Eine Welt ohne Nationalstaaten? Undenkbar. Zumindest deklariert das bis heute die Pariser Friedenskonferenz. Aber müssen Grenzen und Pässe wirklich definieren, wer wir sind – und vor allem, wer wir nicht sind? Das fragen sich auch die Kuratorinnen Katrin Klingan und Nanna Heidenreich.
Mit Philosophen, Aktivisten und Schriftstellern eröffnen sie deshalb unter dem Titel „Die Jetztzeit der Monster“ im Haus der Kulturen der Welt drei Tage lang die Diskussion zum Neudenken der Zukunft. Wir gaben vorab den Startschuss.
Gab es einen Schlüsselmoment, der Sie zu Ihrem Projekt motiviert hat?
Klingan: Das war vor allem das Programm „100 Jahre Gegenwart“ in unserem Haus. Die Frage ist: Welche Ordnungsstrukturen geraten unter Bedrängnis und wie hängen sie mit den letzten 100 Jahren zusammen?
Der Titel bezieht sich auf ein Zitat von Antonio Gramsci: »Es ist die Zeit der Monster«. Welche Bezüge sehen Sie zwischen dem Zitat und Ihrem Projekt?
Heidenreich: Stimmt, das ist ein Zitat – und eigentlich keins.
Wie meinen Sie das?
Heidenreich: Es ist eine Fehlübersetzung. Eigentlich spricht er von Krankheitssymptomen – in einem Moment des Umbruchs, in dem alte Gefüge nicht mehr gelten, aber nicht klar ist, was kommt. Direkt falsch ist sie also nicht. Die Jetztzeit ist eine Umbruchszeit. Manche sagen, es gäbe keine Nationalstaaten mehr.
Dabei befindet sich die Beschwörung des Nationalismus und Nationalgefühls derzeit in der Hochkonjunktur. Wo sehen Sie den Umbruch?
Heidenreich: Ja, als Idee sind sie stark und als Antwort auf Konflikte wird immer das nationalstaatliche Lösungsmodell angeboten. Andererseits nehmen suprastaatliche Regierungseinheiten zu. Auch innerhalb der EU. Mit Einrichtungen, die die Nationalstaatlichkeit unterlaufen. Global gesehen gibt es daher gar nicht so viele Nationalstaaten, wie angenommen.
Viel diskutiert wird deshalb eine europäische Republik. Ist das für Sie denkbar?
Heidenreich: Die Frage wird in den Tagen tatsächlich aufkommen: ob die EU eine Republik sein oder sich auflösen soll. Wichtiger ist aber: Was gäbe und was gab es schon für Alternativen.
Diese Alternativen liegen meist jenseits des Kapitalismus. Wie soll man sich das vorstellen?
Heidenreich: Das ist die schwierige Frage und inzwischen eine verloren gegangene Imagination. Gleichzeitig ist sie dringend notwendig. Es geht nicht darum, konkrete Antworten zu finden, sondern überhaupt die Möglichkeit zu eröffnen, wieder anders zu denken.
Wie geht Ihr Programm damit um?
Heidenreich: Wir haben denkende Beiträge, die von einem Dokument oder Bild ausgehen – bei denen das Publikum zuhörend ist. Es gibt aber auch partizipative Formate. Beim Themenblock „Migration“ haben wir eine performative Gerichtsverhandlung, bei der verhandelt wird, wie das Copyrightrecht als Aufenthaltsrecht umgewandelt werden kann.
Auf welchen Beitrag sind Sie besonders gespannt?
Heidenreich: Für mich sind das Gespräche unter Personen, die noch nicht im Diskurs standen und aus unterschiedlichen Disziplinen kommen. Weil man nicht weiß, was am Ende herauskommt. Man kann also gespannt sein.
Am DO 23. bis SA 25.3. von 11 bis 19 Uhr im Haus der Kulturen der Welt.+
Fotos: Lonneke van der Palen