Er studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, wechselte zum Ensemble der Berliner Schaubühne und landete mit dem Beziehungsdrama „Alle anderen“ von Toni Erdmann-Regisseurin Maren Ade 2009 seinen Durchbruch im Kino. Aktuell steht er zum zweiten Mal mit Twilight-Star Kristen Stewart in „Personal Shopper“ vor der Kamera. Ein Gespräch über Idole, Ideale und die perfekte Eidinger-Szene.
Kristen Stewart sorgte mit den „Twilight“-Verfilmungen einst für Kreischalarm. Sie stehen bereits zum zweiten Mal mit ihr vor der Kamera. Wie haben Sie das Teenie-Idol erlebt?
Kristen ist einfach fantastisch. Ich war sehr beeindruckt, weil ich das Gefühl habe, dass sie meinem Ideal von Schauspielerei entspricht. Eigentlich würde man das von Kristen Stewart gar nicht erwarten. Vor „Die Wolken von Sils Maria“ hätte man kaum geglaubt, welche großartige Schauspielerin in ihr steckt – womit man ihr Unrecht tat.
Was entspricht Ihrem Ideal von Schauspielerei?
Gemeinhin wird gesagt, Schauspielerei hätte mit Lügen oder Verstellen zu tun. Bei Kristen sieht man, dass das Gegenteil der Fall ist. Es geht in diesem Beruf darum, in jedem Moment aufrichtig zu sein: Zu sich selbst, zum Partner und zu der Situation – und das beherrscht Stewart perfekt. Das hat etwas Geniales, weil es aus einer Form von Intuition kommt. Man hat bei ihr nie das Gefühl, als wäre das nur gemacht oder gestaltet. Kristen agiert immer aus dem Moment heraus.
Gehört diese Qualität nicht zur Basis in diesem Beruf?
Man erlebt das häufig anders. Da gibt es Gezicke oder Verweigerung. Das hat viel mit Konkurrenz zu tun. Dieses Konkurrenzdenken ist bei Kristen überhaupt nicht vorhanden, was vielleicht mit ihrem Star-Status zu tun haben mag. Kristen ruht in sich und strahlt eine totale Selbstsicherheit aus, was sie für zur idealen Partnerin für einen Schauspieler macht.
Ihre Rolle in „Personal Shopper“ ist derweil relativ klein. Fühlt man sich dabei nicht ein bisschen unter Wert verkauft?
Darüber habe ich keinen Moment lang nachgedacht. Diese Form von Eitelkeit besitze ich absolut nicht. Als Schauspieler interessiert mich nicht die Menge meiner Dialoge, sondern die Qualität einer Rolle. Und diese Spielszene in „Personal Shopper“, mit dieser Partnerin und diesem Regisseur, bietet solch großartige Möglichkeiten an, da ist die Größe der Rolle völlig unbedeutend.
Rührt diese Haltung von Ihrer Zeit bei der Berliner Schaubühne und deren Mitbestimmungsmodell?
Stimmt, am Anfang der Schaubühne hatten wir dieses Mitbestimmungsmodell mit dem Ideal einer Besetzungsgerechtigkeit. Für mich ist das nach wie vor ein Ideal in jeglichem Arbeitszusammenhang. Es wäre doch großartig, zu sagen: Nächstes Mal übernehme ich die Hauptrolle und Kristen spielt eine kleine Rolle. Bei der Schaubühne hat das letztlich nicht funktioniert, was für mich diese Idee jedoch nicht weniger faszinierend macht.
Können Sie alles spielen?
Kann ich alles spielen? (Lacht) Ich kann alles und nichts spielen, das ist ja das Schöne. Dieser Beruf, wie das Leben überhaupt, pendelt immer wieder zwischen den Fallhöhen „Ich bin der Größte“ und „Ich bin der letzte Dilettant“. Die Wahrheit liegt dazwischen. Man fühlt sich nie unangreifbar. Im Gegenteil: Ich muss mich in jeder Rolle angreifbar machen und dem Risiko aussetzen, dass etwas nicht gelingt.
Wie groß ist noch die Nervosität?
Vor der ersten Szene bin ich immer aufgeregt, ich zittere und habe Angst, dass ich nicht gut bin. Es ist ein bisschen das Dilemma in diesem Beruf, dass man ständig das Gefühl hat, hinter seinen eigenen Erwartungen zurückzubleiben. Insgeheim gibt es diese Sehnsucht danach, sagen zu können: „Jetzt hast du es geschafft!“ Und irgendwann kommt die Erkenntnis, man wird es nie schaffen.
Wann sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?
Als ich in Cannes die „Personal Shopper“-Premiere gesehen habe, war ich zufrieden mit mir. Da geht es mir anders als jenen Künstlern, die daran verzweifeln, nie zufrieden mit sich zu sein. Mit einem gewissen Abstand kann ich auf mich schauen und sagen: „Hast du gut gemacht!“ Das wird mir bisweilen als Überheblichkeit vorgeworfen, aber ich verweigere mich dieser Koketterie, sich vorgeblich schlecht zu finden. Man muss in diesem Beruf schon ein Wirkungsbewusstsein entwickeln, sonst funktioniert er doch gar nicht.
Gibt es eine Szene, die für Sie die perfekte Eidinger-Szene wäre?
Im Grunde ist der ganze Film „Alle anderen“ von Maren Ade die perfekte Eidinger-Szene. Diesen Film kann ich mir immer wieder anschauen und ich würde nichts anders machen wollen. Ich weiß, wie anstrengend das war und wie wir diese vielen Wiederholungen von Maren verflucht haben. Ich kann mich an keinen Abend erinnern, an dem ich damals nicht heulend meine Frau angerufen habe. Aber wenn ich jetzt das Ergebnis sehe, dann ist dieser Film zu hundert Prozent gelungen.
Welchen Beruf hätten Sie gewählt, wenn Sie nicht Schauspieler geworden wären?
Ich bin ja kein Schauspieler, ich bin Künstler. Ich wollte immer Künstler sein. Ich kann mich durch Schauspielerei am besten ausdrücken, weil ich dort die meisten Fähigkeiten habe. Mein Talent für die Malerei ist dagegen relativ überschaubar, deswegen male ich nicht. Im Grunde geht es für mich um Expressivität, deswegen wollte ich immer Künstler sein.
Interview: Autor: Dieter Oßwald