Hier ein Foto, da ein Facebook-Check in. Nur mal eben in diese neue Ausstellung – immerhin gibt's Häppchen und die neue Connection ist auch wieder da. Sven Sauer und Jerry Kowalsky wollen alles, nur nicht das. Mit ihrer Ausstellung „The Dark Rooms“ (und jetzt mal nicht ans Berghain denken) locken sie am 3. September in die Dunkelheit. In der Willner Brauerei wird der Besucher in individuell inszenierten Räumen zum unsichtbaren Beobachter, denn lediglich die Kunstwerke sind mit 25 Watt Scheinwerfern ausgeleuchtet, um die Wahrnehmung auf das zu lenken, worum es eigentlich geht: die Kunst. Welche Idee dahinter steckt und warum Linienstraße-Liebhaber fernbleiben sollten, verraten sie mit der Kuratorin Clara Cremer im Interview.
Sven: Darf ich dir eine Frage stellen? Fühlst du dich auf einer Vernissage in einer Galerie so richtig wohl?
Ganz ehrlich? Nö. Meistens geht es zwischen sterilen weißen Wänden doch mehr um das Drumherum – um Selbstinszenierung und den Secco.
Sven: Natürlich, man kann sich in Galerien nur unwohl fühlen. Ich überlege mir zweimal, ob ich zu so was gehe, weil ich keine Lust auf networken habe. Bei Galerien mit Weißwänden finde ich die Architektur meistens schöner als das, was ausgestellt wird. Das ist viel zu präsent. Bei uns hat das Drumherum keine Chance. Es geht nur um die Kunstwerke. Wir wollen den Leuten die Möglichkeit geben, Ruhe zu finden und sich Zeit zu nehmen.
Wie verändert sich die Wahrnehmung in dunklen Räumen?
Sven: Man geht rein, verliert sich und entdeckt plötzlich etwas. Das ist ein ganz neuer Fokus. Alles konzentriert sich auf ein Kunstwerk. Damit kann man viel intensiver wahrnehmen.
Wann und wie kam euch erstmals die Idee dazu?
Jerry: In Korea! Wir hatten dort ein Ausstellungsprojekt und haben die Arbeiten von Künstlern verbrannt.
Huch, mutig, so als Deutscher.
Sven: Das Ganze hieß „360 Minutes of Art" – eine Gruppenausstellung, die sechs Stunden ging. Eine digitale Uhr lief rückwärts. Als sie auf null ging, wurden alle Exponate verbrannt. Die Grundidee war nicht das Verbrennen. Da hat sich die Presse draufgestürzt: Nazis bla-bla-bla. Wenn ich dir sagen würde, dass ich in sechs Monaten sterbe, hättest du auch einen ganz anderen Bezug zu mir, oder?
Jerry: Ich fand die Idee toll, war aber der Meinung, dass der Künstler seine Mühe weggibt. Dann haben wir ein Brainstorming gemacht und das ist herausgekommen. Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren an dem Projekt. Viele Künstler wollen alles so schnell wie möglich machen. Genau das wollen wir nicht. Entweder man macht etwas gut oder gar nicht.
Erwischt ihr euch selber dabei, wie ihr durch Ausstellungen hetzt?
Sven: Ja, wir kriegen das mit der Ruhe selber nicht hin. Das ist ein Faktor, der heute nicht mehr existiert. Die Botticelli-Ausstellung zum Beispiel: Du gehst durch diesen Irrgarten, bist nach 15 Minuten wirr und kannst nichts mehr aufnehmen.
Jerry: Ich drehe meistens eine Runde, aber wenn es voll ist, habe ich gleich keinen Bock mehr.
Wie entzerrt ihr das Ganze?
Clara: Die Tickets sind limitiert. Natürlich kommen nicht alle auf einmal rein. Wir schleusen Zehnergruppen durch. So kann man auf den Sitzinseln, die überall installiert sind, verweilen.
Sven: Über den ganzen Abend sind sicher 1500 Leute da. Mehr wollen wir nicht. Die Karte ist eine Firewall. Wir sortieren die Leute, die nur hingehen, weil sie es für schick halten, zwischen denen aus, die echtes Interesse haben. Wenn du die Maske ausfüllst, ist das eine Hürde. Keine große, aber groß genug, um die Mitte-Linienstraße-Menschen, die Prosecco schlürfen, fernzuhalten.
Gibt es Regeln, an die man sich halten sollte?
Sven: Wenn man reinkommt, kriegt man erst mal alles von drei Ladies erklärt. Regel Nummer eins: Handys aus. Erstens, damit kein Licht erzeugt wird, zweitens, damit man wirklich das Zeitgefühl verliert. Wir zwingen dazu, Kunst wieder wahrzunehmen.
Clara: Es geht nicht darum, dass bei Facebook steht, man war da. Blitz ist eh nicht erlaubt.
Was ist die größte Herausforderung für die Künstler?
Clara: Die müssen sich vorher genau überlegen, wie sie ihr Kunstwerk ausleuchten und worauf sie den Fokus lenken. Teilweise funktioniert das gut, manchmal weniger.
Jerry: Die Schwierigkeit ist, dass man ein Kunstwerk macht, dass nicht mit dem Raum zusammenhängt. Hier ist der Raum entweder unendlich oder nicht da.
Was trägt die Willner Brauerei als Location bei, wenn der Raum keine Rolle spielt?
Sven: Auf fünf Stockwerken gehst du von einem Raum in den nächsten. Insgesamt sind es zwölf bis sechszehn – zum Teil kleine, zum Teil große. Dabei hast du das Gefühl, das alles hört nicht auf. Du dringst immer weiter in die Dunkelheit vor. Genau das ist der Reiz.
Klingt alles nach einem Experiment – und zwar für alle Beteiligten.
Clara: Das ist es. Hoffentlich wird es ein Rausch, an dessen Ende die Leute desillusioniert sind.
Sven: Es wird mit den Künstlern noch richtig Diskussionen geben. Wir wollen das Erlebnis Dunkelheit, die ihre Kunstwerke möglichst glühend. Als wir wussten, dass wir zu viele Zusagen haben, hatten die strahlende Augen. Und wir immer: „Nein nein, viel zu viele!". Für uns ist das ein Test. Wir wissen nicht, wie es tatsächlich wird.
Jerry: Ein Kunstabenteuer wird es auf jeden Fall!
Wir verlosen 10 Tickets. E-Mail mit eurem Namen und dem Betreff "Dark Rooms" an verlosung@berlin030.de!