Hätte ich Lee Bul zum ersten Mal in einer dunklen, verregneten Gasse um drei Uhr morgens getroffen, während sie ein undefiniertes Objekt in einen Plastiksack stopft und hätte sie mich gebeten, ihr in ein noch viel dunkleres und absurderweise noch viel nasseres Kellerloch zu folgen, wäre ich wahrscheinlich hinterher.
Es ist schwer zu erklären warum, aber Lee Bul ist einfach ein Mensch, dem man in jeder Situation Vertrauen schenken würde. Vielleicht liegt das an der ruhigen, etwas verträumten Aura, die die Koreanerin ausstrahlt, vielleicht sind es ihre grauen Haare im praktischen Kurzhaarschnitt, vielleicht ihre vernünftigen Schuhe. Aber wir stehen nicht in einer Gasse. Sondern unter einem 17 Meter langen Zeppelin aus Alufolie im Martin-Gropius-Bau.
Auf der Suche nach Freiheit
Nordkorea läuft seinem südlichen Gegenpart momentan definitiv den Rang ab, was Diktaturen angeht. Aber 1964 war dort General Park Chung-hee mit seiner Militärdiktatur an der Macht und prägte den Alltag mit Gewalt und Repression. In dieses Klima wurde Lee Bul als Tochter zweier politischer Aktivisten geboren – eine Kindheit, geprägt von häufigen Umzügen, Gefängnisstrafen, wenig Geld und kaum Freiheiten folgte. Selbst als sie sich an der Hongik Universität für Bildhauerei einschrieb, fand sie dort statt spannenden Diskussionen über Kunst nur noch mehr Konformität. Rastlos wühlte sie sich durch verschiedene Kunstformen – Bildhauerei, Theater, Musik, bis sie schließlich Performance für sich entdeckte. Aus Stoff gigantische, monströse Formen zu nähen und damit in der Öffentlichkeit eine Treppe runterzupurzeln entsprach im Südkorea der 1980er Jahre nicht gerade der traditionellen Vorstellung von den Aktivitäten einer jungen Frau. Aber genau darauf legte Lee Bul es an: Die Konfrontation mit den schmerzhaften Themen ihrer Kindheit, ihrer Existenz als Frau und sogar dem Tabuthema Abtreibung. Denn was weh tut, was einen verletzlich macht, das muss raus.
Verrottende Fische
Wie jemand, der sich zwei Stunden lang nackt und vor Schmerzen schreiend von einer Decke hängt, um auf die Tortur einer illegalen Abtreibung hinzuweisen, sieht Lee Bul nicht aus, als sie sich geistesabwesend Flusen vom Ärmel sammelt. Das Blitzlichtgewitter und die neugierigen Blicke auf der ersten Tour durch ihre Einzelausstellung in Berlin lässt sie geduldig über sich ergehen. Ihre Aktion ließ damals eine Schockwelle durch ganz Korea laufen – Kunst, die sich mit Feminismus- und Genderthemen auseinandersetzt, stand in sowohl in Korea, als auch international noch sehr am Anfang der gesellschaftlichen Akzeptanz. Trotzdem fesselte sich Lee jeden Tag erneut an die Decke. Doch je mehr sie Teil einer etablierten Kunstszene wurde, desto weniger geschockt reagierten Passenten auf ihre Guerilla-Performances. Man musste immer krassere Sachen auffahren, immer abgefahrenere Performances, immer mehr Gore, immer weniger Fokus auf die Message. So kehrte Lee nach zehn Jahren wieder zu ihrem gelernten Handwerk zurück: Den Skulpturen, die mit ihren halb organischen, halb technischen Teilen ästhetisch an ihre Performance-Outfits erinnern. Richtig Wind machte sie aber, als sie bei ihrer Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art 1997 ihr Werk «Majestic Splendor» zeigte: Kleine, mit Perlen dekorierte Fische in Plastik. Fische, die in der koreanischen Kultur für Fruchtbarkeit stehen, an einer Wand verrotten zu lassen, stellte Konzepte von weiblicher Schönheit und Funktion erneut in Frage. Das Ganze stank so entsetzlich, dass sie ihre Ausstellung schließen musste.
Back to the Future
Als wir durch die Räume der unfertigen Ausstellung schlurfen, alle von uns mit blauen Tüten über den Füßen, um den Boden zu schützen, verdrückt sich die Künstlerin still und heimlich, um weiterzuarbeiten. Nach und nach wandelt sich das Thema der Ausstellung von Lees sehr persönlicher Aufarbeitung der traumatischen Ereignisse in ihrem Land zu einer Entwicklung, die für den Menschen wohl Stärke als auch Achillesferse ist: Der Technologie. Ihre Reihe Cyborgs (1997 – 2011) könnte statt im Museum 1:1 auch auf einer Comicmesse stehen. Übertrieben sexualisierte weibliche Körper mit schier unmöglichen Proportionen und den klassisch-sinnlosen Metall-BHs, die vor keiner Art des Angriffs schützen. Aber dann fehlt hier ein Kopf. Oder ein Arm. Oder ein Bein. Nicht abgerissen, nicht eklig, einfach nur noch nicht da, noch in der Transformation. Über den Verlauf diese Projekts hinweg werden die Skulpturen immer dunkler und surrealer, die Materialien immer organischer und die Nähe zwischen Mensch und Maschine immer größer.
Utopie/Dystopie
Dann werden die Sehnsüchte und Ängste immer größer – in «Mon grand récit: Weep into Stones» vermischt sie modernistische Architekturkonzepte mit dystopischen Traumwelten, die sich aufeinander aufzutürmen und zu konsumieren scheinen. Auf einen kleinen Felsvorsprung setzt sie das unscheinbarste Gebäude von allen, in dem ein schwarzes Fenster ihr Studio markiert. Immer wieder werden ihre Werke von der Thematik der Kollision bestimmt, von Welten, von Existenzen, von möglichen Zukunftsszenarien und bei ihren immersiven Spiegelinstallationen auch von Mensch und Kunst. Und immer wieder geht es um Schmerz, der aus dieser Kollision entsteht: Den Schmerz des Verlustes. Den Schmerz der Marginalisierung. Und bei ihrem auffälligsten Kunstwerk, dem riesigen Aluzeppelin, kann man nicht anders, als an den katastrophalen Absturz der Hindenburg zu denken.«Willing To Be Vulnurable», bereit, verletzlich zu sein, hat Lee den riesigen Ballon getauft. Trotz Explosion. Und noch hängt er ja.
Lee Bul «Crash»
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
29. September bis 13. Januar
Weitere Informationen gibts hier.
Fotos: © Lee Bul; Jeon Byung-cheol; Courtesy: National Museum of Modern and Contemporary Art, Korea