt präsentiert. Und „Russian Ark“ von Sokurow entstand bereits vor 20 Jahren. Nur weil es schon Western gibt, kann ich doch weiterhin Western drehen. Uns lag vor allem an dem Abenteuer, etwas zu versuchen, bei dem wir auch scheitern könnten – und dafür bot die Filmhochschule einen sicheren Rahmen.
Muss man ein bisschen Streber sein, um so ein Projekt zu wagen?
Streber würde ich dazu nicht sagen. Man sollte idealerweise sein Handwerk verstanden haben, weil man sich sehr darauf verlassen muss. Es fehlt bei dieser Methode ja die Möglichkeit, Szenen zu wiederholen oder verschiedene Einstellungen auszuprobieren. Man muss vorher alles mit dem Team bestmöglich besprechen, damit nach dem Startschuss jeder weiß, wo es hingehen soll.
„Wenn der eine zu Boden geht, geht der andere in die Ecke!“, sagt der Ringrichter im Film einmal. War das auch die Regieanweisung von Ihnen, wenn Pannen drohten?
Unser Motto hieß: „Es gibt keine Pannen! Wir machen so oder so weiter! Abgebrochen wird nicht!“. Die Bedeutung wurde den Schauspielern erst bei der Durchlauf-Probe so richtig bewusst. Am Anfang steigt Elisa Schlott in den Aufzug, was wir penibel vorbereitet hatten. Durch Zufall kam aber der zweite Lift. Als Elisa losging, flüsterte der Kameramann „Falscher Aufzug!“. So etwas verunsichert eine/n Schauspieler/in natürlich und auch Elisa hat den Gedanken „Ich hab´s vermasselt.“ bei dieser Probe nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Diese Angst vor dem Scheitern mussten wir überwinden. Auch bei einem Fehler, musste man einfach weitermachen.
Bei dieser Szene zu Beginn könnte man immerhin nochmals zurück auf Los?
Dünschede: Leider nicht, wegen dem Licht. Der Film beginnt zur blauen Stunde, wenn wir verspätet begonnen hätten, wäre es auf der Straße zu dunkel geworden. Alles war so genau geplant, dass wir auf keinen Fall hätten abbrechen können. Drehbeginn war gegen 19.30 Uhr und 90 Minuten später hatten wir den Film im Kasten.
Wie viele Durchläufe hat es gegeben vor dem endgültigen Dreh?
Es gab eine Hauptprobe, bei der wir überhaupt zum aller ersten Mal den „Film“ in Gänze gesehen haben. Nach dieser haben wir dann gemeinsam besprochen, welche Dinge noch geändert werden mussten. Danach folgte die Generalprobe mit einigen Schlüssel /Key-Komparsen. Schließlich haben wir gedreht. Den ersten Take konnten wir nicht verwenden, weil es noch ein paar Probleme bei den Aufbauten gab. Das war sozusagen die heiße Probe. Dann war allen klar, dass es der zweite Take werden muss.
Ohne Spoiler-Alarm auszulösen, welche Pannen hat es gegeben?
Es gibt einen Rempler an die Kamera, als Tilman Strauss vergessen hat, die Türe lange genug aufzuhalten damit auch die Kamera hindurch konnte. Und bei der Fahrt im Cabrio gab es beim Gespräch ein paar ungeplante Dialog-Änderungen. Dadurch fehlten die Schlüsselworte für unseren Kameramann und die Kameraschwenks von der Rückbank verliefen nicht mehr ganz so, wie eigentlich geplant.
Wie wissen die Schauspieler, welchen Weg sie genau nehmen müssen? Hatten Sie da mit Laserpointern für Orientierung gesorgt?
Nein, wir hatten weder Laserpointer noch Markierungen. Da eigentlich all unsere Schauspieler über extrem viel Theatererfahrung verfügen, haben sie einfach dieses Bewegungsgedächtnis – das hat wirklich sehr gut funktioniert. Wenn der Schauspieler einmal drei Schritte zu viel gemacht hat, konnte das notfalls vom Kameramann ausgeglichen werden.
Wie plant man die Logistik für solch ein Projekt?
Die Logistik wird schon sehr komplex, wenn man die Drehorte wechselt und das auch noch mit einer Autofahrt. Beim Drehbuchschreiben sah das noch sehr einfach aus, die Umsetzung war dann schon krasser. Ganz abgesehen vom Wetterrisiko, gerät eine Fahrt auf der Münchner Leopoldstraße im normalen Straßenverkehr zum kleinen Abenteuer. Bei der Generalprobe hatten wir ständige rote Welle, wodurch die Fahrt doppelt so lange gedauert hat. Für solche Fälle gab es dann Zusatzdialoge als Plan B.
Apropos Plan B: Bei „1917“ soll an einigen Stellen getrickst worden sein. Mit einem perfekten Schnitt lässt sich das unauffällig bewerkstelligen. Ist „Limbo“ tatsächlich und ohne Schummeln mit nur einer einzigen Einstellung entstanden?
Wir haben nicht geschummelt, „Limbo“ entstand mit nur einer einzigen Einstellung! Mein Professor an der Hochschule meinte: „Seien Sie clever. Bauen Sie sich versteckte Schnittmöglichkeiten ein, egal ob sie die später nutzen müssen.“ Bis kurz vor dem Dreh gab es diese Überlegungen, doch dann entschieden wir uns dagegen. Denn wenn es solche versteckten Schnittmöglichkeiten gibt, entsteht sofort der Verdacht, dass es auch Schnitte gegeben hat. Wir haben einfach alles auf eine Karte gesetzt und hoch gepokert.
Wie hoch mussten Sie pokern, um Martin Semmelrogge für das Projekt zu gewinnen?
Das lief ganz normal über seine Agentin. Wir schickten ihm die erste Version des Drehbuchs. Danach trafen wir uns und man war sich sympathisch. So kam Martin Semmelrogge ins Boot. Wobei er die zwei Drehtage etwas unterschätzt hat, weil da ja noch etliche Proben hinzukamen. Tatsächlich war er es aber, der sich dann die meiste Zeit freigeschaufelt hat.
Ab 20.02. im Kino
Fotocredit: Nordpolaris