Anders als Deutschlands alljährlicher ESC-Beitrag geben und gaben sich unsere französischen Nachbarn zumeist geschmackssicher. Sie setzten immer wieder auf eine ganz spezielle Karte und konnten viele Sympathien gewinnen. Auch der hier porträtierte Sebastién Tellier gehörte einst zu den Nominierten. Zurecht, denn der langhaarige Bartträger macht nicht nur atemberaubend schöne Musik, sondern hat von jeher höhere Ziele verfolgt, als seinen schnöden Mammon nur für das eigene Wohlbefinden zu opfern.
Es schien damals wie ein Scherz, als das französische Fernsehen bekannt gab, dass sie mit dem verschrobenen Vollbartträger Sebastién Tellier den Kampf gegen das osteuropäische Grand Prix Establishment führen wollten. Das am Ende für Tellier und seinen Song ‘Divine‘ nur ein 18ter Platz heraussprang, ist für den vollbärtigen Pariser nicht weiter schlimm: »Wichtig ist doch, dass man meinen Geist in dem Song gespürt hat. Das ist mein Werk und kein anderer hat mir das zurechtgeschnitten. So eine gespielte Show wie bei den anderen Acts könnte ich nicht ertragen.« Tellier, der sich neben seiner Leidenschaft für bewusstseinserweiternde Drogen auch mit seiner Musik mühelos inmitten 1970er-Softpornokinos ansiedeln könnte, hatte seine staatliche Berufung, weder einem französischen Ralph Siegel noch einer Castingshow zu verdanken.
ESC Why not?!
Es war viel einfacher: Die Verantwortlichen der französischen ESC-Kommission waren von ihm überzeugt. Komme was wolle. »Nach einem Auftritt in Paris kamen zwei Typen vom französischen Fernsehen auf mich zu und fragten: Sebastién, möchtest Du beim Eurovision Song Contest dabei sein? Ich sagte: Ja!« So schnell kann es gehen. Der damals 37jährige hat keine Hemmungen zu popularisieren. Warum nicht der Grand Prix? Und was wir uns fragen: Kann Deutschland den ESC 2021 gewinnen? Scheiß egal. Zurück zu Tellier. Der bärtige Franzose ist sich sicher: Nur, wenn er alles annimmt, was sich ihm bietet, kann er garantieren, dass es ihm ein Leben lang gelingen wird, von seiner Musik leben zu können. Dass seine Kreativität darunter leiden, seine Songs zur Stangenware verkommen könnten, weiß Tellier zu verhindern. »Ich musste natürlich versuchen, eine gewisse Distanz zwischen meinem realen künstlerischen Schaffen und dem surrealen Erlebnis des Grand Prix zu gewinnen. Ich wollte ja nicht darüber definiert werden und womöglich Jahre später immer nur auf dieses Ereignis angesprochen werden.« Viel lieber spricht der langhaarige Franzose über seinen großen Zukunftstraum. Ein Erlebnispark für Erwachsene. »In meinen Park kannst Du Autos zu Schrott fahren. Supermärkte niederbrennen. Du kannst zu Prostituierten gehen und musst nicht befürchten, dass Dir danach dein Ding abfällt. Ganz einfach, weil es dort keine ansteckenden Krankheiten gibt. Außerdem kann man in Apotheken einbrechen um sich alle möglichen Drogen zu besorgen.« Ein hehres Ziel. Auf die fachgerechte Umsetzung darf man gespannt sein. Was der diesjährige ESC-Beitrag S!sters für weitere Pläne hat, dürfte bereits 6 Tage nach dem ESC 2019 keine Rolle mehr spielen. Ein vorletzter Platz bedeutet nicht immer, dass die Jury falsch lag. Im Falle von Tellier allerdings schon.
Foto ©: Charlélie Marangé Photography