MyFest, Kreuzberg, 1. Mai, Berlin

„Weil die Bewohner gesagt haben: Wir haben die Schnauze voll!“ MyFest – Gründer Halis Sönmez im Interview

Unpolitischer Ballermann oder wertvolle Initiative? Das Kreuzberger MyFest steht seit einigen Jahren nicht nur organisatorisch infrage, sondern auch durch Kritiker unter Beschuss. 2003 als Alternative zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen am 1. Mai gegründet, ist das Fest mittlerweile zu einer berlinweiten Attraktion geworden.

Nicht selten wird die Veranstaltung als Gegensatz zur traditionellen linken Demonstration verhandelt. Ist das gerechtfertigt? Halis Sönmez, einer der Initiatoren und selbst ehemaliger Hausbesetzer und Demonstrant, hat das MyFest zu dem heranwachsen sehen, was es heute ist: ein Politikum. 

Was sind die Hintergründe des MyFest und was sollte es leisten? 

Wir haben versucht, Häuser zu erhalten, wir haben Wohnraum für uns geschaffen. Viele Leute, die Jahre später demonstriert haben, haben es nur gemacht, um dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei zu erleben. Da gab’s immer Verletzte, Verhaftete und so weiter. Politisch irgendetwas durchzusetzen, gegen Rassismus, gegen Faschismus, ist gut. Aber muss da unbedingt ein Auto verbrannt werden oder ein Gewerbe Treibender Schaden nehmen? Ist das richtig? Und genau das fanden wir eben nicht. Das war wahrscheinlich der Grund, warum das MyFest so erfolgreich war, weil die Bewohner gesagt haben: ‚Wir haben die Schnauze voll‘. 

Waren die Aussagen der Demos auf dem MyFest noch präsent? 

Da die Festgründer aus derselben Klientel kamen, war doch klar, dass wir politisch waren. Die Idee war einfach, den Gruppierungen, die damals hier aktiv waren, die Möglichkeit zu geben, das, was sie aussagen wollten, über die Bühne zu vermitteln, aber nicht, indem sie auf der Straße rumrennen und irgendwas in Brand setzen. Es gab verschiedene Gespräche und Diskussionen, die den ersten Mai betreffen, die damalige Zeit, Löhne, Mieten. Das ist bis heute ein Teil des MyFest. 

Du sagst, dass sich das Image von Kreuzberg verändert hat und sich auch deshalb die Bevölkerung austauscht. Inwieweit hat das MyFest daran einen Anteil? 

Die Frage habe ich mir schon oft selbst gestellt: Wenn Kreuzberg weitergebrannt hätte, wenn viele dementsprechend gesagt hätten, hier sollte man nicht investieren, würde das die Situation heute verändern? Vielleicht. Nur, wenn man an die Lage nach dem Mauerfall denkt: Kreuzberg war immer Mittelpunkt von Berlin. Die Verdrängung wäre ein Jahr früher oder später immer dagewesen. 

Wie wirkt sich die Veränderung der Anwohnerschaft auf das Fest aus? 

Es gibt Leute, die mit Kreuzberg nichts zu tun hatten, die eben durch die Verdrängung in die Wohnungen hier ziehen und erst mal sagen: ‚Warum ist das so laut? Ich will schlafen.‘ Wir haben vor vier Jahren 120 Beschwerden gehabt. Deswegen haben wir das MyFest verändert. Auch durch den Ausstieg des Bezirksamtes (aus der Planung) mussten wir komplett umdenken. Über die Hälfte des Raumes haben wir verloren, das sind Fluchtwege. Wir müssen uns da an Vorgaben halten, früher haben wir das nicht gemacht. Damals war es das Verlangen des Senats, so viel wie möglich zu bespielen, bis früh morgens am besten, damit es nicht eskaliert. Irgendwann hat der Bezirk die Frage gestellt, ob man das noch braucht. Der Charakter des Myfest hat sich auf jeden Fall verändert. Wir sind kontrollierter vom Senat, aber außerhalb unseres Raumes ist alles offen und die machen Bühnen ohne Genehmigung. Wir haben nur die Mariannenstraße und die Oranienstraße. Das ist das, was übrig geblieben ist. Der Bezirk möchte die Verantwortung nicht haben. Am liebsten wäre es denen, wenn wir es komplett lassen. Aber ich denke schon, dass sich das bewährt hat. 

Was denkst du, würde passieren, wenn es kein MyFest gäbe? 

Ich denke, es gibt heute eine ähnliche Lage und Problematik wie früher. Die Zeiten haben sich geändert, die Währung hat sich geändert, aber die Probleme sind noch immer groß. Armut und Arbeitslosigkeit, Hartz4, auch die Wohnungsnot ist groß. Möchte man das Risiko noch mal eingehen? Bis jetzt gibt es ein Tabu, auch, wenn es nicht ausgesprochen wird, das wird von jeder Seite – auch von der linken Gruppierung – akzeptiert. Wir möchten, dass es keine Gefahren gibt, dass niemand verletzt wird. 

Siehst du eine Schwierigkeit darin, dass das MyFest eine Massenveranstaltung geworden ist? 

Alle Feste, die du so hast – beim Karneval der Kulturen reden wir von 1,5 Millionen Menschen – alles hat immer einen Ursprung. Dass die Bevölkerung sagt, wir wollen keinen Rassismus und Karneval ist was Schönes, was anderes als immer nur die gleiche Uniform zu tragen, daraus ist das Ganze entstanden. Und wenn die Leute damit zufrieden und glücklich sind: Was spricht dagegen? 

Die Frage ist ja: Wie stark bleibt so ein Ursprungsgedanke erhalten, wenn die Leute vielleicht mit ganz unterschiedlichen Intentionen so ein Fest besuchen. Viele betrinken sich ja einfach. 

Ja, aber wenn man ein, zwei Stunden von der Zeit des Besäufnisses etwas rüberbringen kann, etwas im Kopf hängen bleibt, ist das schon was. Du gibst denen ja auch Informationen aus. Und die Information für die Leute hier ist die Problematik dieser Gegend. Wir wollen alle hoffen, dass davon etwas hängen bleibt.

Foto: [030] Magazin