Wu-Tang Clan, Rap, Hip-Hop, Enter the 36 Chambers

Boom, machte es 1993, als die erste Wu-Tang Clan Single „Protect Ya Neck“ auf der Bildfläche erschien. Das im selben Jahr folgende Wu-Tang Debüt „Enter the 36 Chambers“ zählt heute zu den Meilensteinen des Genres. Der bis dahin dominierende cleane Gangsta-Rap verfiel in Schnappatmung, als Mastermind RZA mit seiner dreckigen Staten Island Crew um die Häuserecke geswaggert kam. Zusammen mit seinen Cousins Ol‘ Dirty Bastard und GZA, sowie den Kumpels Method Man, Raekwon, Ghostface Killah, Instpectah Deck und U-God erschuf RZA eine mystische Welt, die sich stark an der asiatischen Shaolin-Bewegung orientierte und in welcher das Kollektiv und seine Regeln über allem steht.

Neben der stilistischen Neuausrichtung der damaligen Rapmusik war das Besondere und in diesem Maße Neue am Wu-Tang Clan, diese unbedingte Loyalität und das Vertrauen der einzelnen Mitglieder zueinander. So bekam keiner der Mitglieder das erste Album und folglich seine Parts zu hören, bis das Album von RZA komplett fertig produziert worden war. »Das war der Deal und mir wurde diesbezüglich viel Vertrauen entgegengebracht«, so der Produzent im [030] Interview. Nachdem sich der Clan als eine der innovativsten Gruppen des Genres etabliert hatte und jeder seiner Mitglieder aufgrund erfolgreicher Soloprojekte mehr und mehr im Fokus stand, kam es ab 1997 Schritt für Schritt zu ersten Auflösungserscheinungen der Stammcrew. Neue Mitglieder aus dem erweiterten Wu-Tang Kreis, wie Masta Killa und Cappadonna stießen hinzu, konnten mit ihrem Beitrag aber nicht an die großen Erfolge durch Method Man’s „Tical“ (1995), Raekwons „Only Built 4 Cuban Linx“ (1995), GZAs „Liquid Swords“ (1995) oder ODB’s „Return to the 36 Chambers: The Dirty Version“ (1995) mit den Genrehits „Shimmy, Shimmy, Yo“ und „Brooklyn Zoo“ anknüpfen. Spätestens als RZA’s Cousin Ol‘ Dirty Bastard (ODB), der das Leben eines Rapstars am Limit in neue Höhen trieb, 2004 in Folge einer Kokain/Schmerzmittel Überdosis an einem Herzinfarkt verstarb, galt auch der Clan künstlerisch als tot.

In den vergangenen Jahren rückte der Wu-Tang Clan eher durch dubiose Marketingaktionen in den Fokus als das 2014er-Werk und Einzelstück „Once Upon a Time In Shaolin“ für knapp zwei Millionen Dollar an den umstrittenen Hedgefond-Manager Martin Shkreli verkauft wurde. Bekanntlich einer der meist gehassten Unternehmer unserer Zeit der sich, zwecks Gewinnmaximierung, für die Preiserhöhung des Krebsmedikaments Daraprim von 13,50 $ auf 750 $ verantwortlich zeichnete. Shitstorm inklusive. Nun 2017 steht der Wu-Tang mit dem siebten Studioalbum „The Saga Continues“ in den Plattenregalen. Es gibt Stimmen, die von dem besten Wu-Album seit langer Zeit sprechen. In diesem Zusammenhang sprachen wir mit RZA, als ausführender Produzent an der Produktion beteiligt, und dem verantwortlichen Produzenten Mathematics, seit Beginn des Clans als DJ und Graffitiartist in dessen Dunstkreis unterwegs, über die Familiensache Wu-Tang Clan, den Einfluss der Gruppe auf die Hip-Hop-Welt, die Freiheiten eines Schülers unter der Aufsicht seines Meisters und die Relevanz des Projektes im Jahre 2017.

Mathematics, als jemand der von Anfang an dabei war, aber zu Beginn eben eher zum erweiterten Kreis gehörte, was bedeutet der Wu-Tang Clan für Dich?

Mathematics: Er ist Familie. Es war immer eine Brüderlichkeit zwischen uns. Ich kannte RZA und GZA, dann habe ich Ghostface Killah und Reakwon kennengelernt. Du merkst, wenn du eine bestimmte Bindung zu den Anderen hast. Als ich sie anfangs getroffen habe, merkte ich schnell, dass uns eine Menge Dinge verbinden. Diese Bindung wurde dann immer stärker. Und so wird es irgendwann zur Familie.

Als ich 11 war, hatte ich an die 400 Texte. Da hatte Ol’Dirty noch nicht einmal einen, also hat er eben welche von mir bekommen. – RZA

RZA für dich war es eine echte Familie?

RZA: Ja, Wu-Tang war immer meine Familie. Ich und meine Cousins GZA und Ol‘ Dirty sind in New York City aufgewachsen. GZA hat mich als großer Cousin mit auf Hip-Hop-Blockpartys genommen. Ich bin ein echt fanatischer Typ und suche immer nach Wegen eine Sache auf das nächste Level zu heben. So war es auch, als ich mit dem Rappen angefangen habe. GZA hat mir gezeigt, wie es geht, dann habe ich Leute bei den Blockpartys gesehen. Am Anfang habe ich nur die Texte von GZA kopiert, weil ich 8 Jahre alt war und einfach alles von ihm wiederholte. Mit 9 schrieb ich dann die ersten eigenen Reime. Als ich 11 war, hatte ich an die 400 Texte. Da hatte Ol’Dirty noch nicht einmal einen, also hat er eben welche von mir bekommen. Die Sache, dass ich alles immer besser und größer machen will, hat mich dabei immer begleitet. Als wir mit dem Wu-Tang Clan anfingen, war ich nicht nur der gemeinsame Nenner, sondern wusste auch, dass jeder der anderen auf seine Art einzigartig war. Und ich habe immer gesagt, dass ich mir die Leute auch deswegen ausgesucht habe.

Wu-Tang Clan, Rap, The Saga Continues

Foto: © Jonathan Weiner

War das auch so, als es darum ging, das Logo zu designen?

RZA: Genau so. Ich bin auf Mathematics zugegangen, weil ich wusste, dass er malt und als DJ aktiv ist. Ich wollte speziell ihn für das Logo.

Das Wu-Tang Logo ist heute weltberühmt. Ein Markenzeichen. Die Frage muss gestellt werden, Mathematics, bist Du dadurch reich geworden?
Mathematics: (lacht) Nur reich an Erfahrungen.

Erzähl uns doch mal, welchen Einfluss das erste Album „Enter the 36 Chambers“ auf Dich und dein damaliges Umfeld hatte.

Mathematics: Ich weiß noch, dass ich als DJ in einem Club in der Southside unterwegs war. Damals ein Untergrundclub, heute eine Sportsbar. Als ich gesehen habe, wie die Leute auf der Tanzfläche reagiert haben, wusste ich, dass es dope ist. Das ging richtig nach vorne. Eine Menge Leute kamen auf mich zu und fragten, was das ist. Ich habe ihnen dann einfach gesagt: »Das ist der neue Scheiß!« Man spürte sofort, das ist etwas ganz Besonderes.

Wie hat die Vergangenheit Dich bei der Produktion für das aktuelle Werk „The Saga Continiues“ beeinflusst?

Mathematics: Zuerst einmal hat es mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Bezogen auf die Produktion des neuen Albums geht es natürlich in erster Linie darum zu schauen, was mit einem Selbst passiert. Was musikalisch passiert. Man versucht seine Musik weiterzuentwickeln und voranzuschreiten. Aber dabei vergesse ich nie meine Wurzeln. Tatsächlich ist es so, dass ich während der Produktion eigentlich nur zwei Alben gehört habe. Eines davon war „Enter the 36 Chambers“. Ich habe gar keine andere Musik gebraucht. Es hatte also einen großen Einfluss.


Wie seht Ihr eure professionelle Beziehung? Ist RZA ein Mentor für Dich? Ein Lehrmeister? 

Mathematics: Ich habe über die Jahre viel von RZA gelernt. Mehr als nur über Musik auch über das Leben an sich.

RZA: Bei uns gilt das Prinzip „Each one, teach one“. Viele fragen mich, wie ich loslassen konnte und einen anderen in meine Fußstapfen treten lassen konnte. Das liegt daran, dass ich immer merke, wenn ein Bruder bereit ist. Seine Hand ist erhoben und ich spiele ihm den Ball zu. Manche Leute spielen nicht ab und verfehlen dann ihren eigenen Wurf. Ich hatte genügend Anerkennung. Zeit für die Weiterentwicklung durch Mathematics. Die coole Sache beim neuen Album ist, dass er einfach angefangen hat, Musik zu machen. Ohne vorgeschriebene Ergebnisse. Ich denke es ist wichtig, einfach damit anzufangen. Wir haben vergessen, dass Musik mit Kreieren und Spaß anfängt. Ich kann dir natürlich auch 10.000 Dollar geben und sagen: »Hier, schreib ein paar Verse«. Aber wenn du einen Beat hörst und sagst „Was ist das? Damit könnte ich was anfangen“, dann machst du es einfach. Das ist ein Unterschied.

Mathematics: Ich habe gehört, dass es auch so war, als Dr. Dre und Eminem Songs aufgenommen haben. Das waren drei oder fünf am Tag. Weil Eminem in den Raum kam und die Songs eines Meisters gehört hat, er davon inspiriert war und seine Texte geschrieben hat. Es fügte sich alles zusammen. Und mit dieser Energie wirst du einer der ganz Großen.

Stimmt es, dass die anderen Mitglieder des Clans das erste Album erst hören durften, als es fertig war?

RZA: Ja, das stimmt. Mir wurde viel Vertrauen entgegengebracht. Wu-Tang hat mich die ersten 5 Jahre der Karriere quasi alles kontrollieren lassen, ohne nachzufragen. Wir haben uns gegenseitig geschworen, dass wir in 5 Jahren an der Spitze sein wollten. Das war 1992, bevor wir das erste Album gemacht haben. Was denkst du, wer 1997 an der Spitze war?

Als ich ihnen das Album zum ersten Mal vorgespielt habe, haben sie sofort gesagt: »Das ist der geile Scheiß!« – RZA über „Enter the 36 Chambers“

Es hat funktioniert.

RZA: Der Punkt ist, dass man fokussiert sein muss, um ein bestimmtes Level zu erreichen. Ich war fokussiert. Es stimmt, dass sie die Songs gehört haben, die ich gemacht habe. Aber ein Produzent muss vor dem Künstler im Studio sein, zusammen mit dem Künstler und wenn der Künstler schon wieder nach Hause geht. Und beim ersten Album waren keine professionellen Tools zu finden. Ich musste erst ein Studio finden, dass „Pro-Tools“  (Musikprogramm; Anm. d. Red.) hatte. Dann konnte ich mir die Kreativität der anderen vornehmen und entsprechend bearbeiten. Und das hab ich geschafft. Als ich ihnen das Album zum ersten Mal vorgespielt habe, haben sie sofort gesagt: »Das ist der geile Scheiß!« Beim aktuellen Album „The Saga Continues“ war es dasselbe. Einen Vers zu schreiben, zum Beispiel beim Song „Why Why Why“, und einzuspielen dauert drei Stunden. Aber Mathematics hat 20 Stunden damit zugebracht, es zu einem Song zu machen.

Wu-Tang Clan, Interview, The Saga Continues

Alte Herren in freier Wildbahn: der Wu-Tang Clan ist im Haus – Foto: © Jonathan Weiner

Woher hast Du am Anfang deiner Karriere das Vertrauen genommen, dass es als professioneller Musiker klappen könnte?

RZA: Vertrauen steht bei mir an höchster Stelle. Ich wusste, dass das was ich mache, revolutionär ist. Ich war in der Hip-Hop-Industrie, habe andere Alben gehört, und die Anderen genau beobachtet. Ich war mir sicher, dass ich die besten MCs der Welt am Start habe. Auch wenn das Vertrauen blind ist, ist es doch immer noch gut. Mohammad Ali ist auch in den Ring gekommen und hat gesagt: »Ich bin der Größte, der Beste. Keiner kann mich besiegen.« Und das hat er auch lange Zeit bewiesen. Natürlich kommt irgendwann die Zeit, wo das nicht mehr so ist. Aber gerade wenn Leute jung sind, wie zum Beispiel mein Sohn, der 22 ist, sage ich Ihnen dasselbe. Mit Anfang 20 hast du diese Energie in dir und wenn du 25 bist, kannst du deine eigenen Spuren erkennen. So war es auch bei uns. Wir haben mit 23 angefangen, mit höchster Konzentration. Als wir 25 waren hatten wir Platin-Status und veränderten die Welt.

Wir lieben Hip-Hop, lieben die Kultur, die Musik. Und wir haben die Möglichkeit etwas zu sagen, also sagen wir etwas – RZA

Hattest Du alle Freiheiten bei der Produktion des Albums?

Mathematics: Wir hatten alle Freiheiten und ich das nötige Vertrauen. Ich war wie auf einer Mission. Es war etwas, das ich begonnen hatte, wofür ich eine Leidenschaft besaß und das ich fertigbringen wollte. Ich bin nah an diesen einen bestimmten Punkt gekommen wo ich wusste, dass es das Richtige ist aber da fehlte noch etwas. Ich hab die anderen um ihre Meinung gebeten und ihre Anmerkungen anschließend umgesetzt. Das ist alles was es braucht.

Warum ist der Wu-Tang Clan 2017 immer noch wichtig?

RZA: Es ist immer gut etwas Wu-Tang in seinem Leben zu haben. Besonders wenn wir an heutzutage denken und an das Hier und Jetzt denken. Wie werden sich die Dinge entwickeln? Ich denke, das ist immer wichtig. Wir lieben Hip-Hop, lieben die Kultur, die Musik. Und wir haben die Möglichkeit etwas zu sagen, also sagen wir etwas.

Ist eine Tour geplant?

RZA: Wir spielen im Sommer ein Festival in den USA. Danach werden wir schauen, wie es sich entwickelt. Es wird noch ein großes Jubiläum geben. Das jetzige Album „The Saga Continues“ ist ein bisschen wie die Zündschnur. Der Clan hat noch eine große Explosion vor sich die wichtig wird. Im nächsten Jahr könnten wir es möglicherweise in die Rock’n’Roll Hall-of-Fame schaffen. Das ist nach all den Jahren etwas sehr besonderes für uns und zeigt uns, dass es der Musikindustrie und den Fans etwas bedeutet. Wir freuen uns darauf die aktuelle Platte jetzt zu feiern und freuen uns auf ein weiteres Wu-Tang Erlebnis in der Zukunft.

Letzte Frage: RZA, was würde dein zu früh verstorbener Cousin Ol‘ Dirty Bastard zu dem neuen Album sagen?

RZA: Wir vermissen ihn natürlich immer und er kann niemals ersetzt werden. Glücklicherweise hat er etwas von sich in Form von Musik, Worten und seinen Botschaften hinterlassen. Auf dem Album haben wir einen Song der „If What You Say Is True“ heißt. Dort kann man seine Botschaft hören und die ist immer noch aktuell.

Danke für das Gespräch.

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