Von der Presse wird Fetsum gerne als die nächste deutsche Soul-Hoffnung angepriesen, persönlich lässt er sich gar nicht so gerne in Kategorien stecken. Lediglich sein soziales Engagement, sein Einsatz für transkulturelles gegenseitiges Verstehen und Unterstützen zeichnet ihn als Menschen ebenso wie seine Musik und darf gerne nach außen getragen werden. Die EP "Light in a dark place" erscheint in Zusammenarbeit mit UNICEF, der Reinerlös kommt Kinder-Hilfsprojekten in Syrien, im Südsudan, im Irak und in der Ukraine zu. Im Sommer initiierte er das Benefiz-Festival "Peace x Peace.
Ist für dich dein politisches Engagement von der Musik überhaupt noch trennbar?
Objektiv sind das verschiedene Bereiche. Es ist aber natürlich, dass ich die Themen bearbeite, die mich biografisch belangen und zu denen ich etwas zu sagen habe. Trotzdem bleibt Musik immer Musik. Wenn jemand die CD hört, der zu den Themen keinen Bezug hat, soll es ihm auch gefallen.
Funktioniert Musik auf besondere Art und Weise als Ausdrucksmittel für politische Botschaften?
Musik geht nie mit erhobenem Zeigefinger vor und niemand, der Musik macht, muss wiedergewählt werden. Ich engagiere mich auch nicht politisch, ich engagiere mich gesellschaftlich. Ich kann die Situation eines Flüchtlings biografisch nachvollziehen und kenne die mentalen Schwierigkeiten des Anpassungsprozesses. Ich bin aber auch ein Deutscher, der die deutsche Seele kennt und weiß, dass es wichtig ist, sich für seine Gesellschaft einzusetzen. Ob das nun eine Gesellschaft innerhalb gewisser Grenzen oder einen größeren Kontext meint, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es kommt uns aber im Endeffekt allen zu Gute.
Was ist denn die deutsche Seele?
Deutschland ist kulturell, kulinarisch und visuell heute ein ganz anderes Land als vor 100 Jahren. Es gibt Leute, die sagen Deutschland wäre weicher. Wenn das bedeutet, dass es viel mehr gelebte Menschenrechte gibt, einen Staat, der viel mehr Rücksicht nimmt auf die Rechte seiner Bürger, wenn wir frei schreiben und sprechen können ohne Angst, verfolgt zu werden, dann ist Deutschland ein sehr schönes und sehr begehrenswertes Land und das hat ganz viel mit den Menschen zu tun, die hier leben. Die einzelnen Menschen waren noch nie so wohlhabend. Scheinbar reicht das aber nicht und scheinbar gibt es trotzdem im Moment eine SItuation, die viele beunruhigt. Weil wir nicht isoliert leben, sondern sehen, was in der Welt passiert. Manche nutzen das, um ihrem Ärger Luft zu machen, andere wollen etwas über den Tellerrand gucken. Denn Vieles, was wir hier gerade sehen, ist Resultat der Weltpolitik der letzten 100 Jahre.
Geht es jemandem zu gut, wenn er das Bewusstsein darüber verliert, wie privilegiert er ist und auf diese Art und Weise seinem Ärger Luft machen muss?
Absolut. Wenn du es gewohnt bist, den Kuchen immer allein zu essen, dann musst du dich plötzlich ganz schön strecken, um jemandem etwas abzugeben. Das heißt gar nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Aber jeder, der mal aus Disneyland rausgeht – ich nenne Mitteleuropa gerne Disneyland – und in 90% der Länder der Welt mal unterwegs war, der weiß, dass aller Komfort, den wir hier genießen ein unfassbare Privileg ist. Ich könnte mich theoretisch jeden Abend mit Kumpels treffen und Kaffee trinken, auf entspannt, ich kann jeden Tag schwimmen gehen oder turnen, Videospiele spielen, gegenüber Pasta holen und die in meiner schön eingerichteten Bude zu mir nehmen. Das ist ein Scheißprivileg und wer das nicht erkennt, hat nicht die richtigen Spiegel um sich herum. Deswegen ist es für mich manchmal schwer, zu verstehen, dass jemand so kindlich reagiert, wenn man ihm sagt: "Du hast jetzt jahrelang so privilegiert gelebt und jetzt müsstest du mal zwei Menschen in deinem Vorgarten ein Zelt aufbauen lassen, damit die nicht vor die Hunde gehen."
Was verbindet dich biografisch mit dem Schicksal der Geflüchteten?
Meine Mutter und mein leiblicher Vater kommen aus Eritrea und haben im Bürgerkrieg gekämpft, den Eritrea mit Äthiopien geführt hat. Meine Mutter wurde verletzt, während sie mit mir schwanger war und über den Sudan nach Kairo transportiert und dort dann operiert. Ich kam in Kairo zur Welt. Von dort bin ich mit eineinhalb Jahren nach Rom, weil dort die Schwester meiner Mutter lebte, die Italiener kannte und Menschen, die Geflüchteten geholfen haben, Sozialarbeiter, Ärzte. Über die haben wir einen Neuropsychiater kennen gelernt, bei dem meine Mutter und ich dann leben konnten. Seitdem haben wir Familie in Italien, über die wir einen ganz anderen Zugang zur Gesellschaft bekommen haben. Als ich vier war, sind wir nach Deutschland gekommen, weil eine Freundin meiner Mutter hier alleine gelandet ist und nichts hatte. Italienisch war die erste Sprache, die ich gelernt habe, Deutsch die Zweite und Eritreisch die Dritte. Deutscher Staatsbürger bin ich seit ich 13 bin.
Hast du einen Bezug zu deiner eritreischen Herkunft rückentwickelt?
Ich glaube, für meine Mutter, die noch sehr verbandelt war mit der Idee, dieses Land zu befreien, mussten erst 15 Jahre vorüberziehen, bevor sie realisiert hat, dass man nicht mehr zurück nach Eritrea gehen wird. Sie hat ihre Eltern erst nach 17 Jahren wiedergesehen und ich dann das erste Mal realisiert, dass ich noch Großeltern, Onkel und Tanten habe. Das ist eine krasse Erfahrung, wenn man bis dahin das Gefühl hatte, die Familie fängt bei der Mutter an und dann seine Mutter das erste Mal als das Kind von jemand anderem wahrnimmt.
Ist das Verständnis von Familie in einem armen, kriegsgebeutelten Land wie Eritrea ein anderes?
Das Familienverständnis ist überall auf der Welt außerhalb der wohlhabenden kapitalistischen Länder ein ganz Anderes. Wohlstand treibt Familien irgendwie auseinander. Wie sorgt man denn theoretisch füreinander, wenn jeder finanziell unabhängig ist? Seelisch, indem man füreinander da ist. Trotzdem erlebe ich immer, dass Familien sich auseinander entwickeln, je reicher sie sind und jeder mit irgendwem irgendeinen Streit hat, anstatt froh zu sein, Familie zu haben. Irgendwann im Leben bemerkt man dann wahrscheinlich, dass Geld nur ein Mittel ist, aber kein Ersatz sein kann.
Du hast über die Jahre viele verschiedene musikalische Einflüsse verarbeitet und bezeichnest deinen Stil als "Urban Folk". Was hat man sich darunter vorzustellen?
Alle Künstler tun sich schwer mit Schubladen. Der Folk kommt daher, dass ich mich als Geschichtenerzähler verstehe, das Urbane daher, dass ich mit dem HipHop aufgewachsen bin und der Anstrich urbaner Realität meine Musik immer noch prägt. Den klassischen Kategorien, die von denen erfunden wurden, die Musik verkaufen müssen und mich als Soulsänger bezeichnen, kann man außerdem entfliehen, wenn man das selbst in die Hand nimmt.
Du hast mit Claudia Roth zusammen ein Buch veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Man bekommt ja nie mit, wer von einem mitbekommt. Ich kannte Claudia Roth natürlich seit Jahrzehnten. Wir waren zufällig zusammen bei einem Talk und darüber, dass wir beide Schwaben sind kamen wir ins Gespräch. Zwei Wochen später kam dann ein Anruf vom Westend Verlag. Die hatten die Idee, einen Dialog aufzunehmen und als Buch umzusetzen, der sich mit aktuellen Problemen in Deutschland beschäftigt und haben dafür eine Person aus der Politik und eine Person aus der Gesellschaft gesucht. Als Künstler hat man in einer solchen Situation immer zuerst Angst, sich vor einen politischen Karren spannen zu lassen. Andrerseits sind aber heute interdisziplinäre Dialoge und überhaupt Dialogbereitschaft und der Blick über den Tellerrand unheimlich wichtig. Wir sind zwei Menschen aus unterschiedlichen Generationen, unterschiedlicher Herkunft und mit ganz unterschiedlichen Werdegängen und deshalb war das Gespräch sehr interessant.
Stört es dich, wenn sich dann deine öffentliche Wahrnehmung zwischen Musiker und sozialem Aktivisten verschiebt?
Die Leute sollen wissen, dass ich mich gesellschaftlich interessiere und engagiere. Das tu ich auch durch die Musik schon. Sonst sehen die Menschen einen großen schwarzen Mann, der Sänger ist und setzen einen Haken darunter. Die sollen ruhig mitbekommen, womit ich mich beschäftige. Kunst hat immer die Aufgabe, die Gesellschaft zu reflektieren, ob als Musiker, Schriftsteller, Maler oder Bildhauer. Das geht für mich einher. Es geht nicht nur um Entertainment. Es geht nicht nur ums Geld verdienen. Musik muss der Gesellschaft immer einen Spiegel vorhalten!
Fetsum – Light in a dark place
Erschienen bei Sonar Kollektiv