Tja, da stand ich nun also mitten im Pressezentrum der Berlinale im Grand Hyatt am Potsdamer Platz und bekam schlechte Laune. Warum? Weil George Clooney genau an dem Tag seine Pressekonferenz zu „Hail, Caesar!“ geben musste, als ich meinen Akkreditiertenausweis abholen wollte. Mir wurde wieder bewusst, warum ich derlei Menschenansammlungen normalerweise meide. Zu viel Aufregung, zu viel Gedrängel, zu viele gehetzte Blicke.
Nachdem ich meinen Pressepass eingesteckt hatte, verweilte ich trotzdem noch einen Moment vorm Screen mit der Liveschalte von der Konferenz, die einen Stockwerk über mir stattfand. Ich war Herrn Clooney spätestens dann nicht mehr böse, als er auf die provokante Frage einer Journalistin, wie ER sich für das Flüchtlingsthema einsetzen würde, mit der Gegenfrage antwortete, dass IHN viel mehr interessieren würde, was SIE denn alles dafür tun würde. Gut gekontert, Caesar. Hat die Gute nur leider nicht verstanden. Denn anstatt von ihrem persönlichen Engagement zu berichten, zählte sie lieber auf, wie ihr Arbeitgeber die Geflüchteten unterstützt. Mit diesem Gesprächsauszug am ersten Berlinale-Tag wurde eins klar: das Flüchtlingsthema macht auch vor der Berlinale nicht halt. Im Gegenteil, schließlich hatte Herr Kosslik, Berlinale Leiter im 15. Jahr, im Vorfeld großen Augenmerk auf die Integration des Themas gelegt. Es gibt Foodtrucks mit kochenden Asylanten, Kinofilmbesuchs-Patenschaften und zahlreiche Boxen die zum Spenden auffordern.
»Hier geht es zur “24 Wochen“ Rezension«
Gedanken der Flucht hatte der Herr, der am Samstag beim deutschen Wettbewerbsteilnehmer „24 Wochen“ in der Kinoreihe hinter mir saß, sicher auch. Anstatt den Saal aber zu verlassen, entschied er sich zur Hälfte des Films für ein kleines Nickerchen. Kann schon sein, dass der Film mit einer grandiosen Julia Jentsch einen Ticken zu langsam erzählt war. Vielleicht war der Typ hinter mir aber auch einfach sehr müde. Dabei hätte er die Nacht zuvor eigentlich durchschlafen können, wenn man dem Telefonat, das er kurz vor Vorstellungsbeginn mit seiner, wie ich annehme, getrennt lebenden Frau, führte: „Tommy hat doch bei Lena geschlafen. – Nee, nee, das ist wirklich nur eine Kumpelinin. – Na, vielleicht fragst du ihn das einfach selbst noch mal.“ Kumpelinin, ist klar! Geschnarcht hat er auf jeden Fall so laut, dass er nach dem zweiten Atemzug selbst wieder davon wach wurde. Nachdem er sich beschämt entschuldigte, war er wieder hellwach. Denn als es in das letzte Viertel des Filmes und damit an die Schmerzgrenze jedes einzelnen Zuschauers im Saal ging, mir selbst die Tränen ungehindert in den Schal tropften, war der Mann in der Reihe hinter mir der, der am lautesten schluchzte. Immerhin hatte er selbst Kinder, Frauenheld Tommy, und konnte sich in das Drama um ein Paar, dass sich entscheiden muss, ob es ein Kind mit Down-Syndrom bekommen möchte, gut einfühlen.
Die Berlinale, ein Wechselbad der Gefühle.
Die Berlinale ist mir nicht neu, ich kann mich an den Streifen über Banksys „Exit through the giftshop“ und an Christian Petzolds „Gespenster“ erinnern. Doch als Presseteilnehmerin bin ich das erste Mal dabei. Dabei ist egal, woher die Tickets kommen, das Gefühl ein Teil dieses Filmfestes zu sein, und sei es ein noch so kleiner, war immer groß. Meiner Freundin ging es letzte Woche ähnlich. Ihr war es total egal, welchen Film wir gucken, Hauptsache einmal auf der Berlinale dabei sein. Es wurde „Midnight Special“, dabei mag sie eigentlich gar keine Thriller. Gefallen hat er ihr trotzdem. Am Freitag kommt meine Mama sogar extra nach Berlin, um mich in einen Film zu begleiten. Dank der zahlreichen Medienberichte glaubt sie aktuell noch, dass es in der ganzen Stadt vor Promis nur so wimmelt. Aber auch ohne Gang über den roten Teppich und ohne Selfie mit Clooney, wird sie nach dem Film „Wir sind die Flut“ (Perspektive Deutsches Kino) sicher mit dem Gefühl nach Brandenburg zurück fahren, dass dieser Besuch etwas ganz Besonderes war.
Die 66. Berlinale läuft noch bis zum 21. Februar 2016. Schnell noch Tickets sichern.