Fuchs, Citizen Science, Berlin, Natur, Wildtiere

Immer mehr Menschen interessieren sich aktiv für die Natur und wollen sich an ihrer Erforschung beteiligen. Der neue Begriff dafür: Citizen Science.

von Johanna Heuveling

Ein Krebs wackelt träge über den Kiesweg im morgendlichen Berliner Tiergarten. Ein Krebs? Ja, ein großer, roter Krebs. Um ihn herum sammelt sich eine Schar aus Joggern, Fahrradfahrern und Fußgängern. Verdutzt bieten sie dem Krebs Geleit bis zu den schützenden Büschen. Ein Passant weiß Bescheid: „Das ist eine in Europa unerwünschte Art!“ Er macht ein Foto von dem, sich als Amerikanischer Sumpfkrebs herausstellenden illegalen Einwanderer und schickt es mittels App direkt an ein Naturbeobachtungsportal. Städte entwickeln sich zu „Hotspots der Biodiversität“, erklären Forscher des Berlin-Brandenburgischen Instituts für Biodiversitätsforschung (BBIB). Ob nun erwünscht oder nicht, besiedeln Fuchs, Waschbär und Marder zunehmend den urbanen Raum. Die Gründe sind unterschiedlich: Lockende Nahrungsquellen in der Stadt, enger werdender Lebensraum auf dem Land oder ausgesetzt von Menschen, wie besagter Sumpfkrebs. Die zum Homo sapiens zählenden Stadtbewohner schwanken zwischen Angst vor dem Fuchsbandwurm, Ärger über durchwühlte Gärten und der Faszination am wilden Tier, das nachts an ihnen vorbeiflitzt.

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Nachts sind alle Füchse grau? Mitnichten. – Foto: © Jon A. Juarez

Bei Katrin Luckau aus Berlin-Buch überwiegt die Freude an den Tieren. Früh morgens und bei jedem Wetter läuft sie durch die Rieselfelder, um nach Füchsen oder deren Bauten zu spähen … oder zu wittern: „Füchse haben einen besonderen Wildtiergeruch. Im Sommer rieche ich es eher, wenn ein Fuchs in der Nähe ist, als dass ich ihn sehe.“ Im Winter jedoch sei es beschwerlicher, so Luckau. Nicht nur, dass die Füchse dann weniger Geruch verströmten: „Füchse verhalten sich ähnlich wie wir Menschen. Wenn es kälter ist, dann kommen sie weniger zum Vorschein.“

Brückenschlag von Wissenschaft zu Gesellschaft

Katrin Luckau gibt ihre Beobachtungen an die Forscherinnen und Forscher des Berliner BIBS (Bridging in Biodiversity Science, oder auf deutsch: Brückenschlag der Biodiversitätswissenschaft) weiter. Die Wissenschaftler interessieren sich für die Einwanderung der Wildtiere in die Stadt. Vor allem wollen sie wissen, wie sich das Verhalten der Tiere durch den Einfluss der Stadt verändert und wie sie mit den Aktivitäten der Menschen zurechtkommen. Im BIBS haben sich Berliner Forschungsgruppen verschiedener Fachgebiete zusammengeschlossen. Das Projekt will aber auch den Brückenschlag zur Gesellschaft. Sarah Kiefer, Koordinatorin für Citizen Science am BIBS, sagt: „Mit dem Thema Biodiversität kennen sich die meisten Menschen nicht so aus, anders als zum Beispiel mit Klimawandel. Daher wollen wir die Gesellschaft mit einbeziehen in die Forschung, um aufmerksam zu machen und Wissen weiter zu geben.“ Citizen Science sei daher ein fester Bestandteil des Programmes. Um den Einstieg zu erleichtern, wurde eine zentrale Webseite (berlin.stadtwildtiere.de) eingerichtet, auf der Bürgerwissenschaftler Fotos und Beobachtungsdaten hochladen können.

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Schrippe gefällig? Die Abfälle locken allerlei Getier in die Stadt. So auch den Waschbären. – Foto: © Jon A. Juarez

Der trendige Begriff Citizen Science kommt aus dem angelsächsischen Raum. Amateure, die experimentieren und beobachten, gibt es aber überall und schon lange. Nicht nur die zahllosen Zusammenschlüsse von Vogel- und Schmetterlingsliebhabern, auch Hobbyarchäologen, Sternengucker und andere liefern seit langem an die Wissenschaft Daten und Material. In den USA zum Beispiel bestimmen und zählen beim traditionellen Christmas Bird Count Tausende von Freiwilligen jedes Jahr zur Weihnachtszeit Vögel. Schlagzeilen machte im letzten Jahr der Artikel im Fachmagazin Science über das Insektensterben. Die Insektenfallen für diese Langzeitstudie haben Bürgerwissenschaftler aufgestellt und ausgewertet. Neue Technologien machen die Datenaufnahme und –weitergabe immer einfacher. So gibt es eine App, die mit Fotos vom Nachthimmel Lichtverschmutzung messen kann. Die bereits erwähnte Naturbeobachtungs-App hilft dabei, die fotografierte Art zu bestimmen und zusammen mit den GPS-Daten weiterzuleiten an entsprechende Forschungsstellen.

Nicht nur Arbeitskraft, sondern auch eigene Ideen einbringen

Beim BIBS helfen Bürgerwissenschaftler in erster Linie durch Manpower, wie bei der Meldung von Tiersichtungen. Manche Projekte seien ohne die Mithilfe der Bürger einfach nicht durchführbar, sagt Sarah Kiefer. Citizen Science will aber mehr als nur Daten abliefern. Eigentlich geht es um einen Austausch auf Augenhöhe, bei dem der Bürgerwissenschaftler sein Mehr an praktischer Erfahrung beisteuert, um die Forschung mit zu gestalten. „Es wäre schön, wenn die Bürger noch tiefer einsteigen würden. Dass ihre Beobachtungen sie dazu führen, eigene Ideen zu entwickeln“, sagt Sarah Kiefer. Als gelungenes Beispiel nennt sie ein Geparden-Projekt in Namibia. Die Erforscher dieser bedrohten Tierart haben mit Hilfe der ansässigen Farmer, die eher ihre Rinder bedroht sahen, Geparden eingefangen und besendert. Aus den so aufgenommenen Wanderungsrouten konnten sie bessere Standorte für die Viehweiden ermitteln. Die Verluste an Rindern gingen zurück. Nach erfolgreichem Abschluss des Projektes fragten die Farmer: Und was ist mit den Leoparden? Mit Hilfe der Forscher konzipierten die Farmer dann tatsächlich selbst ein ähnliches Projekt zur Erforschung der Leoparden. „In Berlin sind wir da leider noch nicht so weit“, so Kiefer. Um die Eigeninitiative ihrer Bürgerwissenschaftler zu erhöhen, organisiert das BIBS regelmäßig Veranstaltungen für ihre Citizen Scientists. „Der persönliche Kontakt und das Gespräch sind sehr wichtig“, so Kiefer. Letztens hätten sie Diskussionstische von Wissenschaftlern und Bürgern gemacht und im Gespräch seien viele gute Vorschläge und Ideen von den Bürgerwissenschaftlern gekommen.

Und wie geht es den Füchsen in Berlin?

Die Fuchsflüsterin Katrin Luckau hat ihre Forschung inzwischen ausgeweitet auf den Verkehr, der ein wichtiger Faktor ist im Leben der Füchse. Sie zählt Fahrzeuge und Menschen in ihrer Umgebung. Nach ersten Beobachtungen sind es nicht so sehr die Autos, sondern vielmehr Hunde und Fahrradfahrer, die die Füchse besonders irritieren. Katrin Luckau beobachtet: „Ein Fuchs ist sehr schnell weg, bevor ein Hund nur zu sehen ist. Ich vermute, dass Füchse einen noch feineren Geruchssinn haben als Hunde.“

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Mein Weg, dein Weg. Mensch und Tier begegnen sich im Stadtpark. – Foto: © Jon A. Juarez

Und wie geht es nun den Füchsen in Berlin? Sarah Kiefer gibt einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse: Überraschend sei für die Forscher gewesen, wie groß die individuellen Unterschiede zwischen den Tieren sind. Die Größe ihrer nächtlichen Streifgebiete variiert stark. Manche Füchse seien eher faul, andere liefen in einer Nacht bis zu 15 km. Auch in der Tag- und Nachtaktivität verhielten sie sich sehr unterschiedlich. Viele Fragen dazu, wie die Tiere ihren Lebensstil verändern beim Umzug in die Stadt, sind noch nicht beantwortet. Unklar sei zum Beispiel noch, ob sie ihre Ernährung verändern. Bei Wildschweinen hatten die Wissenschaftler festgestellt, dass das Stadtleben nicht bedeutet, dass sie sich fortan von Müll und Junk Food ernähren, sondern sie bleiben überraschenderweise bei ihrer gesunden Landkost. „Auf die Füchse sind wir da noch gespannt“, sagt Sarah Kiefer. Namentlich wird Katrin Luckau wohl in keiner der wissenschaftlichen Publikationen des BIBS erscheinen. Aber das ist nicht, was sie motiviert, sondern es ist die vertraute Beziehung zum Tier. Ihre Highlights sind die Begegnungen mit Füchsen. „An einem regnerischen Wochenende im Sommer habe ich eine Fähe mit Jungtieren gesichtet. Einen Welpen konnte ich beim Fangen einer Maus beobachten. An diese Bilder erinnere ich mich noch heute gerne zurück“, schwärmt sie.

Webseite für das Projekt „Berliner Stadttiere“:
berlin.stadtwildtiere.de