Während für die derzeitige Krisenzeit noch kein schnelles Ende am Horizont zu sehen ist, haben viele Menschen wieder angefangen im Hier und Jetzt zu leben. Die Frage ist nicht mehr „Was mache ich in 10 Jahren?“ sondern: „Was mache ich morgen?“.
Der gesellschaftliche Leistungsdruck steht mehr oder weniger still, Bildungseinrichtungen wie Schulen oder Universitäten haben zu. Manche Arbeiter*innen dürfen von zuhause aus arbeiten, ohne sich um die nächste Beförderung bemühen zu müssen. Es haben sich kleine Nachbarschafts-Kommunen gebildet, die sich selbst vielleicht nicht einmal so bezeichnen würden. Es ist alles langsamer geworden, sodass Zeit aufgekommen ist, um sich mit seinen Nachbarinnen und Nachbarn zu beschäftigen. Plötzlich hilft man dem alten Pärchen von nebenan beim Einkaufen, bringt dem Erkälteten von oben Medikamente an die Haustür und gibt das, was man übrig hat, am Gabenzaun an der Ecke ab. Es ist die Realisierung eingetroffen, dass man im Überfluss lebt und sich an diesen gewöhnt hat – bis man merkt, dass man ihn nicht einmal braucht.
Connections in der Nachbarschaft
#ZuhauseBleiben ist noch immer nicht vorbei, auch wenn man das mit einem Blick auf’s Tempelhofer Feld vielleicht vermuten könnte. Sich mit der Nachbarschaft zu connecten bedeutet jetzt nicht von Tür zu Tür zu rennen und sich vorzustellen, um dann gemeinsam Tee zu trinken – es bedeutet eigentlich einfach Mal nachzufragen, ob alles okay ist. Sich in die Listen von dem eigenen Haus und dem Haus nebenan als Helfer*in einzutragen, um Personen in der Risikogruppe das Leben durch erledigte Einkäufe zu erleichtern und sie nicht zu gefährden. Vielleicht trifft man auch auf Leute, die es innerhalb der Quarantäne vermeiden außerhalb der Nachbarschaft Kontakte zu knüpfen und es entstehen neue Freundschaften. Die jetzige Krisensituation beweist, wie viel Solidarität, Rücksicht und Gemeinschaftlichkeit innerhalb der Nachbarschaftskreise vorhanden ist. Auch in wirtschaftlicher, gesundheitlicher und politischer Notlage. Das Robert-Koch-Institut spricht davon, dass Menschen über 50 und insbesondere ab 80 in die Risikogruppe fallen. Auch Vorerkrankungen (wie Krebs, Diabetes, Herzkreislauf- oder Lungenerkrankungen) verringern die Überlebenschance von Infizierten enorm. Je nachdem wie stark man betroffen ist, wäre es unklug jetzt noch rauszugehen. Auch wenn die Infiziertenzahlen deutlich langsamer steigen, sollten Oma und Opa es nicht drauf ankommen lassen.
Wie kann ich helfen?
Wer in einem Mehrfamilienhaus lebt, kann sich ein Aushang ausdrucken und es im Hausflur im Nähe des Eingangs aufhängen, beispielsweise von nebenan.de. Dort könnt ihr als Helfer*innen euren Namen, Briefkasten und Telefonnummer eingeben, um für Nachbar*innen Besorgungen, Einkäufe oder Spaziergänge mit Haustieren zu erledigen. Da viele Eltern ihr Kind nicht mehr bei den Großeltern abgeben können, könnte man auch dort eine helfende Hand anbieten. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ heißt es bei Marx.
Auch online gibt es Portale, bei denen man sich anmelden kann und seine Hilfeleistungen beispielsweise nicht nur auf 1 bis 3 Häuser beschränkt, sondern in einem größeren Umkreis aktiv werden kann. Nachbarschaftsnetzwerke wie nebenan.de erleichtern das Kontakeknüpfen online. Wer keine Internetverbindung hat, kann sich bei der Hotline 0800 8665544 melden, Postleitzahl, Telefonnummer und gewünschte Hilfeleistung melden und dann Hilfe anfordern. Dies wird als Beitrag veröffentlicht und potentielle Helfer*innen melden sich selbstständig.
Die Krise trifft nicht alle gleich
Hilfeleistungen müssen nicht aus Einkaufen oder mit dem Hund spazieren gehen bestehen. Videokonferenzen mit Lesekreisen oder Musik-Sessions, Podcasts, vielleicht Mal seiner Nichte eine Gutenachtgeschichte aufnehmen und zukommen lassen. in schwierigen Zeiten fällt es schwer, sich nicht selbst zu bemitleiden. Aber wir dürfen eins nicht vergessen: Die Krise trifft nicht alle gleich. Über 50% der Bevölkerung arbeiten noch immer regulär „vor Ort“, oft auch ohne Schutzmaßnahmen. Menschen mit Mitbewohner*innen in kleinen Wohnungen (oder überhaupt einem Wohnsitz) gehen mit der Situation anders um als Menschen in Anwesen mit Gärten. Aus Wohnräumen wird immer noch Profit geschöpft, während zahlreiche Arbeiter*innen auf Kurzarbeit zurückgefallen oder arbeitslos geworden sind. Asylsuchende, Obdachlose, Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt sind noch immer allgegenwertig. Wir stecken eben nicht alle im selben Boot. Nachbarschaftsnetzwerke helfen uns, uns auszutauschen, zu helfen und Beistand zu leisten. Die soziale Ungerechtigkeit bleibt und muss auch noch nach der Krise, mit umso mehr Solidarität und Unterstützung, bekämpft werden.