Jean-Michel Jarre, Techno, Electronica, 030 Magazin, Interview
Jean-Michel Jarre © Marie Weikopf

»So kam ich auf die Idee mit Edward Snowden zusammenzuarbeiten« – Jean-Michel Jarre im Interview

Auch Jeff Mills hat einen starken Berlin-Bezug. Er kommt zwar ursprünglich aus Detroit, wird aber in Berlin sehr verehrt als Techno-DJ und Musiker. Die Techno-Achse Berlin-Detroit findet in ihm eine Verkörperung. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Jeff Mills auf „Electronica 2“?

Und er hat auch eine Weile in Berlin gelebt. Für mich ist Jeff Mills ein sehr wichtiger Maestro in meinem Leben und ein sehr wichtiger Kollaborateur für „Electronica“. Ich sehe ihn als einen Sound-Architekten, deswegen haben ich auch unseren gemeinsamen Track „The Architect“ genannt. Er hat diese abstrakte, mathematische Herangehensweise an den Klang und ist, wie wir alle wissen, einer der Pioniere des Detroit-Techno. Was wir gemeinsam haben, ist eine Verbindung zum Visuellen und zum Film. Er ist sehr beeinflusst von Fritz Lang und den alten Stummfilmklassikern – und wieder ist hier der deutsche Einfluss zu spüren, den wir zusammen teilen. Obwohl ich weiß, dass er nicht mögen wird, was ich jetzt sage, sage ich es trotzdem: Ich denke, dass Jeff Mills wie ein Jazz-Schlagzeuger mit seiner Roland TR-909 improvisiert und so habe ich in gebeten mit dem Drum-Computer ein Solo auf „The Architect“ zu spielen. Ich hoffe, dass er das während einem Konzert in Berlin live auf der Bühne spielen wird, denn er ist einer der besten Live-Elektronik-Musiker, den ich jemals getroffen habe. Seine 909 ist eine Spezialanfertigung aus Japan und sieht aus wie ein UFO der 50er-Jahre.

Sie sehen bei Jeff Mills eine starke Verbindung zwischen Jazz-Improvisation und elektronischer Musik?

Ich habe mit Jeff schon darüber gesprochen und ich muss wohl nochmal mit ihm darüber reden, weil er diesen Link so bei sich nicht sieht. Aber ich denke wirklich, dass da eine starke Beziehung zwischen Jazz und Techno in seiner Musik besteht.

Jeff Mills

Jeff Mills, Pionier des Detroit Techno-Sounds

Eher ungewöhnlich ist auch Ihre Zusammenarbeit mit Edward Snowden. Er ist nicht gerade als Musiker, sondern vielmehr als Whistleblower weltbekannt geworden. Wieso haben Sie Edward Snowden für eine musikalische Zusammenarbeit ausgewählt?

Das ganze Projekt „Electronica“ handelt von unserer mehrdeutigen Beziehung, die wir mit der Technologie haben. Auf der einen Seite haben wir die ganze Welt mit den Smartphones auf unserer Handfläche liegen. Auf der anderen Seite wissen wir, dass wir konstant ausspioniert werden. Mit Laurie Anderson habe ich einen Track gemacht, bei dem es darum geht, dass wir unsere Smartphones mehr berühren als unsere Partner, unsere Freundin oder unseren Freund. Bei der Zusammenarbeit mit Massive Attack ging es um CCTV, also die Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Großbritannien. Oder mit Cyndi Lauper haben wir diesen dunklen Liebes-Song über die Dating-App Tinder gemacht. Und als ich das erste Mal von Edward Snowden hörte, musste ich an meine Mutter denken, die während dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich ab 1941 aktiv in der Résistance mitwirkte. Zwar behaupten irgendwie alle Franzosen, dass sie in der Résistance waren, aber zu Beginn waren deren Mitglieder nicht gerade beliebt in der Bevölkerung. Sie wurden eher als Unruhestifter und Störenfriede angesehen, weil sie gegen die Machtverhältnisse waren. Und so bewunderte ich diesen jungen Mann, der für sein Land und darüber hinaus für jeden anderen in der Welt aufstand. Nicht, weil er gegen sein Land ist, sondern weil er aufzeigen wollte: Seid vorsichtig mit dem Missbrauch von Technologie. Was privat ist, soll auch privat bleiben. Es ist gegen die Menschrechte, wenn jemand versucht in dein Privatleben einzudringen. Ich finde es vernünftig, dagegen aufzubegehren, wenn die Gesellschaft Dinge hervorbringt, die man nicht akzeptieren kann. Die Grenze zwischen einem Helden und einem Landesverräter ist sehr fragil und eine Frage der Objektivität. So kam ich auf die Idee mit Edward Snowden zusammenzuarbeiten.

Wie hat die Zusammenarbeit funktioniert? Edward Snowden lebt abgeschottet in Moskau. Wie sind Sie an Ihn herangekommen?

Unseren ersten Kontakt hatten wir durch eine Video-Konferenz. Edward Snowden gefiel die Idee, sein Hauptstatement in einem Technotrack zu verwenden. Er sagte mir, dass er ein großer Fan von elektronischer Musik sei und wir haben dann gemeinsam entschieden, dass ein harter, schneller Technotrack am besten sowohl dieses verrückte Bestreben nach immer mehr Information und Big Data symbolisiert als auch die gewiefte Jagd nach ihm durch die größten Organisationen der Welt – FBI und CIA. Später bin ich zusammen mit dem Chef des Guardian nach Moskau geflogen. Die britische Tageszeitung war das erste Medium, das seine Enthüllungen veröffentlichte. In Moskau haben wir Edward Snowden gefilmt und werden sein Statement in meinen Live-Shows über eine große Projektion einspielen.

Eine ungewöhnliche Kombination: Jean-Michel Jarre und Edward Snowden

Eine ungewöhnliche Kollaboration: Jean-Michel Jarre und Edward Snowden

Edward Snowdens Statement in einem Technotrack wirkt ein bisschen wie ein Protestsong.

Eigentlich gibt es in elektronischer Musik keine Protestsongs. Ich mag es generell nicht, wenn ein Künstler die Bühne für politische Statements transformiert, und den Leuten sagt, was sie machen sollen. Das ist nicht mein Ding. Sowas können wir eher durch unsere Songs oder unsere Musik machen. Einen Track zu machen, in dem Edward Snowden einfach er selbst ist und sagt, was er zu sagen hat, und dies in den Kontext von Festivals zu bringen, erscheint mir viel angemessener zu sein. Die jungen Generationen haben keine Referenzen mehr und werden von populistischen Leuten wie Donald Trump oder Marine Le Pen angezogen. Populisten liefern zu einfache und falsche Antworten auf komplexe Probleme. In Frankreich wählt die Mehrheit der Teenager Marine Le Pen. Das heißt nicht, dass wir eine faschistische Jugend haben, es symbolisiert eher einen Einwand gegen die derzeitigen Machverhältnisse. Und ich denke, dass Edward Snowden einer der Leute ist, die eine positive Referenz sein können, um Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Ich denke, sein Mut kann ein Vorbild für junge Leute sein. 

Jean Michel Jarre © Marie Weikopf

Jean Michel Jarre © Marie Weikopf

Hat Musik wirklich die Kraft etwas in Gesellschaft und Politik zu verändern?

Musik ist eine Verbindung, ein Link zwischen Menschen. Als im Bataclan in Paris die Musik einem Attentat zu Opfer fiel, war die erste Reaktion, Musik zu machen. Nach dem Tsunami in Thailand oder dem Erbeben in Haiti haben die Leute gesungen. Musik und Sound haben einen starken schmerzlindernden Effekt und bekräftigen die Verbindung zwischen Gemeinschaften. Unsere Rolle als Musiker ist, die Luft zum Schwingen zu bringen. Fast unsichtbar ist das eine unscheinbare physische Aktivität. Aber je nachdem wie man die Luft bewegt, kann man sexuelle Aktivität, Tanzen am Ende einer Nacht, Fröhlichkeit oder Traurigkeit antriggern. Das ist der Grund, warum Musik diese spezifischen Auswirkungen auf Emotionen hat.

Jean-Michel Jarre © Marie Weikopf

Jean-Michel Jarre © Marie Weikopf

Mit so vielen verschiedenen Künstlern in verschiedenen Ländern für „Electronica“ zusammenzuarbeiten war sicher auch eine logistische und organisatorische Herausforderung?

Elektronische Musik hat starke Verlinkungen zu Städten: In Frankreich ist das Paris, Lyon und Versailles mit Leuten wie Air, Daft Punk und Laurent Garnier. In Deutschland sind das Städte wie Berlin und Düsseldorf, in England Bristol und London, in den USA Detroit, Chicago und Los Angeles. Ich wollte nicht einfach nur Musik-Files herumzuschicken zu Leuten, die man nie sieht. Bei „Electronica“ war es mir wichtig, um die Welt und in die Städte zu reisen, wo die Musiker wohnen, mit denen ich zusammenarbeiten wollte. Der physische Kontakt war mir wichtig, um mit den Menschen etwas gemeinsam zu schaffen, aber auch um von der Umgebung der Städte zu lernen. So wurde „Electronica“ zu einer Initiationsreise.

Jean-Michel Jarre vor seinem Synthesizer
Jean-Michel Jarre, der Meister des Synthesizers

Ihre Konzerte sind bekannt für spektakuläre Laser-Designs und aufwendige Lichtchoreographien. Warum ist Ihnen die Visualisierung der Musik während Ihren Konzerten so wichtig?

Bei einem Konzert für zwei Stunden nur hinter seinem Laptop oder Synthesizer zu stehen, ist nicht gerade sehr sexy. Und wenn man heute ein Ticket für ein Konzert kauft, geht es nicht mehr nur darum, Musik zu hören, denn das kann man überall machen. Man hat auch visuelle Erwartungen an einen Künstler. Als ich damit begann, elektronische Musik live spielen und mit der verfügbaren Technik zu visualisieren, war das sehr ungewöhnlich. Die einzigen, die damals so etwas gemacht haben, waren vielleicht Pink Floyd. Ich mochte es immer, Musik mit Architektur, Licht und Kunst zu mixen. Natürlich treibe ich mit dem was ich bisher gemacht habe die Erwartungen in die Höhe, was mich schon ein bisschen erschreckt. Ich träume davon, ein Künstler zu sein, der nur mit seiner Gitarre und drei Lichtern auftritt, was sehr viel einfacher zu tragen und zu bewerkstelligen wäre. Bedauerlicherweise ist das nicht der Fall. Aber ich bin schon sehr begeistert davon, was wir auf unserer neuen Tour durch die Arenen und Festival alles präsentieren werden. Es wird eine modulare Synographie, die sich je nach Spielort entwickeln kann. Ich freue mich darauf, mein „Electronica“ Projekt mit bereits bekannten Songs wie „Oxygène“ in einem neuen visuellen Konzept auf die Bühne zu bringen.

 

Jean-Michel Jarre – „Electronica 2 (The Heart of Noise)“ ist bei Sony Music/ Columbia erschienen

Jean-Michel Jarre - Electronica 2 (The Heart Of Noise) Album-Cover

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