Für ihr Debüt „Der Wald vor lauter Bäumen“ bekam sie auf Robert Redfords renommiertem Sundance Filmfestival den Großen Preis der Jury. Mit ihrem zweiten Streich „Alle anderen“ startet Maren Ade auf der Berlinale – und kassierte gleich zwei Bären.
Nun der Coup von Cannes: Die Tragikomödie „Toni Erdmann“, die von einem Vater und seiner erwachsenen Tochter handelt, wurde gefeiert wie selten bei Film im Wettbewerb. Bei den Palmen ging der Geniestreich überraschend leer aus. Dafür avancierte er zu einem Verkaufsschlager wie lange kein deutscher Film. Mit der Regisseurin unterhielt sich [030] Mitarbeiter Dieter Oßwald.
Frau Ade, drei Filme, und jeder auf einem wichtigen Festival dabei – besser kann es kaum gehen…
Ade: Nach der Einladung auf das Sundance Festival dachte ich: Jetzt ist das doch klar mit meinem Beruf, ich werde immer weiter Filme drehen. Dann hörte ich: ‚Ja Maren, aber der zweite Film ist der wichtigste‘. Und danach hieß es: ‚Eigentlich entscheidet sich die Karriere erst beim dritten Film‘. Deshalb bin schon froh über Cannes, weil ich von nun an wohl schon auf einem gewissen Level weiter meine Filme machen kann.
Haben Sie mit dieser enormen Begeisterung im Kinosaal gerechnet?
Ade: Ich habe den Film erst vier Tage vor der Premiere fertiggestellt, ein Albtraum. Für mich wurde er immer depressiver, am Ende dachte ich: ‚Ist doch egal, ich habe zwar eine Komödie versprochen. Und jetzt ist das irgendwie so ein melancholisches Ding. Hauptsache er ist fertig.‘ Deshalb war ich echt froh, dass dieser Komödienaspekt so funktioniert. Ein volles Kino ist einfach wunderbar. Es ist wie im Theater, wo die Zuschauer sich gegenseitig versichern, mit ihrem Sitznachbarn abstimmen und zu fast einem eigenen Wesen werden.
In den internationalen Reaktionen wundert man sich, dass die Deutschen plötzlich Humor hätten. Wir im deutschen Film tatsächlich zu wenig gelacht?
Ade: Die Franzosen finde ich jetzt auch nicht so ausgesprochen humorvoll. Es gibt doch überall solche und solche Leute. Ich meine schon, dass die Deutschen durchaus Humor haben, nur manchmal ist das eben ein bisschen versteckt.
Die Maske von Toni Erdmann erinnert an einen Sketch von Loriot. Ist das eine kleine Hommage?
Ade: Meine Inspiration für die Maske kommt eher von dem US-Komiker Andy Kaufmann. Der verwandelte sich in seiner Show zu einer Figur, die Tony Clifton hieß. Daher auch der Vorname für unseren Erdmann. Die Idee mit den falschen Zähnen und der Perücke gab es schon vorher, aber als ich Kaufmann und die Radikalität der Verwandlung seiner Rollen entdeckte, hat das wie die Faust aufs Auge gepasst. Loriot ist natürlich eine Legende, auf die sich viele beziehen, aber wer sich mit Comedians beschäftigt, stößt irgendwann immer der Name Andy Kaufmann.
Trotz der Wandlung, die Ihre Heldin durchlebt, macht sie am Ende doch weiter in ihrem Karriere-Beruf. Gab es nie die Idee, die Ines ganz aussteigen zu lassen?
Ade: Nein, das war immer so vorgesehen. Für mich liegt gerade darin der Witz. Der Vater hat auf seine komische Art seiner Tochter den Mut verschafft, ihren Job zu kündigen. Aber Ines wechselt nur die Firma und es weiter so, dass sich seine Werte oder sein Ansatz sich ins Gegenteil verkehren.
Apropos Erwartungshaltung: Ohne zu viel zu verraten, passiert in einer Hotelszene gerade das nicht, was alle glauben und wo bereits vorab heftig gelacht wird.
Ade: (Lacht) Manche haben mich schon gelobt, wie schlau das doch wäre. Tatsächlich war diese Wirkung von mir gar nicht so geplant. Solche Effekte gibt es immer wieder einmal, wenn man sich die eigenen Filme anschaut: Das ist wie ein Wasser im Sand, das sich seinen Weg bahnt. Darüber war ich selber überrascht – aber die Reaktionen haben mich natürlich gefreut.
Wie viel Maren Ade steckt in Ihrer Heldin Ines?
Ade: Gerade bei dem Thema Familie war es interessant, wie wenig ich meiner eigenen Familie beim Schreiben entkommen konnte. Nichts kennt man so gut wie seine eigene Herkunft. Familie hat man ja nur eine, Eltern-Kind, das ist immer lebenslänglich, dem kann man schwer entkommen. Das ist auch das, was mit Ines im Film passiert. Sie glaubt, es spielt keine Rolle mehr, wo sie herkommt, sie glaubt, da gibt es nichts mehr zu holen. Alles spielt sich in ritualisierten Abläufen ab. Jeder hat seine zugeschriebene Rolle.
Stimmt es, dass Sie 120 Stunden Material gedreht haben?
Ade: Ich hatte 56 Drehtage an denen täglich 2 Stunden Film entstanden. Wenn man die digitalen Aufnahmen abzieht, bleiben 90 Stunden reales Filmmaterial übrig. Wir haben die Kamera einfach immer laufen lassen, auch bei den Proben. Mir ist es wichtig, dieselben Szenen mit unterschiedlichen Nuancen zu spielen. Anschließend im Schneiderraum muss man mit diesem ganzen Material natürlich zurechtkommen. Aber Menge ist für mich kein Problem. Weil ich zugleich meine eigene Produzentin bin, weiß ich ja, dass ich das alles auch zu Ende schneiden kann.
Ihre Hauptdarstellerin Sandra Hüller erzählt, dass Sie im Durchschnitt 30 bis 40 Durchläufe für eine Szene gemacht hätten – das sind Verhältnisse wie bei Stanley Kubrick. Sind Sie eine Perfektionistin?
Ade: Ja. Beim Filmemachen muss man die Dinge sehr, sehr hoch hängen. Für die Schauspieler ist das schon ein anstrengender Prozess, immer wieder das gleiche in verschiedenen Variationen zu spielen ohne die Emotionalität oder ihre Präzision zu verlieren.
Die Frage der Frauenquote ist in Cannes immer ein Thema. Was sagen Sie zur Gender-Diskussion?
Ade: Danach werde ich häufig gefragt, seit der Film gelaufen ist, geht es ein bisschen mehr um den „Toni Erdmann“. Am Anfang dachte ich, ich stünde in Cannes metertief im Gender-Schlamm und bin von Tausend Fettnäpfchen umgeben. Klar ist es so, dass zu wenige Frauen Regie führen. Und es gilt herauszufinden, wie man das am besten verändern kann. Für mich war es immer wichtig, starke Filme von Frauen wie Andrea Arnold zu kennen. Das sind Vorbilder, um zu wissen: Das kann man schaffen.
Kinostart am 14. Juli 2016