Stefan Ruzowitzky, geboren1961 in Wien, schuf mit „Anatomie“ den bis heute komerziell erfolgreichsten deutschen Genrefilm. Sein aktueller Kinofilm „Die Hölle – Inferno“ – ein atmosphärisch dichter Thriller – glänzt mit einer Antiheldin, die sich gegen einen fanatischen Serienkiller behaupten muss.
Siehst du dich als Genrefilmregisseur?
Auch. Ich bin ja für „Anatomie“ noch Inhaber des Titels »kommerziell erfolgreichster deutscher Genrefilm«. Gleichzeitig verweist die Tatsache, dass ich den so lange halten kann auf das Problem, dass zu wenig nachkommt.
War „Anatomie“ für deine Karriere prägend? Hilft er dir, wenn du neue Genreprojekte finanzieren musst?
Ja. Die Crux ist, dass man um Karriere zu machen finanzielle Erfolge vorweisen können muss. Du musst Förderern die Hoffnung geben, dass das Ding an der Kasse etwas einspielt. Ich sehe, dass manche Kollegen auf ein Abstellgleis geraten, weil ihnen immer geraten wird, die schönen Festivalfilme zu machen. Irgendwann stehen sie vor dem Aus, weil diese Filme nichts einspielen. Die harte Realität am Ende des Tages sind die Zuschauerzahlen.
Hast du das bei der Stoffentwicklung für ein Projekt wie „Die Hölle“ im Kopf?
Wir haben einen extrem engagierten Verleih hier in Österreich, sodass ich bezüglich der Zuschauerzahlen optimistisch bin. Über den deutschen Verleih möchte ich lieber nicht reden. Was ich schon im Kopf habe, ist das Zielpublikum. Was erwarten die, wie spreche ich die an? Das bedeutet nicht, dass man sich bemüht, die Erwartungshaltungen immer zu befriedigen, im Gegenteil. Man muss immer wieder damit brechen. Ich muss aber wissen, mit wem ich kommuniziere.
Es klingt an, dass du mit deutschen Verleihern andere Erfahrungen gemacht hast als mit österreichischen.
Die Stimmung in Deutschland ist sehr schwierig. Ich hatte neulich ein Interview mit einer großen deutschen Tageszeitung geplant. Das wurde dann abgesagt mit dem Argument „Der Film ist zu actionreich.“ Action wird als ein Makel gesehen. Es gibt schon eine Grundstimmung gegen das Genrekino, was ich für tragisch halte. Einerseits, da es neben Komödie und Arthouse zu einer gesunden Filmkultur dazu gehört, andrerseits, da in der Filmgeschichte neue Ideen oder Technologien ganz oft aus dem Genrekino kamen.
Wenn es dann positive Pressestimmen gibt, verheißen die oft ganz überrascht: „Ein deutschsprachiger Thriller von Hollywood-Format!“
Das wird oft als Gegensatz gesehen. Action und Österreich – wie passt das denn zusammen? Es war Anspruch für „Die Hölle“, zu zeigen, dass es im deutschsprachigen Bereich möglich ist, Actionsequenzen zu machen, die mit Hollywoodniveau mithalten, aber bei uns spielen und nicht in einer anonymen amerikanischen Großstadt.
Gleichzeitig ist der Film gar nicht so unpolitisch.
Wenn man aus einem Actionplot heraus authentische Figuren und Milieus entwickelt, dann erhält das automatisch eine gesellschaftspolitische Note. Solange diese Note nicht als Message vorne her getragen wird, finde ich das gut. Der iranischstämmige Rapper Nazar hat gesagt, „Die Hölle“ könnte für Migranten der zweiten Generation wichtig werden, weil sie den Film ernst nehmen können. Weil es kein Film ist, in dem sie als bemitleidenswerte Opfer oder soziale Problemfälle dargestellt werden, sondern einer mit Actionszenen, Schlägereien und Allem, was dazu gehört.
Milieustudien oder die Auseinandersetzung mit dem Islam sind im deutschsprachigen Raum stark mit dem Sozialdrama assoziiert. Würdest Du sagen, diese Motive eignen sich gerade für ein Genreprojekt.
Das Problem ist, dass Sozialdramen nur ein bildungsbürgerliches Publikum erreichen, in dem man sich eh einig ist und dann von oben herab solidarisch sagt »Die armen, kleinen Menschlein da unten«. Diese Menschen selbst interessieren diese Filme nicht, denn sie sehen sich ja selbst nicht als Problemfälle. Arthouse-Filme gehen von den Befindlichkeiten des Regisseurs aus. Genrefilme sind ein viel besserer Gradmesser für das, was in einer Gesellschaft passiert.
Du hast auch in Hollywood gearbeitet und dich jetzt doch wieder entschieden, einen Film mit starkem Lokalkolorit zu drehen. Wo liegen die Unterschiede?
Kürzlich hat mich ein deutscher Produzent gefragt, warum man einen Film wie „Die Hölle“ im Kino bringen sollte. In Hollywood wäre die Frage gewesen, warum man beispielsweise ein historisches Drama im Kino bringen sollte. Die Hollywood-Erfahrung ist, dass Action sich verkauft und die Leute einen Mehrwert haben, wenn sie sie auf großer Leinwand mit Surround Sound sehen. Bei der Entstehung der Projekte kommt es in Hollywood sehr darauf an, Stars zu bekommen. Oft steht man kurz davor, ein großes Projekt umzusetzen, während ein Star seit Wochen hin und her überlegt. Wenn er zusagt, hast du plötzlich 80 Millionen Dollar, wenn er absagt, zerfällt das Projekt und das Drehbuch kommt zurück in die Lade.
Können Stars auch hier einem unkonventionellen Projekt auf die Sprünge helfen? „Die Hölle“ ist, abgesehen von der Hauptdarstellerin, mit namenhaften österreichischen Schauspielern besetzt.
Auch in diesem Fall mussten wir das. Die Verleiher und die Fernsehstationen sagen: „Okay, ihr habt eine unbekannte Hauptdarstellerin, interessant. Darum herum brauchen wir dann aber Starpower, um den Film verkaufen zu können.“ Das ist aber nichts, worunter ich leide, denn es kann einem nichts Besseres passieren als einen Tobias Moretti in seinem Film zu haben. Das Problem ist, dass ein Star eigentlich nur hilfreich ist, wenn er ein passendes Image hat. Die meisten der deutschsprachigen Stars haben eher ein Comedy-Image und helfen deshalb einem Action Film nicht weiter. Tom Cruise oder Bruce Willis sind Stars, weil der Zuschauer weiß, sie stehen für Action auf hohem Niveau und nicht Gefahr läuft, ein Arthouse-Drama oder eine alberne Komödie zu sehen. Solche Schauspieler gibt es im deutschsprachigen Raum nicht.
Fotocredit: Josef Fischnaller