David Sedaris ist spät dran – sein vorheriger Termin zieht sich. Ich warte in der exzessiv lachsfarbenen Lobby des Regent Hotel am Gendarmenmarkt und starre abwechselnd auf den Lilienstrauß, der so groß ist wie eine Hundehütte und den Karpfen aus Meissner Porzellan. Nach zehn Minuten fange ich an, mich unwohl zu fühlen.
Ich habe ich die vergangene Nacht in einem Flixbus gepennt und insgesamt solide drei Minuten geschlafen. Natürlich lag das auch an dem netten jungen Mann hinter mir, der seine Kniescheiben am liebsten mit meiner Wirbelsäule fusionieren wollte, aber hauptsächlich daran, dass ich heute einen der bekanntesten Humoristen Amerikas interviewen soll – der zufälligerweise auch mein Lieblingsautor ist.
Die erste Lektüre ein Diebstahl
Mein erstes Buch von Sedaris «Ich ein Tag sprechen hübsch» habe ich von meiner Mutter geklaut, nachdem sie meinte ich sei zu jung dafür. Wie sooft merkte ich zu spät, dass sie recht hatte. Ich war mit zarten zehn Jahren definitiv nicht bereit für Kurzgeschichten über Krebs, Drogensucht und Camper voller Dildos. Den größten Teil des Buches fand ich verstörend, den Rest habe ich nicht verstanden. Und diese Hauptfigur – wie konnte man nur so drauf sein? Wie konnte man so über seine Familie schreiben? Wie kann man nur den Krebstod seiner Mutter als Ausrede für den nur halbherzig gemachten Job nehmen? Ich war absolut angewidert. Aber trotzdem ging mir das Buch nie mehr aus dem Kopf. In den letzten fünfzehn Jahren habe ich gelernt, auf Englisch vernünftig zu fluchen, wodurch ich mehr und mehr Witze in den Büchern verstand. Ich musste zwar nie aus einem Camper voller Dildos flüchten, aber nach so manch unangenehmen Erlebnis spürte ich plötzlich eine gewisse Sympathie für Sedaris, der sich vor einem Verehrer in den Straßengraben rettet. Statt mich über schräge Familiendynamiken zu wundern, überlegte ich, wie er das publizieren konnte, ohne enterbt zu werden. Und dann hatte ich das Buch doch wieder in der Hand.
Von mir aus kannst Du auf dem Bett rumspringen. – David Sedaris zu [030] Autorin Viola Heeger
Heute ist Sedaris einer meiner Lieblingsautoren, seine Bücher haben auch den vierten Umzug überlebt und wenn mir selber nichts Witziges einfällt, zitiere ich ihn Als Sedaris mir dir Tür zu seinem Hotelzimmer aufmacht, muss ich nach unten schauen: Ein zierlicher Mann Anfang sechzig, graue Freizeitkleidung, ein Lächeln irgendwo zwischen höflich und einladend. Vor lauter Nervosität will ich meine Schuhe ausziehen, bis er mich aufhält: «Das ist eh nicht mein Zimmer. Von mir aus kannst Du auf dem Bett rumspringen». Ich lehne dankend ab.
Als Junge hatte Sedaris die unterschiedlichsten Ticks, musste den Lichtschalter immer eine bestimmte Anzahl betätigen, den Briefkasten ablecken und diversen Mustern folgen. Auch heute noch kippelt er das ganze Gespräch über mit dem Stuhl oder spielt mit seinen Reißverschlüssen. Sein berühmtes Notizbuch liegt neben seiner Brille mit durchsichtigem Rand. Ab und zu schnippst er dagegen. Einsteigen muss ich direkt mit der unfassbar schrägen Coverstory seines neuen Buchs «Calypso»: Bei einer Untersuchung entdeckt der Arzt einen gutartigen Tumor. Sedaris sträubt sich aber gegen die OP, da er den Tumor nicht behalten darf, um ihn an eine Schnappschildkröte zu verfüttern. Als er die Geschichte bei einer Lesung zum besten gibt, bietet eine Frau ihm an, den Tumor in einer nächtlichen Aktion zu entfernen und auf Eis an seine Schwester zu mailen.
Herr Sedaris, wie kommen solche Situationen zustande?
Sedaris: Ich habe bei einer Lesung erzählt, dass mein Arzt mich meinen Tumor nicht behalten lassen wollte. Die Frau saß bei mir im Publikum und bot mir an, den Tumor rauszuschneiden und so einfach war das. Ich durfte meinen Tumor behalten. Wenn ich auf Tour gehe, gibt es immer irgendetwas, das ich brauche. Jetzt zum Beispiel habe ich fünf Serien auf meinem Computer gespeichert und kriege sie einfach nicht weg. Also frage ich einfach mein Publikum, ob jemand im Apple Store arbeitet und das für mich erledigen kann. Dann müssen sie sich nicht anstellen. Oder wenn ich wieder Nierensteine habe und keine Pillen. Wenn ich drogenabhängig wäre, wäre ich immer super versorgt.
Machen Sie sich keine Sorgen, dass das mal nach hinten losgeht?
Sedaris: Nein, ich missbrauche das nicht. Nur wenn ich wirklich etwas brauche oder nicht auf die Reihe kriege. Und ich helfe ja auch gerne. Wenn ein junger Schriftsteller zu mir kommt, kann der ruhig vor meinem Auftritt auf die Bühne und sein Zeug vorlesen. Das ist ein Geben und Nehmen.
Ihr neues Buch liest sich ein wenig anders als Ihre früheren Sachen – da ging es um alles Mögliche, jetzt sind die Themen viel enger gefasst. Meistens geht es um häusliche Szenen: ihre Familie, ihr Partner Hugh oder ihr Strandhaus in North Carolina.
Sedaris: Jedes Mal, wenn ich mit meiner Familie dorthin gefahren bin, hat es sich wie eine Geschichte angefühlt. Du steckst halt mit Leuten in einem Haus, die du entweder lange nicht oder noch nie gesehen hat – meine Familie, aber auch die meines Partners. Man hängt den ganzen Tag im Badeanzug rum, niemand muss zur Arbeit und dann entwickelt sich aus den Gesprächen für mich schon ein Thema.
Klingt fast zu einfach.
Sedaris: Manchmal fühlt es sich erzwungen an. Aber meistens klappt es – ich finde meine Familie einfach sehr unterhaltsam. Ihre Punchlines, die ganzen schrägen Situationen, das fließt sehr organisch in meine Geschichten ein.
Sie springen in Ihren Geschichten immer unfassbar viel hin und her – zeitlich, räumlich, inhaltlich. Wie verbinden Sie diese ganzen Einzelaspekte zu einer Erzählung?
Sedaris: Ich habe mir immer gewünscht, dass das bei mir so klappt wie bei den Simpsons. Bei den meisten Fernsehserien weiß man am Anfang der Folge «Ah, jemand bleibt mit seinem Finger in einer Bowlingkugel stecken, das ist das Thema», aber ich wette, dass niemand in den ersten fünf Minuten einer Simpsons-Folge sagen kann, worum es geht.
Und wie macht man aus dem Ansatz eine Geschichte?
Sedaris: Manchmal arbeite ich an einer Geschichte und jongliere mit verschiedenen Bällen und am Ende habe ich davon zwei in der Hand – der Rest donnert auf den Boden. Dann muss ich an den Anfang zurück und die Bälle irgendwie loswerden. Da kommt das Handwerk ins Schreiben. Mein Stil ist sehr simpel und umgangssprachlich, also denken viele Leute ich diktiere das nur. Dann hört man so Sachen wie: «Das kann ich auch, ich muss mir nur mal die Zeit dafür nehmen» und ich denke mir: «Das hat mich Jahre meines Lebens gekostet, du Arschloch».
Wann haben Sie mit dem Schreiben angefangen?
Sedaris: Ich schreibe seit vierzig Jahren, also mit zwanzig. Klar klingt das jetzt jung, aber ich wünschte ich hätte mit fünfzehn anfangen. Dann wäre ich fünf Jahre früher nicht mehr so scheiße gewesen.
Wie, wenn einen Eltern zu einem Instrument zwingen, man dafür dann aber nicht mit dreißig noch furchtbar klingt.
Sedaris: Genau. Aber dann auf der anderen Seite – viele Leute sagen «Oh ich würde gerne eine Sprache lernen, aber ich bin zu alt» Was für ein Blödsinn. Wer behauptet so einen Schwachsinn? Es ist einfach nur schwer ein Anfänger zu sein. Es ist peinlich alt und ein Anfänger zu sein, aber nur so lernt man was.
Wieviele Sprachen sprechen Sie eigentlich? Es gibt Gerüchte, dass Sie es auch mit Deutsch probieren…
Sedaris: Ich habe eine diese CD’s, also kann ich ein paar Phrasen, so wie „Wieviel schulde ich Ihnen?“ „Können Sie mir fünf Euro geben?“ Ich habe nur 35 Lektionen im Kopf, also ist es sehr begrenzt was ich so von mir geben kann. Was mir immer besonders Spass macht, ist wenn sie mich im Hotel fragen, ob ich mit jemandem reise. Dann sage ich möglichst dramatisch: „Ich bin alleine.“
Ihr Strandhaus heißt auf Englisch Sea-Section (Kaiserschnitt) und auf Deutsch wird es See-Zierung genannt. Fragen Sie sich manchmal, was da während der Übersetzung so alles aus Ihren Wortwitzen wird?
Sedaris: Oh Gott, ja. Ich habe versucht mir was mit Meer- auszudenken, aber dafür hat mein Deutsch dann nicht gereicht. Also habe ich das auf meinen Übersetzer abgewälzt. Neulich habe ich mit ihm zu Abend gegessen und er meinte, dass er manchmal mitten in der Nacht aufwacht, weil er endlich diesen einen verdammten Wortwitz geknackt hat. Aber dann passt es doch nicht. Er verflucht mich regelmäßig.
Würden Sie Ihre Bücher auf Deutsch vorlesen?
Sedaris: Niemals. Neulich hat jemand behauptet ich würde fließend Deutsch sprechen und ich habe so getan als ob. Dann habe ich ins Publikum geschaut und gesehen wie die Leute sich denken «FUCK, das muss ich mir jetzt anhören?! Das dauert ja ewig» Also lese ich sie lieber auf Englisch.
Auf Instagram findet man ja immer wieder diese Fitness Accounts, die so Zeug posten wie «You just need to find good obsessions to replace your bad ones» – das löst bei mir einen spontanen Brechreiz aus. Aber bei Ihnen schein das ja geklappt zu haben.
Sedaris: Naja, für manche Leute kann es klappen. Ich bin einfach wirklich gut darin, jeden Tag um die selbe Uhrzeit immer das Gleiche zu machen. Früher habe ich mich jeden Tag volllaufen lassen und zugedröhnt, aber es funktioniert auch mit dem Schreiben. Jeden Tag, um die gleiche Uhrzeit schreibe ich….
…oder sammeln so viel Müll, dass Ihre Gemeinde in England einen Müllwagen nach Ihnen benennt.
Sedaris: Oder das. Ich kann mich damit verrückt machen wie besessen über irgendeine Begegnung mit einem Arschloch vor 25 Jahren nachzudenken und durch die Straßen laufen, eine Fresse ziehen und mich aufregen. Oder ich kann mir ein Hörbuch anhören und Müll sammeln gehen. Man handelt nach ähnlich obsessiven Mustern, aber es tut ja nicht weh. Menschen, die wirklich krank sind, kann man aber nicht einfach ein gutes Hörbuch empfehlen und das Problem ist gelöst.
Vor einigen Jahren hat Ihre Schwester Tiffany Selbstmord begangen – in Ihrem Buch schreiben Sie auch über das letzte Mal, als Sie Ihre Schwester gesehen haben. Wie war es für Sie, über diese Erfahrung zu schreiben?
Sedaris: Ich lese diese Geschichte bis heute immer wieder vor und ich kann nicht fassen, dass es dabei um mich geht. Sie stand nach einer Show vor der Tür und rief nach mir, also habe ich einen Security gebeten, die Tür zuzumachen. Ich kann es nicht fassen, dass ich das getan habe.
Wie Sie über diese Situation schreiben, ist unfassbar brutal, auch wie Sie selbst rüberkommen. Hatten Sie nie Angst, dass die Menschen Sie als grausam wahrnehmen könnten?
Sedaris: Angst hatte ich nie, nein. Ich hatte nicht vor diesen Abschnitt zu schreiben, aber die Geschichte hat einfach nicht funktioniert. Ich wollte nochmal neu ansetzen und bevor ich irgendwas tun konnte war diese Geschichte da. Und ich konnte sie nicht zurücknehmen. Es wäre mir falsch vorgekommen, über ihren Suizid rumzuheulen und dann nicht zu erzählen, wie wir uns das letzte Mal gesehen haben.
Sie schreiben auch, dass Ihre Familie Ihr Verhalten sofort nachvollziehen konnte.
Sedaris: Wenn man meine Schwester kannte, erklärt das meine Reaktion ein wenig. Wenn ich früher auf Tour gegangen bin und vorher mit meiner Schwester Tiffany gesprochen habe, dann hat mich das jeden wachen Moment dieser Tour verfolgt. Einmal stellte sie bei Ebay ein Angebot rein: Geht mit Tiffany Sedaris essen und sie erzählt euch all das, worüber ihr Bruder nicht schreiben will. Und so eine Scheiße machte sie immer wieder. Sie war keine einfache Person. Als ich die Tür damals zugemacht habe, dachte ich nur, ich kann das grade nicht. Ich wollte nicht nie wieder mit ihr sprechen, ich habe sie zu meinem Haus am Strand eingeladen und dachte, es gibt noch Zeit, von vorne anzufangen. Aber dazu kam es nicht.
Bereuen Sie, darüber geschrieben zu haben?
Sedaris: Mir ist mittlerweile aufgefallen, dass man nicht weiß, was ich in dieser Situation denke. Wenn ich die Geschichte nochmal schreiben würde, würde ich das erklären. Aber auch das ist nicht ganz einfach – ich will mich nicht rausreden. Ich schreibe immer so viele fiese Sachen über andere Leute, da kann ich nicht so tun als wäre ich fehlerlos. Das merken die Leute.
Foto: © Ingrid Christie