Mit seinem Kurzfilm „Alles wird gut“ wurde Patrick Vollrath, 34, vor drei Jahren für den Oscar nominiert. Die Premiere seines Abschlussfilms an der Wiener Filmakademie feierte der Schüler von Michael Haneke zuvor in Cannes, über 30 Preise auf internationalen Festivals folgten. Sein Spielfilmdebüt „7500“, ein klaustrophobisches Kammerspiel um eine Flugzeugentführung, wurde zum renommierten Festival Locarno eingeladen.
Hollywood-Star Joseph Gordon-Levitt spielt einen Piloten, dessen Flug von Berlin nach Paris in die Gewalt von Terroristen gerät – der Filmtitel steht für den internationalen Notruf bei Flugzeugentführungen. Mit dem Regisseur unterhielt sich [030] – Mitarbeiter Dieter Oßwald.
Herr Vollrath, wenngleich der letzte Schritt aufs Siegertreppchen fehlte, wie lange hält ein Oscar-Rausch an?
Der Oscar-Rausch hat schon ein, zwei Jahre gehalten (Lacht). Insbesondere in der Branche hatte die Nominierung einen nachhaltigen Effekt, der uns nicht zuletzt die Türen zu Amazon und Joseph Gordon-Levitt geöffnet hat. Letztlich entscheidet freilich das Drehbuch: Wenn Joseph der Stoff nicht gefallen hätte, hätten die ganzen Auszeichnungen wenig genutzt. Das gilt ähnlich für die deutsche Filmförderung. Die Auszeichnung ist gut und schön, aber letztlich muss das Gesamtpaket überzeugen.
Ihr Hochschul-Dozent Michael Haneke äußerte sich einst begeistert über „Alles wird gut“. Was sagt er zur Ihrem Spielfilm-Debüt?
Michael Haneke hat bislang lediglich eine frühe Schnittversion gesehen und meinte: „Sehr sehr spannend“. Insbesondere Joseph Gordon-Levitt hat es ihm angetan, den er bislang gar nicht auf dem Schirm hatte.
Weshalb haben Sie einen US-Star für Ihren deutschen Thriller engagiert?
Unser Film schildert mit der Flugzeugentführung einen Mikrokosmos des Terrorismus, dieses Szenarium verschärft sich mit einer amerikanischen Figur und wird dramaturgisch spannender. Die Aggression der Entführung vor der Cockpit-Türe fällt noch viel stärker aus, nachdem sie von der Nationalität des Piloten erfahren. Außerdem zählt Joe zu den spannendsten Schauspielern seiner Generation. Ihn durch so eine emotionale Tour-de-force zu schicken, war natürlich sehr reizvoll.
Ihrem „Alles wird gut“-Star Simon Schwarz hätte die Pilotenuniform sicher auch gut gestanden…
Absolut, darüber hatte ich auch nachgedacht. Aber dann entschied ich mich für Carlo Kitzlinger, der vor seiner Schauspielkarriere 25 Jahre bei der Lufthansa geflogen ist und die Abläufe im Cockpit professionell beherrscht. Aber auf Simon Schwarz wollte ich gleichwohl nicht ganz verzichten, er übernimmt im Film die Stimme des Verhandlungsführers der Polizei.
Gemeinhin fallen die Innenräume von Flugzeugen im Kino unrealistisch groß aus. Wie wichtig waren die richtigen Ausmaße für Sie?
Die Enge des Raums war ein entscheidendes Element für diese Geschichte. Deswegen haben wir für die Dreharbeiten ein originales, ausrangiertes Airbus-Cockpit beschafft, an dem wir nur minimale Veränderungen vornahmen. Glaubwürdigkeit durch Realismus war schon bei „Alles wird gut“ meine Devise.
Was sagte Ihr Kameramann Sebastian Thaler zu solchen Arbeitsbedingungen?
Sebastian musste in der Vorbereitung tatsächlich sehr viel Rücktraining machen! (Lacht) Für ihn waren die Dreharbeiten harte Arbeit, um die ich ihn nicht beneide. Während er sich mit der Kamera durch die Enge quetschte, konnte ich draußen im Sessel alles bequem anschauen.
Sie zeigen Sicherheitskontrollen am Flugplatz – wie leicht bekommt man dafür Drehgenehmigungen?
Wir zeigen ja nichts, was nicht jeder kennt, der mal geflogen ist. Die Anfangsbilder sollen das Gefühl vermitteln, dass man obwohl man versucht alles zu überwachen, trotzdem nicht alles sieht. Als Double für die Überwachungskameraaufnahmen dient der Wiener Flughafen, zu dem wir durch unseren Dreh von „Alles wird gut“ bereits gute Beziehungen hatten. Auch diesmal war man dort sehr hilfsbereit. Man ließ uns sogar mit einem Kamera-Jeep über die realen Pisten fahren. Mit einer Sondergenehmigung durften wir einmal sogar mit hoher Geschwindigkeit zwischen den echten Flugzeugen die Startbahn ansteuern, um die Bilder zu bekommen, die wir später für den Start des Flugzeugs brauchten.
Wie wichtig ist Logik beim Thriller? Warum schreiten die anderen Passagiere nicht ein?
Ich finde das leider sehr logisch. Die Passagiere, die zuerst nicht einschreiten, sind ja sicher dort wo sie sind, außerdem wissen sie nicht wie die Angreifer bewaffnet sind. Und in der Situation stellt sich die prinzipielle Frage der Zivilcourage. Wenn 100 Menschen auf einem Bahnsteig stehen, auf dem jemand verprügelt wird: Wie viele davon schreiten ein und helfen dem Opfer? Das ist eine Frage, die sich dem Zuschauer bei diesem Film stellt!
Wie sieht die Auswertung mit Amazon aus?
In Deutschland, Österreich und der Schweiz kommt „7500“ ganz regulär in die Kinos, was mich sehr freut. Im Rest der Welt wird er als exklusive Amazon-Premiere ausgewertet. Das Potenzial an möglichen Zuschauern durch so eine Auswertung ist für einen Regisseur natürlich beeindruckend.
Wie sehen Sie die Zukunft der Streaming-Dienste für Filmemacher?
Soweit ich das verstanden habe, haben Alfonso Cuarón und Martin Scorsese sicher gute Erfahrungen mit Netflix gemacht, weil sich niemand in ihre Arbeit eingemischt hat. Die weitere Entwicklung wird sich zeigen. Es gibt dort ja nicht nur solche cineastischen Flaggschiffe. Und am Ende des Tages stehen alle Streaming-Dienste in Konkurrenz zueinander und müssen schwarze Zahlen schreiben. Und dann wird sich zeigen wie viel Freiheit den Künstlern dann noch zugestanden wird oder ob irgendwann nur noch ein Algorithmus bestimmt, wie ein Film gemacht werden muss.
‚7500‘ läuft ab dem 26.12.19 in den Kinos.
Foto: © Manfred Werner/Tsui – CC by-sa 3.0