Adrian Thaws ist eine schillernde Persönlichkeit. Unter dem Künstlernamen Tricky zeigt sich der englische Sänger, Produzent und Labelbetreiber unberechenbar und facettenreich. „Skilled Mechanics“ (Vö 22.01.2016) ist das 11 Solo-Album von Tricky. Es erscheint wie die beiden Vorgänger auf seinem eigenen Label False Idols. Künstlerisch steht Tricky jetzt als Sänger mehr im Vordergrund. Gleichzeitig zieht er sich visuell zurück und trägt auf seinen aktuellen Pressefotos eine Maske.
Wir treffen Tricky Mitte Januar zum Gespräch in einem Café in Berlin Neukölln. Die Location liegt nicht weit entfernt von seiner neuen Wohnung. Nach den Stationen Bristol, New York, Los Angeles, Paris und London lebt Tricky aktuell in Berlin. Kurz vor der Veröffentlichung von „Skilled Mechanics“ und dem Beginn der Proben für die anstehende Europa-Tour spricht Tricky im Interview über das neue Album, die Anfänge seiner 20-jährigen Solokarriere, die neue Wahlheimat und warum ihm The Specials wichtiger sind als The Beatles.
Neues Album, neue Band, neuer Wohnort. Es sieht so aus, als ob dir Veränderungen und Bewegungen wichtig sind. Wie kommt das?
Ansonsten wäre es doch echt langweilig. Als ich in New York lebte und das erste Mal über die Brooklyn Bridge fuhr, war ich überwältigt vom Blick, den man aus dem Autofenster auf die Skyline hat – als wäre man in einem Kinofilm. Aber nach ein paar Jahren hatte ich mich daran gewöhnt, und ich schaute nicht einmal mehr aus dem Fenster. Wenn Dinge für mich gewöhnlich werden, dann schließe ich meine Augen. Und wenn ich meine Augen schließe, dann bin ich nicht mehr inspiriert. Als ich in Paris lebte, verstand ich, warum so viele Maler dahin gezogen sind. Im Licht des Sonnenuntergangs sehen der Himmel und die Stadt unglaublich aus. Aber nach ein paar Jahren habe ich auch dort aufgehört mich umzuschauen. An diesem Punkt ist es Zeit für mich zu gehen. In Los Angeles gab es vor meiner Wohnung den Strand mit Palmen. Für einen Jungen wie mich, der aus England kommt, und mit dem kalifornischen Strandleben in Malibu das erste Mal konfrontiert ist, war das echt krass. Aber dann langweilte mich auch das, und ich verbrachte die meiste Zeit in L.A. in dunklen Clubs ohne Sonnenlicht. Wenn ich jetzt durch Berlin gehe, dann sehe ich viele Dinge. An einem Tag liegt ein Fernseher auf der Straße. Am nächsten Tag ist er weg und da steht stattdessen eine Couch. Berlin ist eine sehr visuelle Stadt, es gibt hier so viele Unterschiede. Aber sobald die Faszination weg ist, ist es Zeit woanders hin zu gehen. Im Leben geht es doch darum, neue Dinge zu sehen und zu erleben
Diesen Wendepunkt hast du in Berlin noch nicht erreicht?
Berlin ist immer noch sehr faszinierend für mich. Ich lebe hier jetzt seit sieben Monaten. Im Sommer bin ich durch die Stadt gelaufen. Ich mag die Outdoor-Kultur. Man kann den ganzen Tag draußen verbringen, sein Ding machen, lesen oder Leute beobachten. Du kannst stundenlang vor einem Café sitzen und niemand belästigt dich. Es ist einfach sehr relaxed hier. In London kannst du nicht so abhängen. Entweder gehst du aus sozialen Gründen in ein Café, oder um dir schnell ein Sandwich oder Getränk zum Mitnehmen für die Arbeit zu krallen. Nimm zum Beispiel diese zwei Mädchen, die uns gegenübersitzen. Sie sind hier schon seit Ewigkeiten, haben gegessen, ihren Café getrunken und bleiben einfach hier sitzen, um sich zu unterhalten. In England isst du schnell etwas und gehst danach sofort nach Hause.
Was reizt dich noch an Berlin?
Das Tempo der Stadt ist perfekt für mich. London ist nicht das, was es vorgibt zu sein. Das Leben ist zwar sehr schnell, aber wenn du dort mehr in die Tiefe gehst, dann gibt es eigentlich nicht viel zu tun. Berlin ist genau das Gegenteil. Das Leben hier ist langsamer, aber es gibt hier unheimlich viel, was man entdecken und machen kann. Berlin ist ein sehr unkomplizierter Ort und ich bin ein einfacher Typ. Ich gehe in den Bioladen, kaufe ein, um etwas zum Essen zu kochen. Ich lese und sehe abends eine Doku im Fernsehen. Ich bin nicht der VIP-Typ. Ich brauche das nicht. So ist Berlin ist für mich im Moment der perfekte Ort.
Berlin ist weltbekannt für seine Club-Szene. Du sollest öfter mal ausgehen.
Ja, das werde ich sicher machen, aber was ich an Berlin liebe, ist das Bodenständige. Du musst hier nicht unbedingt ins Nachleben eintauchen, um Spaß zu haben. Das Leben im Tageslicht ist schon abwechslungsreich genug. In London ist es verdammt langweilig, da musst du ausgehen und dich betrinken, um Dampf abzulassen. Und ich war in London in wirklich furchtbaren Clubs und Bars unterwegs. In Berlin brauche ich das nicht, hier genügt mir der richtige Club zur richtigen Zeit.
Ende der Woche triffst du deine Band. Freust du dich auf die Proben?
Proben sind langweilig, echt lästig. Normalerweise mache ich keine. Bei meinen Live-Shows stand bisher meistens eine Sängerin im Vordergrund. So musste ich eigentlich nur bei den Konzerten auftauchen. Und wenn ich mal einen Einsatz verpatzt oder den Text vergessen habe, ging das trotzdem in Ordnung. Aber diese Proben muss ich machen, weil ich die Songs meines neuen Albums live voll singen werde.
Das ist für dich bei diesem Album also eine Premiere. Mit wem wirst du die Konzerte machen, mit den Künstlern, die auch auf dem Album sind?
Es hat keinen Sinn, dass die Gast-Sänger des Albums, wie etwa die chinesische Rapperin Ivy, nur für jeweils einen Song mit auf Tour gehen. In meiner Live-Band sind Paul Noel, ein neuer Gitarrist, und mein langjähriger Schlagzeuger Luke Harris, der auch singen wird.
Ist das neue Album ein Gemeinschaftsprojekt?
Nicht wirklich. Ich habe fünf Songs mit DJ Milo produziert, den ich seit meiner Kindheit kenne. Zwei Songs sind zusammen mit Luke entstanden, einer mit dem chinesischen Mädchen. Die andere Hälfte der Songs habe ich allein produziert mit ein paar Gast-Features.
Ist durch die Zusammenarbeit mit deinem alten Jugendfreund Milo aus Bristol das neue Album auch ein Blick zurück auf die Anfänge deiner Musikkarriere?
Neben Smith & Mighty, mit denen ich das erste Mal live aufgetreten bin, ist Milo der Erste, der damals meine Stimme bei unseren Tracks auf Tapes aufgenommen hat. So ist die erneute Zusammenarbeit mit Milo fast wie ein Zurückgehen zu der Zeit, als ich noch ein Rapper war. Inzwischen sehe ich mich selbst natürlich überhaupt nicht mehr als Rapper, aber Milo brachte mich dazu, jetzt wieder mehr mit meiner Stimme zu machen und mehr zu singen.
Wenn man sich den Text des Songs „Boy“ anhört, ist das neue Album auch sehr persönlich geworden.
Ja, aber das Witzige daran ist, dass ich das selbst so zunächst gar nicht bemerkt habe. Ich wusste nur, dass der Song sehr viel von meiner Energie hat. Als ich „Boy“ dann einem alten Freund vorgespielt habe, der mich schon kennt, bevor ich mit Musik angefangen habe, meinte er fast geschockt: „Boy“ sei mein Leben in nur drei Minuten erzählt, und das Realste, das ich je geschrieben habe. Und mein Kumpel weiß wirklich alles von mir und meiner Familie. Er weiß, was mit meiner Mutter passiert ist. Seine Eltern kennen meinen Vater. Deswegen wird „Boy“ auch die nächste Single des Albums. Ich hätte nie gedacht, dass das eine Single sein könnte. Da ist nichts Zweideutiges in dem Song, alles ist wirklich passiert.