Der Morgen dämmert in sanften Rosa‑ und Goldtönen hinter den Baumwipfeln, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen die Luft erwärmen. Ich packe meine Sachen — der Schlafsack riecht noch ein wenig nach Tau, ein leiser Duft von Erde und Aufbruch hängt in der Luft. Ein kräftiger Schluck Kaffee, der Zeltplatz leert sich, und bald bin ich wieder auf dem Sattel.
Morgendliche Begegnungen
Schon nach wenigen Kilometern trifft mich das typische Bikepacking‑Gefühl: Müdigkeit im Bein, Leichtigkeit im Kopf. Morgentau glitzert auf Gräsern am Wegesrand, die Luft ist frisch, ein Reh huscht über die Strecke. Ich überhole einen älteren Herrn, der mit einem klassischen Tourenrad unterwegs ist, ganz ohne moderne Bags, aber mit einem Lächeln, das sagt: „Ja, ich weiß, was ich hier tue.“ Wir wünschen uns einen guten Tag — mehr braucht es nicht, um sich verbunden zu fühlen auf solcher Reise.
Etappe 3:
Die Neiße wird größer — Polnischer Wind, deutsche Ufer
Die Neiße weitet sich. Der kleine Bach, mit dem alles begann, ist längst ein ernstzunehmender Begleiter, der in seiner Breite und Kraft überrascht. Auf der polnischen Seite ziehende Wiesen, manchmal Bauernhöfe, Kirchturmglocken, die mehrstimmig durch die Täler hallen. Und immer wieder: Grenzsteine, versteckte Pfade über Brücken, kleine Fähren, wo man das Rad übersetzen muss. Ein kleiner Durchhänger kommt gegen Mittag: Rückenwind plötzlich gegen mich, ein leichter Regen setzt ein. Ich ziehe die Reflexjacke an, spüre wie das Wasser auf dem Stoff tanzt. Ich denke an Zuversicht — daran, dass die schwierigsten Momente oft die sind, an die man sich später am besten erinnert.
Etappe 4: Übernachtung unter dem Sternenzelt
Als das Tageslicht schwindet, finde ich einen geeigneten Platz zum Campen. Nicht weit von einem stillgelegten Bahndamm, wo das Gras weich, der Boden eben und der Blick freigegeben ist: links die Neiße, rechts ein Kiefernwald. Ich ziehe das Tarp auf, hänge meine Hängematte auf, bereite Tee. Der Himmel — wolkenlos — zeigt Millionen Sterne, wie Diamanten auf schwärzestem Samt. Ein Kirschkern feuer fast zu hören, ein Grillenzirpen, das durch die Nacht zieht. Ich sitze da, die Beine müde, den Geist wach. Frage mich: Warum tue ich das? Antwort: Für die Freiheit, für das Nicht‑Wissen, was morgen sein wird. Für diesen Augenblick.
Etappe 5: Grenzüberschreitungen — kulturelle & kulinarisch
![[030] Bikepacking Tour: Der Oder/Neiße Radweg – Zwischen Görlitz und Neißemündung - Wenn der Fluss zur Grenze wird 2 Bikepacking, Berlin, Oder/Neiße](https://berlin030.de/wp-content/uploads/2022/07/F80901BE-C356-4548-8D36-1AE415347F8B-1024x770.jpg)
Der nächste Tag startet früh. Ich möchte bis nach Prenzlau kommen, ein gutes Stück. Die Route führt durch kleine polnische Grenzorte, dann über Brücken zurück auf die deutsche Seite. Hier schmeckt das Frühstück anders: in Polen oft herzhaft, große Brote, Salami, Käse, Kaffee schwarz wie die Nacht. Ich teile ein Stück Brot mit einem Hund, der um meine Beine schleicht. Die Menschen winken von Terassen, grüßen mit „Dzień dobry“, beantworten mein „Guten Tag“ in freundlich zerklüfteter Aussprache.
Etappe 6: Die Oder ruft — Finale und Meeresblick in Sicht
Irgendwo wechselt die Neiße zur Oder. Der Fluss wird breiter, fließender, kraftvoller. Uferpromenaden tauchen auf, Industriehäfen, Fischerdörfer. Später: Schilfgürtel, Möwenrufe. Der Boden wird ebener, der Wind aus Nord-Osten mischt sich dazwischen. Am letzten Tag meiner Tour liegt Usedom wie ein Versprechen vor mir. Die Luft schmeckt nach Salz und Freiheit, das Meer rauscht, ich halte an einem Deich, lasse meine Finger über das Wasser fest über Seeluft. Der Weg ist geschafft — knapp 700 Kilometer sind es geworden.
Reflexion & Lessons Learned
-
Manches lässt sich nicht planen — Wetterwechsel, Zugverspätungen, Wege unter Wasser oder umgestürzte Bäume: So etwas zerrt an der Energie, aber es macht die Tour echt.
-
Gewicht vs. Komfort — Ich habe oft genug Flaschen gespült oder kalt gekocht und nachts nach einer zusätzlichen Schicht gegriffen. Die Daunenjacke wurde zu meinem kleinen Schatz.
-
Menschen & Begegnungen — Diese spontanen Kontakte am Wegesrand, in Pensionen oder am Flussufer: Die machen die Tour oft erinnerungswürdiger als das schönste Panorama.
-
Stille ist ein Geschenk — Wenn kein Straßenlärm, keine Musik, kein Handyempfang — nur Natur, nur Atem und Pedaltritt. Das baut auf.