$ick, Shore Stein Papier, sqnce

$ick: »Mich mussten sie immer erst verhaften, damit ich nachdenke.«

„Shore, Stein, Papier“ – Das sind Straßennamen für Heroin, Koks und Geld. Außerdem ist es der Titel der jüngsten Buchveröffentlichung von $ick, dem ehemaligen Heroinabhängigen, der auf dem YouTube-Kanal „sqnce“ mit seiner Geschichte Hunderttausende Zuhörer fand – und eine Aufarbeitung, die ihm half, clean zu bleiben. Jetzt steht er auf Platz 11 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Wir treffen den 43-jährigen, der mit 15 Jahren das erste Mal Shore geraucht hat, nach einer Signierstunde.


Hättest du dir jemals erträumt, dass du einmal Signierstunden gibst und dass sich derart viele Menschen für deine Geschichte interessieren?

Nein, im Leben nicht. Wir sind in Berlin, einer großen Stadt, da habe ich mir schon erhofft, dass ein paar Leute rumkommen. Aber dass die bei dieser Kälte bis um die Straßenecke Schlange stehen und das teilweise zwei Stunden lang, nur für ein Autogramm, das ist schon irgendwie eine merkwürdige Nummer.

Ist das skurril für dich, wie ein Star behandelt zu werden?

Ja, denn die, die sich heute hier angestellt haben, hätten zum Großteil vor vier Jahren noch die Bullen gerufen, wenn sie mich sehen. Aber das Gefühl ändert sich langsam. Ich fühl mich langsam von der Gesellschaft anders wahrgenommen und meine Wirkung auf die Gesellschaft hat sich sicherlich auch verändert.

$ick, Shore Stein papier
Kaffee, Kippe, Küchentisch: $icks klassisches Setting.

Ein Teilgrund für euren Erfolg ist sicher die sehr nahbare, charismatische Ausstrahlung, die du trotz deiner Geschichte besitzt. Ist das früher einmal anders gewesen?

Ich denke, das war nicht immer so. Das hat sich wahrscheinlich durch meinen jetzigen Freundeskreis ergeben. Den kannte ich schon vor meiner letzten Haftzeit, 2003 bin ich das letzte Mal entlassen worden. Und er hatte wohl das Gefühl, obwohl ich meistens drauf war, dass ich ein guter Typ bin und hat daran festgehalten. ($ick spricht von sqnce- und 16bars-Inhaber Ramon Diehl., Anm. d. Red.)

Wie ging das mit deiner Abhängigkeit zusammen, dass du auch damals schon im Medienzirkus beschäftigt warst?

Das ist eine Frage der Organisation. Ich kann ruhig drauf sein, es darf nur nicht behindern. Es war mir aber auch unangenehm und ich wollte die Jungs nicht unbedingt damit konfrontieren. Dann hab ich halt vorher oder nachher geraucht und nicht währenddessen. Das war vielleicht der Anfang eines langen Übergangs. Den Absprung von jetzt auf gleich von einer Droge schaffen eh die Wenigsten. In der Regel ist es ein warmer Entzug, mit allen möglichen Hilfsmitteln.

Wie lang warst du clean, als ihr mit „Shore, Stein, Papier“ begonnen habt?

Ganz kurz. Der Anruf, ob ich Lust hab, meine Geschichte vor der Kamera zu erzählen, kam im Sommer 2012. Da kam ich gerade aus meiner letzten Entgiftung und war wieder an diesem Nullpunkt, ohne Aufgabe. Und hätte mir das Projekt nicht eine Aufgabe gegeben, würde ich wahrscheinlich jetzt gerade auch wieder aus der letzten Entgiftung kommen, schätze ich mal.

Vom Bordstein zur Skyline: $ick und Kameramann Paul Lücke bei der Grimme-Preisverleihung.
Vom Bordstein zur Skyline: $ick und Kameramann Paul Lücke bei der Grimme-Preisverleihung.

Das Projekt hatte also einen therapeutischen Effekt für dich?

Natürlich. Das Erzählen der Gesichte an sich, aber auch einfach die endlosen Stunden, die ich dadurch mit anständigen, nicht konsumierenden Menschen verbracht habe, und mich trotzdem irgendwie dort nicht fehl am Platz gefühlt habe, weil sie mich trotzdem mochten. Auch auf Methadon mit Beikonsum haben die mich genommen, obwohl ich immer als Einziger so schräg unterwegs war. Ab und zu waren ein paar Kiffer dabei, gelegentlich hat einer ein Teil geschmissen, aber das war schon das höchste der Gefühle.

Gerade hier in Berlin ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Mensch regelmäßig kifft und gelegentlich ein Teil schmeißt. Findest du das unproblematisch?

Damit ist man nur Einer von Vielen. Als Zuschauer ziehe ich mir das mitunter noch rein und wenn ich die Leute seh, die noch Spaß an ihrem Turn haben, dann ist das auch cool. Dann seh ich aber auch diejenigen, für die es schon Standard geworden ist und die wahrscheinlich ohne Teil keinen Spaß mehr hätten. Da vergeht mir dann die Lust. Ich könnte das auch nicht mehr, es wäre mir viel zu anstrengend, nochmal eine Nacht durchzukoksen oder Speed zu nehmen. Ich hab jetzt knapp vier Jahre gebraucht, um meinen Köper wieder in Ordnung zu bekommen. Ich hab durch Depressionen Rückenschmerzen bekommen, der ganze Körper verkrampft, der Schädel ist am Rotieren. Die Psyche strahlt auch auf den Körper aus. Das merke ich im Moment immer noch. Aber je mehr es dem Geist gut geht, desto mehr genest auch der Körper. Ich gönne mir deshalb gerade viel Sauna und gutes Essen und gehe früh ins Bett, habe einen geregelten Rhythmus. Eigentlich all das, was man früher spießig fand, das tut mir jetzt gut. 

Woran liegt das, dass man nicht über die Ermangelung einer Lebensaufgabe nachdenkt, wenn man drauf ist?

Weil der Stoff dich ausfüllt. Dieser Gedankenkreislauf, denn du nüchtern hast, den hast du dann gar nicht. Du stellst dir nur unmittelbare Fragen: Wo penn ich heute Nacht? Wo bekomme ich etwas zu Essen? Esse ich überhaupt noch etwas oder hol ich lieber noch Stoff? Mich mussten sie immer erst verhaften, damit ich nachdenke.

$ick, Shore Stein Papier
Thug Life: $ick um 2008 als Rapper auf der Bühne.

Wie ging es dir mental zu der Zeit, als du gerappt hast? Hätte das eine Lebensaufgabe sein können?

Ich hab auf jeden Fall weniger konsumiert zu der Zeit. Da hab ich dann mehr gekifft oder mir vielleicht meinen Pegel vorher schon geholt, aber während ich mit den Jungs zusammen war, konnte ich so gut es geht auf den unerwünschten Stoff verzichten. Das wäre mir wie gesagt unangenehm gewesen. Und Rap war ein Ventil. Ist es auch heute noch. Ich schreibe auch heute noch Texte. Ich plane auch ein „Shore, Stein, Papier“-Album für nächstes Jahr.

Ein Album, das auch deine Geschichte erzählt?

Ich war eine Zeit in Griechenland Ende 2013, um am Buch zu schreiben, hab dort meine Depression bekommen, nur noch geheult und dann mit Uzo und Rotwein abgefüllt am Strand ein ganzes Album geschrieben, von dem ein paar Tracks definitiv überlebt haben, die mich richtig repräsentieren und mir auch heute noch gefallen. Das ist ähnlich wie die Videos im Grunde eine Bloßstellung, eine öffentliche Selbstreflexion. Zu Einem der Tracks werde ich jetzt bei den Lesungen immer auf die Bühne kommen, wie ein Boxer zu seiner Einzugsmusik.

Womit hältst du dich außerdem in Zukunft beschäftigt?

Wir arbeiten an diesem Projekt noch weiter. Wir sind jetzt zum Beispiel an den ersten Schulen gewesen, als Einheit zur Drogenprävention. Da steh ich dann neben einem Polizisten und einem richtigen Drogenberater. Der eine hat das gelernt, hat aber eigentlich von Tuten und Blasen keine Ahnung und der Polizist wedelt halt nur mit dem Zeigefinger. Aber die Kids machen sehr gut mit und das macht riesigen Spaß.

Du wedelst halt nicht nur mit dem Zeigefinger. Dafür hat man euch aber mitunter auch vorgeworfen, die Drogen zu verherrlichen.

Weil ich nicht lüge. Und ich sage auch dem 15-jährigen: Ja Mann, es macht zunächst verdammt viel Spaß. Und genau das ist so gefährlich daran. Und wenn ich diesen Part verschweige, habe ich nur die halbe Wahrheit erzählt.


"Shore, Stein, Papier" ist beim Piper Verlag erschienen.
Wir verlosen zwei Exemplare. Meldet euch per Mail an verlosung@berlin030.de!

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