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Credit: Paul Ripke

Marteria: »Ich feiere das Leben sowieso!«

Marten wechselt zuverlässig ab. Seine neue Platte „Roswell“ ist demnach weniger weedgezeichnet als der Vorgänger, aber kein bisschen weniger abgespaced. Auch der Künstler Marteria greift nach den Sternen: In Südafrika realisierte er ein fünfzigminütiges Filmprojekt zum Album. Wir sprechen über Fanbindung, Lebensglück und HipHop-Kultur.

Wie funktioniert eigentlich das Green Berlin-Camp? Du hast ja ein Team aus Produzenten, die auch solo veröffentlichen und dir trotzdem einen sehr bestimmten Sound auf  den Leib schustern.

Marsimoto ist Head of Green Berlin, er hat das als Künstlerverbund und Label gegründet. Zwar veröffentlichen Leute wie Nobody's Face und Chefket im Moment über andere Plattformen, es ist aber durchaus der Plan, in naher Zukunft auch physische Platten zu releasen. Bis dahin ist es ein Trademark mit einer eigenen Klamotten-Linie und Künstlern, die Teil der Familie sind und diese Idee mit tragen

Das heißt, aus dem Künstlerkollektiv soll ein Label werden?

Dafür muss man viel Zeit haben. Ich hätte das längst machen können, aber ich will dann auch, dass es geil ist. Es geht um oute Musik in Kleinauflagen, so etwas wie WARP in Berlin.

Funktioniert die Trennung zwischen Marteria, dem Popstar, und Marsimoto, dem bunten Untergrund-Künstler, mit dem neuen Album noch?

Ich habe diese Diskussion selbst nie geführt. Die Leute brauchen gerade in Deutschland immer Schubladen, in anderen Ländern gibt es diese Diskussion gar nicht mehr. Es gibt so viele oute Marteria-Songs. Nur weil ich Hits hatte, die im Radio liefen, bin ich trotzdem ein Künstler, der sich über Alben definiert und auf Albumlänge immer viel verfrickeltes Zeug gemacht hat. Das letzte Album war zum Beispiel super düster und mit Plattenknistern. Dann gab es die beiden Abgeh-Songs OMG und Kids. Marteria hat genauso viele oute Momente wie Marsimoto.

Dann ist der Unterschied eher einer der öffentlichen Inszenierung.

Es gibt bei Marsimoto ja keine öffentliche Inszenierung. Es gibt keine Interviews. Es gibt nur mit den Kumpels abhängen, kiffen und verrückte Songs zu schreiben. So ein Free Jazz Projekt. Ich bin super glücklich, etwas zu haben, wo ich in keiner Figur gefangen bin. Ich bin ja kein Dienstleister. Ich versuche, etwas künstlerisch Wertvolles zu schaffen und nicht, bei irgendwelchen Radiostationen anzudocken.

Marteria 51, die Nähe zwischen Rostock und Roswell – Wie kamst du auf das SciFi-Motiv?

Manche Leute fragen mich jetzt, ob ich an Aliens glaube. Die haben nichts verstanden. Es geht ums Außenseitertum. Das habe ich auch nicht erfunden. Sting hat sich schon in „Englishman in New York“ als Alien bezeichnet. Dieses Gefühl kommt aus meiner Vergangenheit in Rostock, als HipHop noch nicht das große Ding war, sondern eine kleine Szene aus 30 Leuten, die aufpassen musste, damit sie nicht von den Nazis auf die Fresse bekommt. Weil wir uns vor die Schwächeren gestellt haben, weil wir auf die Leute aufgepasst haben, die aus einem anderen Land in unsere Klasse kamen. Das ist meine Auffassung von HipHop und macht sich immer noch bemerkbar, wenn Songs wie „Aliens“ entstehen.

Heutzutage ist HipHop kaum noch Subkultur.

Das stimmt. Ich bin Fan meiner alten Welt, in der ich noch einen East Coast-Beat und einen West Coast-Beat erkennen konnte. Heute kommen die Beats aus Atlanta oder Miami. Andrerseits ist die Szene so kulturell und vielseitig wie nie und es gibt diese Grenzen zwischen Genres nicht mehr. Es ist in der neuen HipHop-Generation viel akzeptierter, seine künstlerische Freiheit auszuloten, ohne dass man ausgestoßen wird. Die alte Generation hatte schon noch mehr Scheuklappen.

Welche Momente gibt es, in denen du dich eher der alten Generation zugehörig fühlst?

Man sollte meiner Meinung nach immer noch über ein Album kommen, um sich zu etablieren und nicht nur über Songs. Jeder kann mal einen Hit haben. Ich brauche ein Album, auf dem ich verschiedene Facetten eines Künstlers vorgestellt und Inhalte vermittelt bekomme, so wie von einem Kendrick Lamar zum Beispiel. Das sind die Künstler, die sich durchsetzen werden.

Viele Künstler empfinden den Aufwand, ein Album zu produzieren nicht mehr als zeitgemäß, wenn die Leute auf ihrem Handy oder auf Spotify eh nur die Hits hören.

Warum sollen Leute dir dann folgen, mit dir wachsen, zu deinem Konzert kommen? Die Leute, die deine Hits im Club gehört haben, kommen ein Mal, vielleicht auch zwei Mal, aber nach zwei Jahren kommen die nicht mehr. Die Hörer müssen sich mit dir identifizieren können und dazu brauchen sie ein Album.

Welche Möglichkeiten hat dir die Alien-Thematik eröffnet?

Es gibt im Deutschen nicht so viele geile Wörter, um diese Gefühle zu beschreiben. Mit diesem geerdeten SciFi-Gedanken hatte ich einfach 250 neue Wörter. Außerdem will ich mich nicht wiederholen. Ob jemand die eine Platte lieber mag als die andere, ist mir total egal. Es geht darum, verschiedene Vibes anzubieten und sich nicht zu wiederholen. 

Dein textliches Konzept ist immer schon sehr bildsprachlich und vor Allem bemüht, keine schon tausendfach gehörten Klischees zu wiederholen.

Absolut. Es macht mir viel Spaß, Texte zu schreiben. Ich weiß auch nicht, was eine Textblockade sein soll. Vielleicht passiert das, wenn man die ganze Zeit im selben Raum sitzt. Man muss natürlich raus, um inspiriert zu werden. Dann kann einem ein geiler Text aber in Angola beim Angeln ebenso einfallen wie beim McDonalds auf der Autobahnraststätte kurz vor Hamburg. Sobald du unterwegs bist und die Eindrücke, die du hast öfter mal veränderst, kommen Ideen. Wie-Vergleiche beispielsweise nerven mich. Es ist sehr leicht, so Texte zu schreiben, aber es ist langweilig. Ohne das Wort „wie“ gute Bilder und gute Vergleiche zu haben, ist schwieriger. Wenn man es aber knackt, fühlt es sich geil an.

Als du kürzlich bei Joko und Klaas gefreestylet hast, flammte kurz die alte „Dürfen die uns parodieren?“-Diskusssion auf.

Bei den Beiden dachte ich das nicht. HipHop hat mir auch in ganz entscheidenden Phasen meines Lebens den Arsch gerettet. Deshalb mag ich es nicht, wenn er verarscht wird. HipHop hat aber viele Ebenen und darf auch lustig sein. Man muss es nur trotzdem fühlen. Die Beiden bemühen sich immerhin, zu freestylen. Klaas macht es auch sehr passabel. Joko kriegt es nicht hin, er will aber! Das ist ein Unterschied.

Das Problem ist vermutlich, dass sich HipHop-Fans in den Mainstream-Medien schon lange und oft missverstanden fühlen.

Ich habe inzwischen auch meine fünfte Einladung von Markus Lanz bekommen, aber man muss ja nicht hingehen. Und wenn man nicht in der Lage ist, persifliert zu werden, dann fehlt es einem auch als Künstler an Selbstbewusstsein. Ein Typ wie Stefan Raab hat damit auch viel gespielt. Der kannte sich aber auch aus. Der ist ein alter Crate-Digger und hat EPMD-Platten Zuhause. Und damals war Musik noch viel faschistoider, heute gibt es derart viele Richtungen, dass man es natürlich verarschen kann, wenn man sich auskennt. Wenn du dich aber nicht auskennst, halt die Fresse und sag nichts über HipHop!

Du hast zum Album einen fünfzigminütigen Film namens „Antimarteria“ gedreht. Wie kam es dazu?

Die Idee entstand aus den Songs. Ich hab mich dann mit Specter getroffen und wir haben uns reingevibet und irgendwann realisiert, dass das mehr werden muss als ein Musikvideo. Es ist das größte Projekt, das wir Alle in unserer Musiker-Karriere gemacht haben. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für ein wahnsinniger Aufwand ist. 50 Leute aus Deutschland, 50 aus Südafrika, Townships, kein Polizeischutz, mit Gangstern verhandeln, damit man da drehen darf, die Verbrüderung, die aber auch stattfindet. Ein Wahnsinn, durch den man geht.

Was drückt der Titel „Antimarteria“ aus?

Im Prinzip geht es um das Yin- und Yang-Prinzip, dass wir Alle zwei Seiten in uns tragen, das Gute und das Böse. Wir sind aber auch alle verbunden. Dadurch, dass wir beide gerade Nike-Schuhe tragen und uns nicht rausnehmen können aus der Scheiße, die vielleicht für diese Nike-Schuhe passiert ist. Um diese Ideen wird ein Märchen erzählt, ohne aber den Zeigefinger zu erheben, ohne dass sich jemand besser fühlt als andere. Es gibt eine Szene, in der ich im Township rappe und niemand jubelt, dann rollt aber ein Fußball herein und alle beginnen, zu spielen. Alle anderen hätten sich dort vermutlich als Stars inszeniert, das ist aber Schwachsinn. Fußball ist der Star.

Dabei gab es vermutlich viele Momente, die für zukünftige Platten inspirierend waren.

Na klar. Ich mach es ja für mich, ich muss keine Rechenschaft ablegen. Ich muss nicht die ganze Zeit Musik machen. Man hat im Leben die Chance, Dinge zu verändern und ist außer sich selbst niemandem etwas schuldig. Es geht darum, das Gefühl zu haben, etwas Geiles gemacht zu haben und nicht um kommerzielle Gerüste. Es geht um Kunst, ebenso wie damals, als wir angefangen haben. Ebenso wie bei jedem Typ, der rausgeht und einen Train bemalt. Der versucht, Kunst zu hinterlassen. Manchmal hast du Glück und verdienst damit Geld, ganz viele haben das nicht, es ist aber scheißegal. Zu Menschen, die keine Kohle verdienen habe ich meist eine bessere Bindung als zu denen, die viel Kohle verdienen. Deshalb bin ich wahrscheinlich auch so viel in diesen Ländern reisen und feiere es. 

Selbstverwirklichung und Musik sind für dich aber vermutlich stark verbunden. Du machst ja sehr konsequent alle zwei Jahre ein Album.

Solange es Bock bringt, solange man etwas zu erzählen hat, macht man das. Sobald das nicht mehr der Fall ist, lässt man es aber sein. Ich feiere das Leben sowieso. Wer zu viel Druck und zu viele Schranken verspürt, muss sich mal locker machen. Mit 21 und Hartz IV komplett am Arsch war der Hustle härter, das Visier war schärfer, es war aber genau so lustig. Glück und Geld sind ganz verschiedene Dinge. Ich angle gerne. Wenn ich merke, dass Musik nicht mehr funktioniert, mache ich ein Angelguiding-Unternehmen auf den Bahamas auf. Das wäre doch der Mega-Job! Dadurch dass man reflektiert ist, kommt aber immer wieder ein neuer Hunger. So aufgeregt wie vor dieser Platte war ich vor keiner. Davor war ein Jahr Pause, in der ich keine Gigs gespielt hab. Jetzt kann ich kaum erwarten, raus auf die Bühne zu gehen und kann kaum erwarten, dass die Menschen die Platte endlich hören.

roswell-cover_3000x3000_rgbMarteria – Roswell
VÖ: 26.5. / Green Berlin (Sony Music)

Online erhältlich: iTunes / Amazon

Live am DO 25.5. ab 20 Uhr im Cassiopeia.


Fotocredit: Paul Ripke

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