Die Handlung ist so aufregend, wie der Titel. Nicht schlimm. Hinter einer belanglosen Geschichte lauert das Absurde. „Der Mann ohne Piano“ weckt wenig Erwartungen. Und das ist seine Stärke. Wer an den Klassiker „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil denkt, liegt richtig. Es gibt Parallelen. Und Differenzen.
Charme und Wahn
Es geht um einen Musiker, wen wundert es. Der ist ein sozialer Krüppel, hat Wahnvorstellungen, ist nicht alltagstauglich, Konflikte folgen ihm überall hin, er wünscht sich „einen Klumpen Seelenfrieden“. „Nur das Absurde kann unsere düstere Welt retten“, meint er. Womit er ein vielleicht Recht hat. Bratensteins Held will ein Piano. „OK“, denkt man als Leser, „was kommt jetzt?“. Der Plot überschaubar wie der Titel. Das Cover versprüht den Charme eines 50er-Jahre-Buchs, das seit 40 Jahren nicht mehr gedruckt wird. Man kann der Versuchung erliegen, dieses kleine Buch von Jan Bratenstein, das sein Debüt ist, zu unterschätzen. Sollte man nicht. Wer kein Musiker ist, kann sich mit dem Buch zuerst wenig identifizieren. Aber darum geht es gar nicht, auch wenn der namenlose Held ständig brabbelt: „Ich brauchte ein Piano“. Das kann man, zugegeben, irgendwann nicht mehr hören – auch nicht lesen. Es ist ein seltsamer Wunsch, ein Piano zu wollen. Für einen Musiker vielleicht nicht, aber für einen Romanhelden. Die Geschichte wäre nämlich streng genommen ziemlich schnell zu Ende. Was sie bei Jan Bratenstein aber erst nach 144 Seiten ist. Ist aber nicht schlimm.
Nonsens ohne Konsens
Auf den 144 Seiten tummeln sich ein paar schöne Einfälle und Beobachtungen. Das musst du hinkriegen: So eine Geschichte – Mann will Piano – unterhaltsam und komisch zu erzählen. Hat er hingekriegt, der Bratenstein. Was für ein merkwürdiges Werk, denkt man. Und man behält Recht, denn dieses Buch ist merkwürdig. Darin liegt seine Stärke, in der absurden Handlung, in abstrusen Dialogen. Jan Bratenstein erweist sich in seinem Erstling als Grenzgänger und changiert zwischen den Polen lustig/albern, originell/abgedroschen, speziell/stereotyp. Seine Figuren tragen schöne Namen, sind aber stereotyp und teilweise blass. Wenn er vom „Gitarrist mit langen, verfilzten Locken“ schreibt zum Beispiel. Jan Bratenstein spielt mit Klischees, aber mit Humor. Womit wir beim zweiten Stichwort wären: Humor. Der ist skurril und deshalb gut, er (Bratenstein) marschiert an der Grenze zum Nonsens auf und ab. Überschreitet diese gelegentlich und tritt dann voll in das Fettnäpfchen namens „Albernheit“. Bratenstein, selbst Musiker, hat viel Wortwitz. Er schreibt gut, man liest ihn gerne. Aber er ist auch ein Freund von Flachwitzen und platten Späßen, was er eigentlich nicht nötig hat. Er spricht den Leser direkt an mit „Meine Damen und Herren“, das wirkt etwas aufgesetzt. Dazu benutzt er alte Wörter wie unfasslich, Halunke, Scharlatan, Möchtegern
Platt und schau
Das Werk ist nicht (nur) platt. Und selbst das Platte hat seinen Sinn. Der absurde Humor, der zum verstohlenen Grinsen verführt, ist nicht alles. Der Autor hat schöne, teils philosophische Sätze im Gepäck. „Gedanken sind Gift. Gedanken fördern nur das Wollen, das Streben. Ich wollte nicht mehr wollen, ich wollte einfach nur sein. Mit Piano, ohne Piano.“ Sozialkritik gibt es auch, er kritisiert den fehlenden Mut, sich auszudrücken und die überkritischen Augen der Gesellschaft. Das Buch ist klein und unscheinbar. Schöne Beobachtungen aus dem Alltag. Man fragt sich: Ist die Story originell, absurd oder bloß albern, sind die Figuren speziell oder bloß stereotyp. Warum der Held überhaupt ein Piano will, also die Triebfeder seines Handelns in diesem Buch, wird nicht ganz klar. Ist der Titel am Ende auch bloß Nonsens? Fazit: schön geschrieben, schöner Stil, einfache wirkungsvolle Sätze. Das Buch lässt sich leicht und gut verdaulich lesen. Was ein Kompliment ist. Die Frage des Buch: Das Leben hat viele Ziele, aber für welches entscheide ich mich? Die einen suchen, wie bei dem Klassiker „Der Mann ohne Eigenschaften“, Sinn und Identität. Andere suchen: ein Piano. Völlig ok.