›Holy Shit! MOTHER TONGUE leben!‹ – Nach sechs Jahren stehen MOTHER TONGUE wieder auf der Bühne und demonstrieren, was es bedeutet, eine Live-Band zu sein.
Am 14. Juli 2016 war es wieder soweit: die Mutter der Dinge, MOTHER TONGUE, ist zurück auf der Bühne, zurück in Berlin, bei denen, die immer gut zu ihnen waren, wie der Sänger am Bass, Davo Gould, gleich zu Beginn heraustellt. Der Weg, der das Quartett aus L.A. ins Bi Nuu führt, ist seit jeher ein ewiges Auf und Ab. Eine Karriere, die seit Beginn der 90er zwischen Himmel und Hölle der Musikbranche pendelt: Als eine der großen Hoffnungen der Alternative-Szene gestartet, gestrandet, neu gestartet, wieder auferstanden, eine treue Gefolgschaft im fernen Europa gefunden und doch wieder zerbrochen, gestürzt, gestolpert und wieder zurückgekommen. MOTHER TONGUE können unvergessliche Drei-Stunden-Shows spielen, sämtliche Platten, alles Merch auf einer Tour verkaufen und eine Fanbase aufbauen, die nach sechs Jahren Pause zum Auftritt kommt und sich diebisch freut: »Wenn man das Konzert im Prinzip schon mit der Zugabe beginnt…«
Abholen und mitnehmen
Es gibt Leute, die behaupten bereits seit Dekanden euphorisch, dass diese Band »irgendwie Gott sein muss«. Entsprechend voll ist das Bi Nuu. Und MOTHER TONGUE sind gut, aber noch nicht Gott, als sie loslegen. Der Sound ist nicht astrein. Nach gut einer halben Stunde ist man aber drin. Die Band geht in ihrer einzigartige Aura aus ungestümen Groove-Brocken, bluesigem 70's Rock, Funk-Rhythmen, Soul-Zitaten und leidenschaftlich ausufernden Jams immer weiter auf. Es ist egal, dass man hier kein Metronom mitlaufen lassen kann, dass nicht alles auf den Punkt sitzt. Es wurde zwei Mal geprobt, ein Gig in den USA gespielt und dann ab zur Europa-Tour. Hier geht es um ein ehrlich kräftiges Live-Erlebnis. Die vier gestandenen Männer auf der Bühne steigern sich gemeinsam mit der Euphorie des Publikums. Sie holen die Menge ab und nehmen sie mit. ›Holy Shit!‹ wird zum begeisterten Schrei-Motto des Abends.
Weiterleben
Überraschender als dass Rampensau und Gitarrist Christian Leibfried bald auf den Rücken fällt und weiter spielt, ist der Gastauftritt von Hank Williamson. Der Mundharmonika-Spieler von THE BOSS HOSS jammt mit. Angeblich trafen sich die beiden doch recht unterschiedlichen Bands die Tage spontan im Studio der kommerziell sehr erfolgreichen deutschen BOSS HOSS. Aus dem überwiegend MOTHER TONGUE-erfahreneren Publikum ist es schließlich ein Junge, den Davo Gould auf die Bühne holt. »Das Kind soll auf die Bühne kommen. Dann fühle ich mich jünger!« Er nimmt den tanzenden Kleinen auf den Arm. Die Menge flippt aus – generationenübergreifend. MOTHER TONGUE leben. Wieder. Immernoch. Weiterhin. Die ›Holy Shit!‹- und Zugabe-Rufe dauern wie selbstverständlich noch an, als die Musik schon lange läuft und das Deckenlicht blendet.
Text & Fotos: Steffen Rudnik