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Eye see you. Foto: © Katie Silvester

Zu viel Oberfläche, mehr Tiefe bitte! | Billie Marten im Interview

Es ist nicht lange her, dass wir über Songwriterin Billie Marten berichteten (hier kommt ihr zum Artikel). Aber die junge Frau besitzt einfach so viel Charme und Potenzial, haben wir gehört. Davon wollten wir uns aber selbst überzeugen. Im Interview. 

Frisch unterwegs

Die gebürtige Engländerin ist gerade mal 20 und hat seit ein paar Tagen ihre zweite Tour durch Nordamerika und Großbritannien hinter sich. Nun konnten wir erstmalig ein Gespräch mit ihr führen. Am Telefon. Also unter vier Ohren. Unter vier Augen leider nicht. Aber immerhin schauen euch zwei (Augen) eindringlich auf unserem Titelbild an.

Billie Marten, Songwriter, Interview
Entspannt. Foto: © Katie Silvester

Alte Häsin

Ihr Debütalbum “Writing of Blues and Yellows” erschien 2016. Damals lebte sie noch im malerischen Yorkshire, mittlerweile aber in der Hauptstadt Englands. Dort arbeitet sie als Kellnerin und kreierte zwölf einzigartige Tracks zu ihrem neuen Album “Feeding Seahorses By Hand”. In nur zwei Wochen erblickten ihre Songs das Licht der Welt – mit Hilfe des Produzenten Ethan John, der schon mit Kings of Leon oder Rufus Wainwright zusammenarbeitete.

Im Gespräch: Billie Marten

Dein zweites Studio-Album entstand aus unvollständigen Tagebucheinträgen. Hast du verschiedene Gedanken  zusammengeführt, um die Texte zu schreiben?

Der Prozess ist immer relativ bruchstückhaft. Ich habe mich nie hingesetzt und mir gesagt: so, jetzt schreibe ich ein Lied für mein Album. Sondern habe dafür eher Pausen in meinem Alltag gefunden. Ich glaube, ich habe über die Jahre immer willkürlich Gedanken runtergeschrieben und irgendwann wurden sie dann zu Liedern.  

Es ist so, als würden wir alle in dieser runden, perfekten Welt festklemmen und immer oberflächlicher und duldsam werden.

Kostet es Überwindung, seine persönlichen Gedanken aus dem eigenen Tagebuch preiszugeben? 

Manche Gedanken entstehen aus dem Schreibfluss heraus. Manchmal wache ich am nächsten Tag auf und identifiziere mich gar nicht mehr zu hundert Prozent damit. Aber ich denke, die Gedanken bleiben trotzdem relevant, auch wenn du das zu dem Zeitpunkt nicht denkst. Manche der Lieder auf meinem neuen Album sind allerdings aktueller, bezogen auf andere Leute. Ein wenig mehr alltäglich und informativ, als reflektierend. 

In deinem Lied „Boxes“ singst du über gesellschaftliche Probleme. Thematisierst du sowas, um selbst darin etwas zu verarbeiten oder geht es dir darum, etwas verändern? 

Nein, meine Lieder sollen nicht aktiv etwas verändern. Jedoch verspüre ich oft ein gewisses Angstgefühl, wenn ich an unsere Gesellschaft denke. Ich habe die schlechte Gewohnheit, die Welt aus einem breiteren, existenziellen Blickwinkel zu beobachten. Es ist so, als würden wir alle in dieser runden, perfekten Welt festklemmen und immer oberflächlicher und duldsam werden. Das macht mir einfach ein wenig Angst und das Beste, was ich dagegen tun kann, ist, diese Gedanken aufs Papier zu bringen. Auch das Verbale danach, das Singen der Gedanken, hilft mir. 

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Schattiger Blick. Foto: © Katie Silvester

Wann hast du begonnen, Musik zu machen?

Mein Vater brachte mir das Gitarrenspielen bei, als ich sieben oder acht Jahre alt war und mein erstes Lied schrieb ich ein Jahr später. Damals schrieb ich über Dinge, die ich im Wohnzimmer sah. Ich habe versucht, Beobachtungen in Worte und Akkorde umzuwandeln. Es war nicht professionell, aber ich war von Anfang an sehr beobachtungsfreudig.

Machst du denn immer noch mit deinem Vater und deiner Familie Musik?

Leider ist mein Vater erkrankt, daher kann er keine Gitarre mehr spielen, was sehr traurig ist. Ich fahre oft nach Hause und spiele ihm etwas vor oder zeige ihm neue Lieder, die ich geschrieben habe. Meine Eltern sind sehr daran interessiert, neue Musik von mir zu hören. Sie kennen mich am besten und können mir wie kein anderer sagen, was gut und was eher affig ist. *lacht*

Meine Eltern kennen mich am besten und können mir wie kein anderer sagen, was gut und was eher affig ist.

Deine letzte Tour endete ja erst vor ein paar Tagen – was waren deine Eindrücke?

Ja und nun habe ich diese grässliche Erkältung *lacht*. Es hat mir gefallen, obwohl es ein wenig stürmisch verlief. Wir haben über den Mai in Amerika getourt. Dann ging es weiter mit der britischen Tour. Jetzt will ich erstmal ein wenig Ruhe. Nicht mehr um zwei Uhr nachts in den Tag starten, um in ein Auto zu steigen, um dann in einer anderen Stadt aufzuwachen. Aber ich will mich nicht beklagen, ich habe es geliebt! 

Mit neun Jahren hast du Videos auf YouTube gepostet. Hättest du damals je gedacht. dass fremde Leute sich die Videos anschauen? 

Ganz und gar nicht. Es war die Idee meiner Mutter, diese Videos hochzuladen. Zu der Zeit war das im Grunde der einzige Weg, das zu tun. Ich erinnere mich daran, von der Schule nachmittags nach Hause zu kommen, und die Anzahl der Klicks zu verfolgen. Das erste Video, das wir machten, da war ich 12. Es bekam eine Viertelmillion Klicks innerhalb weniger Wochen. Damals verstand ich nicht ganz, was genau da gerade passiert.

Es gibt viel zu wenig Lobgesang unter den Leuten und viel zu viele Urteile.

Wann hast du dich für den Künstlernamen Billie Marten entschieden?

Als ich anfing, Gigs zu machen, konnte niemand meinen Nachnamen aussprechen. Also änderte ich ihn. Ich wollte etwas Simples und Kurzes. Da der Lieblingsmusiker meines Vaters und mir John Martyn ist, bot sich etwas in die Richtung an. Ich änderte dann nur noch das ‚y‘ zu einem ‚e‘ und schon wurde daraus Billie Marten.

Du bist vom malerischen Yorkshire in das rasende London gezogen. Wie hat sich das auf deine Musik ausgewirkt?

Ich habe eine Weile gebraucht, mich an alles zu gewöhnen. Du bist auf einmal Teil von etwas viel Größerem. Yorkshire hat 15000 Einwohner, London mit sechs Millionen ist da natürlich was ganz anderes. Da muss man sich sein eigenes Zuhause meißeln und das braucht etwas Zeit. Ich denke sogar, ich schreibe hier dadurch weniger.

 Alle Menschen haben diesen Drang nach Natur und die damit verbundene Ruhe.

Trotzdem strahlen deine Songs Gelassenheit aus. Ist deine Musik ein Weg, an so einem hektischen Ort ruhig zu bleiben?

Ja, ich denke schon. Meiner Meinung nach haben alle Menschen diesen Drang nach Natur und die damit verbundene Ruhe. Das ist auch der Grund, warum wir so oft über das Wetter reden. Solange ich spazieren gehe und meine tägliche Dosis Natur bekomme, bewahre ich meine innere Ruhe. Ich liebe Gärtnern, einfach weil ich weiß, dass es mir gut tut. 

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Grün, Grün, Grün ist alles was ich mag. Foto: © Katie Silvester

Du singst viel über Selbstzweifel. Tut es dir gut, über so etwas zu singen?  

Oh ja, ich liebe Selbstzweifel! *lacht* Wenn ich mich hinsetze, um Lieder zu schreiben, halte ich nicht allzu viel von mir selber. Das klingt jetzt etwas traurig. Ist es aber gar nicht. Wenn ich mir das im Nachhinein anhöre, kann ich immer mehr über diese Zweifel hinweg schauen und mich weiterentwickeln. Es ist aber ein ziemlich universales Gefühl, dass man denkt, man sei nicht gut genug. Es gibt so viel Konkurrenz auf dieser Welt. Wir werden konstant etikettiert oder beurteilt. Da ist viel zu wenig Lobgesang unter den Leuten und viel zu viele Urteile. 

Bekommst du auch Beurteilung oder Negativität über soziale Medien mit? 

Dazu gibt es eine Geschichte. Bei einer Show in Amerika stand nicht viel Geld zur Verfügung, also waren nur ich und mein Schlagzeuger unterwegs. Er hatte aber kein komplettes Schlagzeug dabei. Wir waren nicht allzu laut. In einem Tweet stand: kann jemand diese scheußliche, langweilige Musik stoppen? Ich verstehe nicht, warum manche Leute so aktiv ihre negativen Meinungen im Netz verbreiten müssen. *lacht*

Ich verstehe nicht, warum manche Leute so aktiv ihre negativen Meinungen im Netz verbreiten müssen.

Gibt es jemanden, mit dem du gerne mal zusammen arbeiten würdest?

Es wäre mal cool, mit einem Rapper zu kollaborieren. Kanye West oder Kendrick Lamar oder so. Aber momentan stehe ich ziemlich auf klassische Kompositionen. Das „Pinguin Café Orchestra“ oder Chilly Gonzales zum Beispiel inspirieren mich sehr. 

Ich habe gehört, dass du gerne Alpakas haben würdest. Ist es nicht an der Zeit, sich eins zuzulegen? Oder hast du andere Pläne?

Sobald ich einen eigenen Garten habe oder vielleicht sogar ein paar Felder, dann werde ich Tomaten züchten und meine Alpakas streicheln *lacht*. Aber ich denke, erstmal werde ich weiterhin Lieder schreiben. Vor diesem Interview habe ich gerade ein neues angefangen. Und mein nächstes Ziel: in Europa eine Tour machen. 

Dann schreib mal schön weiter! Danke für das Gespräch. 

 

Hier geht es zu Billies neuem Album.

Fotos: © Katie Silvester

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