Am 11. Februar beginnen die 66.sten Berliner Filmfestspiele, seit Mai 2001 steht das neben Cannes und Venedig bedeutendste Festival unter der Leitung von Dieter Kosslick, 67. Mit „Hail, Caesar“ der Coen-Brüder hat die Berlinale diesmal einen hochkarätigen Eröffnungsfilm, mit Hollywood-Ikone Meryl Streep als Jury-Präsidentin gelang ein echter Coup. Auch das Thema Flüchtlinge wird auf dem Festival eine große Rolle spielen. Mit dem Festivaldirektor unterhielt sich [030] Mitarbeiter Dieter Oßwald.
Herr Kosslick, bei dieser Berlinale wird Meryl Steep als Jury-Präsidentin auftreten – ist das wie ein Sechser im Lotto für ein Festival?
Dieter Kosslick: Absolut, wenn nicht sogar ein Siebener! Die dreifache Oscarpreisträgerin Merly Streep war in ihrem Leben noch nie in der Jury eines Festivals tätig. Da bietet die Berlinale für sie eine Premiere der wunderbaren Art.
Wie ist der Coup geglückt, mit dem schwäbischen Charme des Festival-Direktors?
Kosslick: Das kann man nicht völlig ausschließen, schließlich stammen ihre Ururgroßeltern aus Loffenau in der Nähe von Calw. Meryl Streep war bereits mehrfach Gast des Festivals und wir waren uns von Anfang an sympathisch. Bei der Verleihung des Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk hat sie 2012 zum Abschied gesagt: ‚ Ich würde gerne wiederkommen, vielleicht sogar ein bisschen länger.’ Das haben wir als Hoffnungszeichen gedeutet und wir hatten Glück mit unserem Job-Angebot.
Sind Jury-Präsidenten das neue Status-Symbol der Festivals? Nicht zufällig werden deren Namen gerne medienwirksam verkündet, wenn gerade das Konkurrenz-Festival eröffnet wird.
Kosslick: Die Ankündigungen von Festival haben heute einen ganz anderen Stellenwert als früher, auch die Jury ist mittlerweile Marketingmittel geworden. Das Bild einer Jury aus düster dreinblickenden Herrschaften im Zigarettenqualm gehört lange der Vergangenheit an. Die Berlinale hat inzwischen eine Tradition ganz großartiger Jury-Präsidenten, die von Charlotte Rampling über Tilda Swinton und Isabella Rossellini bis Werner Herzog, Mike Leigh oder im vorigen Jahr Darren Aronofsky reicht.
Es läuft in diesem Jahr lediglich ein deutscher Film im Wettbewerb? Gab es keine Kandidaten?
Kosslick: Auf den ersten Blick gibt es mit Anne Zohra Berrached und ihrem Drama „24 Wochen“ lediglich eine deutsche Regisseurin im Wettbewerb, tatsächlich sind aber zwei weitere deutsche Produktionen vertreten; Zum einen „Soy Nero“ von Rafi Pitts, zum anderen die Hans Fallada-Verfilmung „Alone in Berlin“ von Vincent Perez. Insgesamt laufen um die 70 deutsche Filme im aktuellen Programm, zudem fast 60 weiteren in unserer Retrospektive – bei rund 400 Titeln ist das also gar keine so schlechte Bilanz dieser Berlinale.
Viele hatten Tom Tykwers „Hologramm für den König“ oder „Das Tagebuch der Anne Frank“ im Bären-Rennen erwartet?
Kosslick: Wir hätten das „Hologramm“ gerne gezeigt, Tom Tykwer vermutlich ebenso. Aber es gibt eben immer mehrere Beteiligte an einem Werk und so ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung. „Das Tagebuch der Anne Frank“ läuft ganz bewusst in der Kinder- und Jugendsektion „Generation“, um damit ein besonderes Ereignis für junge Leute zu schaffen, die vielleicht gar nicht mehr wissen, wer Anne Frank war.
Aus aktuellem Anlass kommt dem Thema Sicherheit bei öffentlichen Veranstaltungen eine besondere Rolle zu. Wie wirkt sich das auf das Festival aus?
Kosslick: Beim Thema Sicherheit haben wir schon bisher immer sehr eng mit den zuständigen Behörden zusammengearbeitet. Wir sind uns der aktuellen Lage natürlich bewusst und es wird auch für dieses Festival maßgeschneiderte Sicherheitskonzepte geben, die durchaus unauffällig im Hintergrund laufen können und nach außen nicht unbedingt durch erhöhte Uniform-Präsenz auffällig sichtbar sein müssen.
Welche Rolle spielt das Thema Flüchtlinge auf dem Festival?
Kosslick: Selbstverständlich wird sich die Berlinale 2016 auch dem Flüchtlingsthema widmen. Es ist quasi Bestandteil der Berlinale-DNA, Filmemachern und Künstlern für ihre Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen eine Plattform zu bieten. Das Thema wird sich dabei nicht nur filmisch im Programm wiederfinden. In der Sektion „Generation“ etwa gibt in im Schulprojekt zur Filmbildung eine „Willkommens-Klasse“ mit Flüchtlingskindern. Wir möchten außerdem Flüchtlingen auch den Besuch des Festivals ermöglichen, dazu arbeiten wir an einem Patenmodell. Last not least wird es beim traditionellen Eröffnungsempfang einen nachdrücklichen Spendenaufruf an unsere Gäste geben.
Der Weg des Festivals in die Berliner Kiez-Kinos war ein großer Erfolg. Warum geht die Berlinale nicht auch zeitgleich in andere Städte in Deutschland, wie es ein Bundestagsabgeordneter einmal gefordert hat?
Kosslick: Würde die Berlinale gleichzeitig in anderen Städten stattfinden, ginge eventuell auch der besondere Reiz des Festivals verloren. Es gibt zudem ein paar lizenztechnische Hürden. In zeitlicher Versetzung ist diese Idee allerdings bereits umgesetzt. Es gab schon Sommer-Berlinalen in München, Köln oder Nürnberg. Sogar in New York und Athen waren wir präsent. Wenn sich organisatorische Partner dafür finden, ist eine geografische Ausweitung machbar.
Bei der großen Filmauswahl, die A-Festivals wie Berlin, Cannes und Venedig zur Verfügung steht, finden sich immer wieder Werke im Wettbewerb, die kaum als die hellsten Kerzen auf der Torte gelten. Die Eröffnung mit “Nobody wants the night“ im Vorjahr galt allgemein als veritabler Flop
Kosslick: Ich würde den letztjährigen Eröffnungsfilm nicht als Flop, sondern in der Kategorie „umstritten“ einordnen. Viele Frauen haben den Film jedenfalls sehr gemocht. Der Wettbewerb mit seinen 18 Filmen kann allerdings nicht nur auf starke US-Produktionen setzen, sondern er muss das Weltkino repräsentieren – das klappt nicht immer zur vollen Zufriedenheit aber es gelingt immer öfter. Aber daneben greifen kann man immer.
Im Vorjahr haben Netflix und Co. Einzug ins Programm gefunden. Wie sieht die Festival-Antwort auf hochkarätige TV-Produktionen aus?
Kosslick: Die Berlinale hat schon seit langem hochkarätigen TV-Produktionen einen Platz geboten, sei es mit Dominik Graf oder Jane Campion, von daher ist das überhaupt kein Neuland für uns. Auch diesmal wird es wieder die Rubrik „Berlinale Special Series“ geben, die statt wie bisher an zwei aufeinanderfolgenden Tagen verteilt auf mehrere Festivaltage zu sehen sein wird. Bei aller Würdigung dieser neuen Formate und ihrer innovativen Inhalte kann die Botschaft allerdings nicht heißen, dass wir das Kino verbnachlässigen. Das Kino bleibt unsere Domäne.
Was war für Sie die schönste Szene eines Berlinale-Films?
Kosslick: Bei dieser Antwort muss ich vorsichtig sein, um niemanden zu übergehen. Deswegen entscheide ich mich für unseren kommenden Eröffnungsfilm „Hail, Caesar“ der Coen-Brüder. Das ist große, intelligente Unterhaltung, wie man sich das nicht besser wünschen kann. Das ist Philosophie und Gender übergreifend – das hat man so noch nie gesehen.
Berlinale 2016
11. Februar – 26. Februar